Über eine Heiratsannonce lernen sich der Zigarettenfabrikant Louis Mahé, der auf der Insel Réunion lebt, und Julie Roussel kennen. Mahé kennt sie nur aus Briefen und von einem Foto, als sie mit dem Überseedampfer Mississipi im Hafen eintrifft. In Wirklichkeit ist die Frau jedoch Marion Vergano und sie erzählt später, dass ihr Begleiter Richard Julie Roussel auf der Überfahrt von Bord gestoßen und sie deren Identität angenommen habe. Das falsche Foto erklärt sie damit, dass sie aus Bescheidenheit ein Foto einer Freundin geschickt habe.
Louis und die angebliche Julie heiraten. Louis liebt seine Frau so sehr, dass er alle aufkommenden Verdachtsmomente beiseite wischt, bis Marion mit seinem gesamten Geld durchbrennt. Von seiner vermeintlichen Schwägerin – der Schwester der echten Julie – wird er über seinen folgenschweren Irrtum aufgeklärt. Er beauftragt den Detektiv Comolli. Louis findet Marion jedoch zufällig auf eigene Faust an der Côte d’Azur wieder – und will sie umbringen. Doch er verliebt sich aufs Neue …
Was für eine irrwitzige Geschichte. Das ist der Film, für den der Begriff "Amour Fou" hätte erfunden sein können. Nichts an diesem Film hat mit einer real nachvollziehbaren Geschichte zu tun. Im Schnitt ungefähr alle zehn Minuten schreit der Film selbst seinem Protagonisten, dem properen Millionär Jean-Paul Belmondo zu: „Tu's nicht! Die nimmt Dich nur aus!“ Aber der smarte, gut aussehende Millionär, aufgewachsen auf La Réunion, einer kleinen Insel östlich von Madagascar, also abseits weltmännischer Bosheiten und Tricksereien, will die Warnungen alle nicht hören. Und als er sie doch endlich umbringen will, da schon im französischen Nizza, wo sie aller üblen Bosheiten überführt ist, verliebt er sich neu in sie, die blonde Sirene vom Schiff "Mississippi".
Francois Truffaut hat Spaß daran, die Sprache des zeitgenössischen Kinos zu dekonstruieren. Dazu braucht er keine glaubwürdig nachvollziehbare Handlung, die einem Realitätscheck standhalten muss. Er braucht die Chiffren, mit denen das Kino arbeitet, orientiert sich da an seinem Vorbild Alfred Hitchcock. Schon der hat sich nicht an der Realität glaubwürdiger Handlungsstränge abgearbeitet, statt dessen lieber Chiffren genutzt, um seinen Thrill zu erzeugen – seinen berüchtigten MacGuffin, grüne Kleider, rote Farbe, schwarze Linien auf weißem Grund. Hitchcock legte keinen Wert auf Realismus für das, was im Viereck seiner Leinwand geschieht. Deshalb erfand er seine Manierismen. Truffaut folgt ihm bis hinein in die Farbdramaturgie.
Truffaut will mit "Das Geheimnis der falschen Braut" die ultimative Kino-Lovestory erzählen, eine Liebe, die alle Hürden überwindet – und also erzählt er seine Geschichte einfach immer weiter. Etwaige Spannungsbringer, wie etwa den zuvor von Belmondo engagierten Privatdetektiv, schießt Truffaut einfach aus der Story. Tod, Ende. Aus.
Das französische Kino orientiert sich nicht am logischen Spannungsaufbau, wie das amerikanische Kino es tut. Französisches Kino baut Spannung über Beobachtung auf. Da hatten sich die europäischen Künstler gerade an der Bildsprache der Amerikaner aus den 30er, 40er Jahren orientiert und darauf die Nouvelle Vage aufgebaut, da orientieren sich junge amerikanische Filmemacher am europäischen, durch Hollywood geprägten, Kino. Und die Europäer schauen neu auf das neue amerikanische Kino. Es ist ein dauerndes Geben und Nehmen.
Einen Spannungsaufbau hat Truffauts Film nicht. Im Kinosessel können wir nicht nachvollziehen, warum Louis Mahé, der Tabakmillionär, seiner blonden Marion immer weiter vertraut, warum er ihr all seinen Wohlstand opfert, zumal Catherine Deneuve ihre Marion auch nicht als verführerische Sirene anlegt. Dafür haben wir selbst im richtigen Leben draußen vor dem Kino einfach zu viel Mist mit der Romantik erlebt. Als das Liebes-, Gauner-, Flüchtlingspaar unten angelangt ist, in billiger Absteige, kaum noch Geld, angewiesen auf gute Ideen, da macht der bisher meist als verliebter Gockel auftretende ehemalige Millionär Mahé das blonde Mädchen, das da auf seinem Absteigenbett sitzt rund, wirft ihr vor, dass Mädchen wie sie immer nur auf den nächsten Schminktipp, das nächste Kleid, die nächste Extravaganza scharf sind. „Du bist nicht nur egoistisch! Du bist der Egoismus in Person. Du glaubst, Du bist etwas Besonderes, eine Ausnahme. Aber das ist falsch! Solche Mädchen wie Du, die sind jetzt gerade wieder in Mode. Nicht mal sowas wie Abenteurer seid Ihr. Wie Nutten seid Ihr, sowas wie Parasiten, die am Rande der Gesellschaft leben. Ihr seid weder Frauen noch junge Mädchen. Ihr seid Luxus-Bienen! Was Ihr genau seid, dafür gibt's gar keinen Namen. In Euren Köpfen herrscht nur Schwachsinn und völlige Leere. Ihr seid in Euren eigenen Körper verliebt, wollt immer nur in der Sonne liegen, um braun zu werden.“ Emotionaler wird's nicht. Vorher hatte er schon einen Mord begangen, um seine Geliebte zu retten. Auch das lief eher geschäftsmäßig beiläufig ab. Ein Traktat hat Truffaut verfilmt. Titel: Liebe kann einen zugrunde richten.
Er, der Millionär, liegt ziemlich offen zutage von Anfang an. Sie, die Blonde, ist das Rätsel. Und war nicht schon zu Hitchcocks Zeiten die Blonde Frau das Rätsel schlechthin? Etwa zur Mitte des Films haben Mahé und Marion eine lange Aussprache über sein bisheriges Leben, aber vor allem über ihr bisheriges, schon sehr abwechslungsreiches Leben. Catherine Deneuve (Belle de Jour – 1967; Ekel – 1965) trägt in dieser langen Sequenz dieselbe hochgedrehte Blondhaar-Frisur, wie Kim Novak als Judy Barton in Vertigo, als sie etwa zur selben Spielzeit James Stewart ihre Lebensbeichte liefern muss. Und natürlich: Bei Truffaut heißt die gefährliche Blondine wahlweise Julie oder Marion. Bei Hitchcock hieß sie Judy oder Madeleine. Der Ähnlichkeiten zu Alfred Hitchcock sind bewusst viele. Selbst die Schauspieler sind lediglich „Rindvieh“. So soll das Hitchcock mal gesagt haben, um zu verdeutlichen, dass er keine Method Actors vor der Kamera braucht, sondern Figuren, die darstellen, was er, der Regisseur, braucht.
Auch Belmondo und Deneuve müssen nicht viel machen. Für Truffaut sind der Millionär und die Tänzerin nur Funktionsfiguren für eine Filmkonstruktion, die er mit schönen Plansequenzen, in denen Belmondo en passant zeigen kann, wie gut er Hauswände hochklettern kann, und wunderbaren Bildern in Szene setzt.
Im Jahr 2001 verfilmt Michael Cristofer den Roman "Waltz Into Darkness" von Cornell Woolrich als Original Sin. Der Roman ist auch die Vorlage für diesen Film von Francois Truffaut.
Regisseur François Truffaut im Kino
François Truffaut war ein französischer Filmregisseur, Filmkritiker, Schauspieler und Produzent. Er wurde am 6. Februar 1932 in Paris geboren und starb am 21. Oktober 1984 in Neuilly-sur-Seine.
Mit der Neubelebung des Autorenfilms ab Ende der 1950er Jahre gilt Truffaut in der französischen Filmgeschichte mit Jacques Rivette, Jean-Luc Godard, Claude Chabrol und Éric Rohmer als einer der maßgeblichen Begründer der Nouvelle Vague.
- Ein Besuch (Une Visite – 1955) – der Film gilt als verschollen
- Die Unverschämten (Les mistons – 1957)
- Eine Geschichte des Wassers (Une histoire d'eau – 1958) – Regie mit Jean-Luc Godard
- Sie küßten und sie schlugen ihn (Les quatre cents coups – 1959)
- Schießen Sie auf den Pianisten (Tirez sur le pianiste – 1960)
- Jules und Jim (Jules et Jim – 1962)
- Liebe mit zwanzig (L’amour à vingt ans – 1962)
- Die süße Haut (La peau douce – 1964)
- Fahrenheit 451 (Fahrenheit 451 – 1966)
- Die Braut trug schwarz (La mariée était en noir – 1967)
- Geraubte Küsse (Baisers volés – 1968)
- Das Geheimnis der falschen Braut (La sirène du Mississippi – 1969)
- Der Wolfsjunge (L’enfant sauvage – 1970)
- Tisch und Bett (Domicile conjugal – 1970)
- Zwei Mädchen aus Wales und die Liebe zum Kontinent (Les deux anglaises et le continent – 1971)
- Ein schönes Mädchen wie ich (Une belle fille comme moi – 1972)
- Die amerikanische Nacht (La nuit américaine – 1973)
- Die Geschichte der Adèle H. (L’histoire d'Adèle H. – 1975)
Taschengeld (L’argent de poche – 1976) - Der Mann, der die Frauen liebte (L’homme qui aimait les femmes – 1977)
- Das grüne Zimmer (La chambre verte – 1978)
- Liebe auf der Flucht (L’amour en fuite – 1979)
- Die letzte Metro (Le dernier métro – 1980)
- Die Frau nebenan (La femme d'à côté – 1981)
- Auf Liebe und Tod (Vivement dimanche! – 1983)
Jean-Paul Belmondo im Kino
Jean-Paul Belmondo (* 9. April 1933 in Neuilly-sur-Seine; † 6. September 2021 in Paris) war ein französischer Film– und Theaterschauspieler. Er wurde ab den späten 1950er Jahren zunächst als Darsteller innerhalb der Nouvelle Vague bekannt. Ab Mitte der 1960er Jahre war er zwei Jahrzehnte lang als Komödiant und agiler Held actionbetonter Filme einer der erfolgreichsten Stars des europäischen Kinos.
- À pied, à cheval et en voiture (1957)
- Sonntagsfreunde (1958)
- Sei schön und halt den Mund (1958)
- Die sich selbst betrügen (1958)
- Leben und lieben lassen (1958)
- Ein Engel auf Erden (1959)
- Schritte ohne Spur (1959)
- Ausser Atem (1960)
- Der Panther wird gehetzt (1960)
- Stunden voller Zärtlichkeit (1960)
- Die Französin und die Liebe (1960)
- Die Nacht vor dem Gelübde (1960)
- … und dennoch leben sie (1960)
- Das Haus in der Via Roma (1961)
- Eine Frau ist eine Frau (1961)
- Eva und der Priester (1961)
- Galante Liebesgeschichten (1961)
- Sie nannten ihn Rocca (1961)
- Mit meinen Augen (1961)
- Riviera-Story (1961)
- Cartouche, der Bandit (1962)
- Ein Affe im Winter (1962)
- Der Teufel mit der weißen Weste (1962)
- Verrückte Seefahrt (1963)
- Bonbons mit Pfeffer (1963)
- Heißes Pflaster (1963)
- Die Millionen eines Gehetzten (1963)
- Abenteuer in Rio (1964)
- 100.000 Dollar in der Sonne (1964)
- Der Boss hat sich was ausgedacht (1964)
- Jagd auf Männer (1964)
- Dünkirchen 2. Juni 1940 (1964)
- An einem heißen Sommermorgen (1965)
- Elf Uhr nachts – Pierrot le Fou (1965)
- Die tollen Abenteuer des Monsieur L. (1965)
- Geliebter Schuft (1966)
- Brennt Paris? (1966)
- Der Dieb von Paris (1967)
- Casino Royale (1967)
- Ho! (1968)
- Das Superhirn (1969)
- Das Geheimnis der falschen Braut (1969)
- Dieu a choisi Paris (1969)
- Der Mann, der mir gefällt (1969)
- Borsalino (1970)
- Musketier mit Hieb und Stich (1971)
- Der Coup (1971)
- Der Halunke (1972)
- Der Mann aus Marseille (1972)
- Der Erbe (1973)
- Le Magnifique (1973)
- Stavisky (1974)
- Angst über der Stadt (1975)
- Der Unverbesserliche (1975)
- Der Greifer (1976)
- Der Körper meines Feindes (1976)
- Ein irrer Typ (1977)
- Der Windhund (1979)
- Der Puppenspieler (1980)
- Der Profi (1981)
- Das As der Asse (1982)
- Der Außenseiter (1983)
- Die Glorreichen (1984)
- Fröhliche Ostern (1984)
- Der Boss (1985)
- Der Profi 2 (1987)
- Der Löwe (1988)
- Der Unbekannte (1992)
- 101 Nacht - Die Träume des M. Cinema (1995)
- Les misérables (1995)
- Désiré (1995)
- Alle meine Väter (1998)
- Peut-être (1999)
- Les acteurs (2000)
- Amazone (2000)
- Ein Mann und sein Hund (2008)