IMDB

Plakatmotiv: Der Körper meines Feindes (1976)

Komplexer Thriller, der auf mehreren
Zeitebenen das Porträt einer Stadt entwirft

Titel Der Körper meines Feindes
(Le corps de mon ennemi)
Drehbuch Michel Audiard & Félicien Marceau & Henri Verneuil
nach dem Roman "Le Corps de mon ennemi" von Félicien Marceau
Regie Henri Verneuil, Frankreich 1976
Darsteller

Jean-Paul Belmondo, Bernard Blier, Marie-France Pisier, Charles Gérard, Daniel Ivernel, Claude Brosset, Michel Beaune, François Perrot, René Lefèvre, Nicole Garcia, Yvonne Gaudeau, Suzy Prim, Jean Dasté, Jacques David, Jean Turlier u.a.

Genre Crime, Drama
Filmlänge 116 Minuten
Deutschlandstart
28. Januar 1977
Inhalt

Francois Leclercq, Sohn eines Arbeiters, verführt Gilberte, Tochter des Textilunternehmers Liégard, der in der Kleinstadt im Norden Frankreichs regiert. Als Francois' Vater für den Posten des Bürgermeisters kandidiert, vernichtet Liégard Vater und Sohn, indem er Francois den Doppelmord an einem Fußballspieler und einer Frau unterschiebt.

Nach sieben Jahren kehrt Francois aus dem Gefängnis in seine Heimatstadt zurück, versucht Licht ins Dunkel zu bringen. Leclercq ist davon überzeugt, dass er einer Intrige zum Opfer gefallen ist, deren Urheber in den Kreisen der Textilindustrie zu suchen sind. Er beginnt einen blutigen Rachefeldzug, hetzt Liégards Partner gegen den Unternehmer auf, der von zwei Killern auf dem Golfplatz erschossen wird. Francois kehrt der Kleinstadt den Rücken …

Was zu sagen wäre

Ein Mann kehrt nach langem Bußgang heim und nimmt Rache. Das ist ein beliebtes Motiv sowohl im amerikanischen Gangsterfilm als auch – natürlich – im Western, in dem der lonely Rider die Stadt aufzumischen gedenkt. Sein Gegenspieler ist je nach Genre der Casinobetreiber oder der Viehbaron.

Henri Verneuil (Angst über der Stadt – 1975; Der Coup – 1971; Der Clan der Sizilianer – 1969; Dünkirchen, 2. Juni 1940 – 1964; Der Präsident – 1961) baut ein komplexes Porträt einer Stadtgesellschaft auf. Die Textilindustrie ist hier groß, daher können wir annehmen, dass es sich um Mühlhausen (franz. Mulhouse) handeln könnte. Der Viehbaron in dieser Stadt ist der Unternehmer Liégard. Er hält die Fäden in der Hand, unterhält einen eigenen Fußballclub, um die Einwohner, die gleichzeitig seine Arbeitskräfte sind, bei Laune zu halten: „Wenn Euer Stürmer Coujak nicht Ungar wäre, würde ich ihn in meinen Wahlkampf einbauen. Aber so ...?“ „Mein lieber Liégard. Beim nächsten Mal kaufen Sie einen Franzosen.“ „Mein lieber (Bürgermeister) Degas, bei allem Respekt, aber jedes Tor, das dieser Zigeuner schießt, wiegt mehr, als Deine allerbesten Reden.“ „Lass den Jungen in Ruh'“, ruft die Frau des Textifabrikanten dazwischen. „Für Fußball interessieren sich doch nur Politiker, Knaben und die, die Fußbälle verkaufen!“ Henri Verneuil porträtiert eine degenerierte Gesellschaft, sehr zum Lustgewinn des Zuschauers im Kinosessel, der sich seine Klischees über die da oben gerne bestätigen lässt. Und Francois wird zum Spielball der reichen und schönen Demoiselles: „Spiel woanders!

Plakatmotiv (Fr.): Le corps de mon ennemi – Der Körper meines Feindes (1976)Das ist originell erzählt. Verneuil versucht, ohne Behauptung durch seinen Film zu kommen, springt unangekündigt zwischen heute und früher und noch früher hin und her, um alles im Bild – nicht im Dialog – zu erzählen. Daraus entwickelt sich ein zynischer Blick auf die französische Gesellschaft, in der die Reichen am Tisch die Macht haben und die Armen nicht – weil sie für die Krümel vom Tisch der Reichen arbeiten müssen. Der ehrbare, die moralischen Werte der Familie noch haltende Bürgermeister erweist sich als transsexueller Lustknabe, der Fabrikant als mörderischer Strippenzieher und allerlei Damen der Gesellschaft als koksende Opfer des Patriarchats, Material für geschäftlich lukrative eheliche Verbindungen: „Louis, Sohn des Botschafters. Der Ärmste legt mir seit vier Jahren sein Herz, seinen Namen und sein Vermögen zu Füßen.“ „Habe ich Grund, mich zu sorgen?“ „Nicht mehr als ich, wenn unsere Blonde nicht aufhört, Dich anzuglotzten.“ Schnitt auf eine junge Blonde, die von einem amtlichen Halbglatzenträger befingert wird. „Du kriegst einen Fußtritt, wenn Du mich auch noch fragst, welche!“ Verneuil schafft hier in wunderbarer Form Miniaturen ätzender Sozialkritik, die in einem Belmondo-Film ganz unerwartet sind. Zumal die junge Blondine vorgestellt wird als „Marie-Adélaïde de Chanteloup. Einer ihrer Vorfahren gab den Engländern in der Schlacht von Fontenoid als erster den Schießbefehl. Zwei Vorfahren guillotiniert. Großmama Marquise. Wirklich eine Traumfrau. Allerdings nur zum träumen. Ich sag das nur, damit Du nicht umsonst Deine Zeit vertust.“ „Ich kenne meine Grenzen“, sagt der Underdog. „Ihr seid unmöglich, Ihr beiden“, schimpft Schwiegermama in Spe. „Was habt Ihr dauernd zu tuscheln?“ „Wir haben ein paar Boshaftigkeiten ausgetauscht, Madame“, sagt der junge Mann mit Belmondos ganzem Esprit und voller Freude an höfischer Verachtung. „Hihihi, das kann ich gut verstehen!“, sagte Madame.

Verneuils Montage setzt seinem Vorgänger Angst über der Stadt in der Komplexität noch einen drauf. Schon im Titelvorspann macht er klar, dass es im folgenden Film um einen einzigen Mann geht. Belmondo steigt aus dem Zug und verlässt den Bahnhof. Verneuil zeigt das nicht in verschiedenen, oder gar nur einer Einstellung. Er montiert einzelne Stills dieses Wegs aneinander. Das bringt die Hauptfigur noch mehr in den Mittelpunkt, als jede Bewegung. Dazu klingt der melancholische Score von Francis Lai aus den Boxen und verwirren die ersten, schnellen Rückblenden, die wir als solche erst nach einem Augenblick erkennen – eine Reverenz an den Belmondo–Thriller Der Erbe (1973), mit dem Philippe Labro den Stakkato-Rückblick als expressionistisches Stilmittel etablierte. Wenn der Held am Ende des Vorspanns ins Taxi steigt und fragt, ob es dieses eine bestimmte Hotel noch gibt, ist klar: Dies ist eine Rache-Story.

Und also lehnen wir uns zurück und schauen zu, wie Jean-Paul Belmondo eine Stadt aus den Angeln hebt. Dazu finden sich Henri Verneuils Experimente liebende Regieführung und Michel Audiards brillante Dialoge zu einem gelungenen Ganzen zusammen.

Wertung: 8 von 9 D-Mark
IMDB