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Plakatmotiv: Außer Atem (1960)

Nichts ist so irreal, nichts ist
so fantastisch wie das Kino

Titel Außer Atem
(À bout de souffle)
Drehbuch Francois Truffaut
Regie Jean Luc Godard, Frankreich 1960
Darsteller

Jean Seberg, Jean-Paul Belmondo, Daniel Boulanger, Henri-Jacques Huet, Roger Hanin, Van Doude, Claude Mansard, Liliane Dreyfus, Michel Fabre, Jean-Pierre Melville, Jean-Luc Godard, Richard Balducci, André S. Labarthe, François Moreuil u.a.

Genre Crime, Drama
Filmlänge 90 Minuten
Deutschlandstart
5. Juli 1960
Inhalt

Der Kleinkriminelle Michel hat ein Auto gestohlen und fährt damit durch Frankreich. Als er bei einer Verkehrskontrolle einen Polizisten erschießt, wird aus dem Spaß bitterer Ernst. Michel ist fortan auf der Flucht vor der Polizei.

In Paris findet er Unterschlupf bei der amerikanischen Studentin Patricia, die er zuvor in Südfrankreich kennengelernt hat. Er verliebt sich in sie und versucht mit ihrer Hilfe genügend Geld für die gemeinsame Flucht nach Italien aufzutreiben. Doch die Polizei ist ihm schon dicht auf den Fersen und auch Patricia weiß nicht, ob sie wirklich mit ihm kommen will …

Was zu sagen wäre

Ein Typ klaut ein Auto und erschießt nach drei Filmminuten einen Streifenpolizisten. Er donnert über Landstraßen, hupt langsamer fahrende Autos an und schwärmt von der Schönheit der Landschaft. Schließlich dreht er sich in die Kamera, immer die Zigarette im Mundwinkel und sagt: „Sie können mich mal!“ Nein, sympathisch ist der Typ nicht. Und er will auch gar nicht, dass wir ihn sympathisch finden. Plakatmotiv: Außer Atem (1960) Aber er ist die Hauptfigur in diesem Film, der eine ironisch gebrochene Hommage an den Film Noir aus den USA ist, der dort in den 40er Jahren erfolgreich produziert wurde. Einer seiner Stars war Humphrey Bogart, den der Autodieb und Polizistenmörder Michel in "À bout de Souffle" immer wieder in Gestik und Mimik kopiert. Michel ist ein Verlierer, anders als Bogart, der in seinen Filmen stets der harte Bursche, ein Gewinner war. Godards "Held" ist einer, der das amerikanische Lebensmodell lebt: Alles oder Nichts. Sicherheiten sind was für Spießer. Müsste er sich entscheiden zwischen Leiden oder Nichts, entschiede er sich für das Nichts, denn Leiden sei ein Kompromiss. Michel lebt von der Hand in den Mund, klaut sich seine Traumautos einfach, statt dafür zu arbeiten, und erledigt zwischendrin Jobs, deren Rechtschaffenheit man besser nicht hinterfragt, für Typen, denen man besser keine dummen Fragen stellt.

Jean Luc Godard, von dem der Satz „Alles, was man für einen Film braucht, ist eine Knarre und ein Mädchen“ überliefert ist, hat einen ganz außergewöhnlichen Film gedreht. Eine unsympathische Hauptfigur, die uns in seiner Filouhaftigkeit – er will zwar Geld abholen, aber in Paris ist er nur der Liebe wegen – doch sympathisch ist, ist nur das eine. Godard, dessen erster Langfilm dies ist (nach drei Kurzfilmen) bricht mit allen ästhetischen Regeln, die das Filmgeschäft im Laufe der Jahrzehnte entwickelt hat. Er schneidet mitten in Dialogen, sodass diese nicht mehr lippensynchron laufen sondern eher als Offtext funktionieren; er schneidet nicht in eine andere Kameraperspektive, er schneidet aus derselben Perspektive einfach ein paar Frames raus – Jump Cut nennen die Techniker das; vor allem aber meidet Godard das Filmstudio und dessen künstlich perfekte Beleuchtung. Er dreht mit der Handkamera ohne Stativ. Auf der Straße, mitten im Gewusel. Nicht, wie die Anderen im Studio, wo man alles – Bild, Ton, Wetter, Komparsen – unter Kontrolle hatte. Godard will das Leben dort drehen, „wo es ist“, sagt er in einem Interview. Die "Filmschau", das Filmkritik-Organ der Katholischen Filmkommission für Österreich sah sich empört genötigt „vor dem Schlamm“ zu warnen, „den die Ausläufer der Neuen Welle nunmehr in unsere Kinos schwemmen wollen. Abzulehnen.

Dabei ist Godards Tritt gegen das Schienbein der Ästheten absolut notwendig. Sein Film von der Straße entfacht Dynamik in seinen Szenen. Immer wieder schauen unbeteiligte Passanten in die Kamera, weil sie nicht verstehen, was vor ihren Augen gerade passiert. Plakatmotiv: Außer Atem (1960)Dreharbeiten“, sowas findet im Fernsehen statt. Aber jetzt sitze ich im Kinosessel – allerdings etwa 20 Jahre später. 1960 war ich noch nicht geboren – und fühle mich, als sei ich mitten in Paris auf den Champs Elysée mit der reizenden amerikanischen Zeitungsverkäuferin Patricia. Draußen zu drehen, wo das Leben ist, heißt eben auch, die unverwechselbaren Töne aufzunehmen, die im Studio nicht reproduzierbar sind und deshalb im Film jener Zeit so oft wegfallen.

Neben der klaren Kriminalhandlung – Autodiebstahl, Mord, Fahndung, Flucht vor der Polizei – dreht Godard mit seinen Protagonisten Pirouetten. Ausführlich diskutieren Jean Seberg und Jean-Paul Belmondo Sinnkrisen und philosophische Betrachtungen. „Ich weiß nicht, ob ich unglücklich bin, weil ich nicht frei bin, oder ob ich nicht frei bin, weil ich unglücklich bin“, sagt Patricia einmal. Der Film entstand 1960, als der Existenzialismus in Frankreich populär war. Viele Dialoge wirken wie vor Ort spontan entstanden. Vor allem auf den belebten Straßen von Paris, wenn Godard Seberg und Belmondo minutenlang agieren und die Kamera einfach mitlaufen lässt. Die beiden spielen ein Paar, das sich irgendwie in Liebe vereint sieht, interessanterweise er mehr als sie (normalerweise ist das im Kino jener Zeit eher umgekehrt). Dass sie aber nicht zusammenpassen, macht Godards Drehbuchautor François Truffaut in spitzen Dialogen deutlich. Sie fragt, ob er William Faulkner kennt und er fragt zurück, ob sie mit dem geschlafen habe. Wenn sie mit ihm über ein Bild sprechen will, das sie gerade aufhängt, bleibt er stumm und grabscht nach ihrem Hintern. Wenn an diesem Film etwas wie üblich ist, dann, dass er früh klar macht, dass aus diesen beiden kein Happy End erwächst.

Auch Humphrey Bogart ist in seinen Films Noir hier und da mal erschossen worden. Aber dann hat er lieber nichts mehr gesagt als das, was Michel sagt, als er in seinem Blut liegt: „Das ist wirklich zum Kotzen.“ Anders ausgedrückt: Nichts ist so irreal wie das Kino.

Wertung: 7 von 7 D-Mark
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