Kommissar Letellier musste gerade einen herben Rückschlag hinnehmen. Bei einer wilden Verfolgungsjagd mit dem Gangster Marcucci wurde ein Passant erschossen. Während Letellier weiterhin nach Marcucci sucht, wird ihm ein anderer Fall übertragen.
Ein Frauenmörder namens Minos geht um in Paris. In Briefen an die Presse und die Polizei gibt er sein Motiv preis: Er will die Welt von „sexuellem Schlamm“ bereinigen. Während Letellier bei den Ermittlungen gegen Minos nur langsam vorankommt, taucht Marcucci wieder in der Stadt auf.
Von Rachegelüsten getrieben bricht der Komissar die Verfolgungsjagd mit dem Frauenmörder Minos ab, um schließlich Marcuzzi zu fassen – ein fataler Fehler …
Dieser Commissaire Jean Letellier ist kein freundlicher Mensch. Er droht möglichen Zeugen, die nicht aussagefreudig sind, mit vorgehaltener Waffe, Beweise gegen sie zu fälschen oder lässt angeschossene Verdächtige in ihrem Blut liegen und ruft erst den Notarzt, wenn der Verblutende ein umfassendes Geständnis ablegt. Letellier ist nachhaltig schlecht gelaunt, seit er bei einer Bankraub-Geschichte keine ganz perfekte Figur abgegeben hatte und schlechte Presse bekam. Seinen Zynismus entschuldigt das nicht, soll ihn als Filmfigur aber möglicherweise erklären.
Allerdings hat es Henri Verneuil (Der Coup – 1971; Der Clan der Sizilianer – 1969; Dünkirchen, 2. Juni 1940 – 1964; Der Präsident – 1961) in seinem Film nicht so mit Erklären. Seine Figuren sind reine Funktions-Figuren. Es gibt die Polizisten, den Mörder – der hat zur dämonischeren Darstellung ein furchtbar schief sitzendes Glasauge – die Opfer, den Killer und die Passanten, die im Weg stehen. Verneuil legt keinen Wert auf eine soziale Verortung seiner Figuren. Über das erste Frauenopfer erfahren wir ein paar Zeilen Lebensgeschichte; dies aber auch nur, weil das Drehbuch erklären muss, warum der Commissaire plötzlich an einer Hausfassade im fünften Stock hängt. "Peur sur la ville" ist ein physischer Film, immer in Bewegung, mit einem Hauptdarsteller, der lebensbedrohlich wirkende Verfolgungsjagden präsentiert. Ein Männerfilm, Frauen spielen hier nur als Opfer eine Rolle.
Jean-Paul Belmondo hat schon früher gerne gezeigt, was für ein wagemutiger Hallodri er ist. Im vorliegenden Film treibt ihn die Geschichte an Häuserfassaden, auf rutschige Dächer hoch über dem Pariser Straßenverkehr – wobei wahrlich atemberaubende Aufnahmen entstanden sind –, auf das Dach einer fahrenden Metro und in einen Hubschrauber, von dem er sich abseilen lässt.
Und immer wieder gibt es Verfolgungen mit dem Auto oder zu Fuß durch die Sehenswürdigkeiten der Weltstadt Paris. Zwischen diesen Szenen, die alle beeindruckend sind, weil keine davon in einem Studio, sondern alles an Originalschauplätzen gedreht worden scheint und so aussieht, als sei das im normal fließenden Verkehr entstanden, wird die Mörderjagd erzählt. Die ist mäßig spannend, weil nicht klar ist, was den Frauenmörder eigentlich umtreibt. Er will die amoralischen Ausschweifungen der Frauen bestrafen, liefert sich aber gleichzeitig ein Duell mit der Polizei, indem er ihr und der Presse Hinweise und Fotos schickt, die Körperteile von ihm preisgeben. Warum will er gefasst werden? Die Eitelkeit des Glasaugenmannes, dessen Identität der Zuschauer bald gezeigt bekommt, bleibt unerklärt.
Dafür sorgt zumindest einer seiner Morde für emotionale Schwankungen im Kinopublikum, auch wenn die bei Licht betrachtet schwachsinnig ist: Eine Belmondo-Figur braucht eine beeindruckte Frau an seiner Seite – in einer Geschichte, in der Frauen nur als Opfer vorgesehen sind, ist das schwierig. Also gibt es da eine Krankenschwester, die bedroht ist und also vom Commissaire in deren Wohnung bewacht wird. Beide gehen sich fürchterlich auf den Wecker – der Commissaire hat keine Lust auf diesen Frauenmörder-Fall; die Krankenschwester findet diesen Cowboy mit dem Gehirn eines 8-jährigen nervtötend. Aber nach fünf Filmminuten wären beide im Bett gelandet, wenn nicht ein Anruf dazwischengekommen wäre, der in der Folge den Tod der Krankenschwester bedeutet.
"Peur sur la ville" ist insofern ein innovativer Film, weil er seinen Star in den Mittelpunkt stellt und dem alles andere unterordnet. Belmondo ist der Film; nicht die Geschichte über irre um sich ballernde Bankräuber und monströse Frauenmörder. Die existieren nur, damit der Held in Bewegung kommt. In möglichst spektakuläre Bewegung.
Jean-Paul Belmondo im Kino
Jean-Paul Belmondo (* 9. April 1933 in Neuilly-sur-Seine; † 6. September 2021 in Paris) war ein französischer Film– und Theaterschauspieler. Er wurde ab den späten 1950er Jahren zunächst als Darsteller innerhalb der Nouvelle Vague bekannt. Ab Mitte der 1960er Jahre war er zwei Jahrzehnte lang als Komödiant und agiler Held actionbetonter Filme einer der erfolgreichsten Stars des europäischen Kinos.
- À pied, à cheval et en voiture (1957)
- Sonntagsfreunde (1958)
- Sei schön und halt den Mund (1958)
- Die sich selbst betrügen (1958)
- Leben und lieben lassen (1958)
- Ein Engel auf Erden (1959)
- Schritte ohne Spur (1959)
- Ausser Atem (1960)
- Der Panther wird gehetzt (1960)
- Stunden voller Zärtlichkeit (1960)
- Die Französin und die Liebe (1960)
- Die Nacht vor dem Gelübde (1960)
- … und dennoch leben sie (1960)
- Das Haus in der Via Roma (1961)
- Eine Frau ist eine Frau (1961)
- Eva und der Priester (1961)
- Galante Liebesgeschichten (1961)
- Sie nannten ihn Rocca (1961)
- Mit meinen Augen (1961)
- Riviera-Story (1961)
- Cartouche, der Bandit (1962)
- Ein Affe im Winter (1962)
- Der Teufel mit der weißen Weste (1962)
- Verrückte Seefahrt (1963)
- Bonbons mit Pfeffer (1963)
- Heißes Pflaster (1963)
- Die Millionen eines Gehetzten (1963)
- Abenteuer in Rio (1964)
- 100.000 Dollar in der Sonne (1964)
- Der Boss hat sich was ausgedacht (1964)
- Jagd auf Männer (1964)
- Dünkirchen 2. Juni 1940 (1964)
- An einem heißen Sommermorgen (1965)
- Elf Uhr nachts – Pierrot le Fou (1965)
- Die tollen Abenteuer des Monsieur L. (1965)
- Geliebter Schuft (1966)
- Brennt Paris? (1966)
- Der Dieb von Paris (1967)
- Casino Royale (1967)
- Ho! (1968)
- Das Superhirn (1969)
- Das Geheimnis der falschen Braut (1969)
- Dieu a choisi Paris (1969)
- Der Mann, der mir gefällt (1969)
- Borsalino (1970)
- Musketier mit Hieb und Stich (1971)
- Der Coup (1971)
- Der Halunke (1972)
- Der Mann aus Marseille (1972)
- Der Erbe (1973)
- Le Magnifique (1973)
- Stavisky (1974)
- Angst über der Stadt (1975)
- Der Unverbesserliche (1975)
- Der Greifer (1976)
- Der Körper meines Feindes (1976)
- Ein irrer Typ (1977)
- Der Windhund (1979)
- Der Puppenspieler (1980)
- Der Profi (1981)
- Das As der Asse (1982)
- Der Außenseiter (1983)
- Die Glorreichen (1984)
- Fröhliche Ostern (1984)
- Der Boss (1985)
- Der Profi 2 (1987)
- Der Löwe (1988)
- Der Unbekannte (1992)
- 101 Nacht - Die Träume des M. Cinema (1995)
- Les Misérables (1995)
- Désiré (1995)
- Alle meine Väter (1998)
- Peut-être (1999)
- Les acteurs (2000)
- Amazone (2000)
- Ein Mann und sein Hund (2008)