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Plakatmotiv: Der Erbe (1973)

Politthriller aus einem
mörderischen Europa

Titel Der Erbe
(L'héritier)
Drehbuch Philippe Labro & Jacques Lanzmann
Regie Philippe Labro, Frankreich, Italien 1973
Darsteller

Jean-Paul Belmondo, Carla Gravina, Jean Rochefort, Charles Denner, Jean Desailly, Jean Martin, Maurice Garrel, Pierre Grasset, Maureen Kerwin, François Chaumette, Michel Beaune, Marcel Cuvelier, Fosco Giachetti, Anna Orso, Paul Amiot, Pierre Dominique, Fernand Guiot, Michel Cassagne u.a.

Genre Action, Drama
Filmlänge 112 Minuten
Deutschlandstart
21. September 1973
Inhalt

Als Barthelemy "Bart" Cordell das Erbe seines Vaters antritt, wird er Herr über ein Konglomerat verschiedener Industrien und eines Pressehauses, das eine von seinem Vater gegründete, meinungsstarke Zeitung herausgibt.

Der Tod des Vaters bei einem Flugzeugabsturz gibt Rätsel auf; seine Maschine explodierte über den Alpen. Für den 37-jährigen als Playboy bekannten Bart beginnt eine Zeit schwieriger Verhandlungen um die Fortsetzung der väterlichen Geschäfte. Kaum jemand in der Öffentlichkeit weiß, wie gut Barthelemy sich bereits in der Welt der großen Unternehmer auskennt. Und dass er mit der Italienerin Giovanella verheiratet ist und einen Sohn namens Hugo hat.

Zurück in Frankreich entkommt er mehreren Mordanschlägen. Bart engagiert einen Detektiv, der herausfinden soll, was den Flugzeugabsturz verursacht hat. Bei seinen Recherchen stolpert er über Luigi Galazzi, mächtiger italienischer Großindustrieller – und sein Schwiegervater …

Was zu sagen wäre

Ein französischer, in Amerika sozialisierter Playboy und Erbe eines Industrievermögens, kehrt heim nach Frankreich und befreit sein Land aus den Fesseln des im Nachkriegseuropa verankerten Frankreich. Jean-Paul Belmondo spielt diesen Erben gewohnt viril, in elegantem Nadelstreifen.

Es gehört zum französischen Ton, dass jemand wie Belmondo einer attraktiven Frau, die hier eine Angestellte bei ihm ist, gleich beim ersten Treffen erklärt, dass er jetzt mit ihr schlafen wolle. Sie biegt das ab, darf ihn altmodisch nennen und unverrichteter Dinge stehen lassen. Aber da hat er ja fünf Filmminuten vorher gerade erst eine Frau im Flugzeug vernascht.

Den Spagat zwischen Playboy und Industriellem spielt Belmondo unter Philippe Labros Regie souverän. Er kennt sich aus mit diesem Typ Mann. Er ist einer ohne Eigenschaften. Als er in Frankreich landet, wissen wir "Playboy", "Sportskanone", "ehemaliger Soldat“ und "Erbe", das zeigen uns kurze Bilderschnipsel, die Labro mehrfach unvermittelt in die laufende Handlung montiert – eine Art Expressionismus per Bildschnitt. Warum Barthélemy, der vom Vater verachtete Sohn mit dem Playboy-Image, dann so ganz anders ist als erwartet, wieso er so gut über die Interna des geerbten Unternehmens, an dem er nie Interesse zeigte unterrichtet ist, wieso er sich für seinen ungeliebten Vater in seine Gegner verbeißt, lässt der Film offen – a man has got to do what a man 's got to do.

Ein Hauch Geheimnis umweht diesen Erben, das ihm der Film über den Abspann hinaus lässt, ihn zu einer metaphorischen Figur macht. Dieser Erbe steht nicht für sich. Er steht für das junge Frankreich.

Wenn der Abspann läuft, wissen wir kaum mehr über Barthélemy, den alle "Bart" nennen, aber er hat die genannten Attribute bestätigt, hat Frauen eifersüchtig gemacht, sportlich Gegner niedergerungen und mit dem nötigen Ernst ein dem Staatshaushalt verpflichtendes Erbe angetreten. Letzteres aber in einer Gesellschaft, die Demokratie und Für Frankreich predigt und sich den Weg zu Macht und Genuss mit Waffengewalt frei macht. 1960 war Belmondo schon mal auf solche Typen gestoßen. Damals, in Der Panther wird gehetzt, waren das ehemalige Gangster, Waffenschieber und Alkoholschmuggler, die ihr Geld ins Trockene getrickst hatten.

In "Der Erbe" kommen die politisch und wirtschaftlich Mächtigen aus Zirkeln, die ihre Macht unter Nazis im Vichi-Regime gefestigt haben und heute ihre Finger tief in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft haben – in der Montanunion, die ihren Mitgliedstaaten (u.a. Frankreich, Deutschland, Italien) Zugang zu Kohle und Stahl gewährt, ohne Zoll zahlen zu müssen, ist viel Geld zu holen. Plakatmotiv: Der Erbe (1973) Gedungene Killer spielen hier ebenso mit wie ehrenwerte Halbweltler, Industrietycoone und Minister im Élysee.

Am Anfang ist niemandem zu trauen, nicht einmal Barts freundschaftlich verbundenem Privatsekretär David, den François Truffauts Favorit Charles Denner spielt; Denner hat Übung in der Darstellung zweischneidiger Figuren (Ein schönes Mädchen wie ich – 1972; Musketier mit Hieb und Stich – 1971; "Z – Anatomie eines politischen Mordes" – 1969; Die Braut trug schwarz – 1968; Der Dieb von Paris – 1967; "Der Frauenmörder von Paris" – 1963; Fahrstuhl zum Schafott – 1958). Dieser David, dessen Familienname "Loweinstein" auf jüdische Herkunft schließen lässt, was im weiteren geschichtlichen Zusammenhang des Dramas nicht unwichtig ist, entpuppt sich als loyaler Assistent, Freund und wahlweise Kumpel zum Herumalbern.

Frauen schenkt Barthélemy Rosen und lässt sich vorher von einer erklären, wie viele Rosen es für welchen Gefühlsstand sein sollten, schlafen tut er mit jeder gar „nur einmal“, wie er gleich deutlich macht. Mit David aber teilt er Tisch, Badewanne und (Etagen-)Bett seit vielen Jahren. Der Lebemann aus früheren Filmen hat seinen französischen Charme an der Garderobe gelassen. Er hat harte Entscheidungen zu fällen und für diese setzt er auf die Männer um ihn herum.

Während sich die Medien aus dem eigenen Konzern an einem Porträt über den Erben versuchen, nimmt Barthélemy eben diesen Konzern in Augenschein und irritiert das obere Management und die Politik „mit linken Ideen“. Er will direkt mit seinen Stahlarbeitern reden, nicht mit institutionalisierten Arbeitnehmervertretern, und ihnen mehr zahlen, als bislang üblich ist. Damit bringt der Neue unter den Großindustriellen Balancen ins Wanken, auf denen es sich eingespielte Akteure bequem gemacht haben. Auch Frankreich soll von diesem aus dem modernen Amerika heimgekehrten Auserwählten zu einem neuen Frankreich bekehrt werden.

Es steckt eine politische Nachricht in diesem Thriller: Das junge Nachkriegs-Frankreich (Industrie und Medien) soll sich von der Vergangenheit (Barts Vater) lösen, mit frischen Ideen (Barthélemy) eine neue, eigene Raison d'être definieren und dann in Europa seinen Platz (möglichst) an der Spitze erkämpfen – gegen böse Mächte aus Deutschland und Italien, die, zumindest im Film, mit kalter Gewalt dagegenhalten.

Wertung: 7 von 8 D-Mark
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