Marseille, 1934: Der junge Kriminelle Roberto Borgo kommt nach Marseille, um seinem Freund Xavier Saratov zu helfen. Xavier und er hatten eine schlechte Kindheit in einem Waisenhaus, in dem der Herbergsvater seine eigenen Gelüste befriedigte. Heute ist dieser Herbergsvater mit Xaviers Schwester Giorgia liiert.
Roberto kann nicht verhindern, dass Xavier zu 20 Jahren Zwangsarbeit verurteilt wird; dafür erschießt er den Gangsterboss Villanova, der Xavier ins Gefängnis brachte, und tritt selber an die Spitze eines Syndikats. Das Geld, das die kriminelle Organisation in Spielhöllen und an der Prostitution verdient, ruft amerikanische Gangster auf den Plan. Roberto verteidigt sein Imperium gegen sie, eine blutige Schießerei trägt ihm ebenfalls eine lange Haftstrafe ein. Er kommt in dieselbe Strafanstalt wie Xavier; ein Versuch Giorgias, die beiden zu befreien, schlägt fehl.
Jahre vergehen. Als der Zweite Weltkrieg vorüber ist, sucht man in den Gefängnissen Freiwillige, die verminte Strände an den französischen Küsten säubern sollen. Um begnadigt zu werden, melden sich Roberto und Xavier zu diesem Himmelfahrtskommando. Xavier bezahlt die vorzeitige Freilassung mit dem Verlust eines Armes; als die beiden wieder ins Milieu zurückkehren, hat sich dort einiges verändert …
Da weiß ein Kinoregisseur nicht, was er will. José Giovanni verfilmt den Roman, den er selbst geschrieben und mit eigenen Erlebnissen gefüllt hat. Aber er weiß nicht, wie er das dramaturgisch verpacken soll. Der Film gehört zum Fluch von Godards Außer Atem (1960). Godard hatte damals alle Regeln für das filmische Erzählen über Bord geworfen und, teils aus Geldmangel, teils aus Instinkt, einfach gemacht. Er inszenierte, ohne sich über die Rezeption der Feuilleton-Fürsten Gedanken zu machen und hatte Erfolg. Das scheint sich in der französischen Filmindustrie, die sich selbst nie als Industrie bezeichnen würde, herumgesprochen zu haben. Giovannis Film ignoriert also alle Standards der Filmdramaturgie. Und das geht dramatisch in die Hose.
Godard hat technische Regeln ignoriert und, weil er seinen Film von 150 auf 90 Minuten kürzen sollte, irgendwann einfach Bilder aus der Mitte rausgeschnitten. Das brachte Herausforderungen für einzelne Szenen, machte aber die Filmstory als Ganzes nicht kaputt. Giovanni aber experimentiert am Fluss der Story. Da taucht dann Monsieur Belmondo auf, den wir schon länger als charmanten, ausgebufften Kinohelden kennen – vor allem aus Godards À bout de soufle – und der schießt erst einmal ein paar Nadelstreifengangster aus dem Weg; das macht ihn zu einer Unterweltgröße in Marseille. Das aber ist gar nicht seine Motivation.
Eigentlich will er seinen Freund vor dem Gefängnis bewahren, der wegen der eben beseitigten schurkischen Buben überhaupt erst vor dem Richter gelandet ist. Dieser Freund hat eine attraktive Schwester, Claudia Cardinale spielt sie (Das rote Zelt – 1969; Spiel mir das Lied vom Tod – 1968; Die gefürchteten Vier – 1966; Held der Arena – 1964; Der rosarote Panther – 1963; Der Leopard – 1963; Cartouche, der Bandit – 1962; Rocco und seine Brüder – 1960), mit der Belmondo, der im Film Roberto heißt, irgendwie ein Liebesverhältnis hat, die aber gleichzeitig mit einem Typen verheiratet ist, der früher Chef in einem Heim für Waisenkinder war und der dort offenbar sehr schweinisch mit den Kindern umgegangen ist. Daraus können wir uns im Kinosessel die tiefe Freundschaft erklären zwischen Roberto und Xavier. Aber wir können uns die Figuren nicht erklären. Denn kaum hat sich Roberto selbst ins Gefängnis bugsiert, um seinen Kumpel zu befreien, bricht der Zweite Weltkrieg aus, streiten sich SA und Resistance und passieren allerlei historische Dinge, die alles, was wir vorher gesehen haben, überflüssig machen. Es geht von vorne los. Als hätte es die erste Filmstunde nicht gegeben.
José Giovanni, der schon lange im Filmgeschäft arbeitet, 1960 das Drehbuch für den Lino-Ventura-Jean-Paul-Belmondo-Krimi Der Panther wird gehetzt geschrieben hat, reiht Szene an Szene, die in der Rückschau einen roten Faden erahnen lassen, uns im Kinosessel während des Films aber allein lassen. Er vertraut darauf, dass wir der Belmondo-Figur folgen, weil sie eben von Belmondo gespielt wird. Giovannis Drehbuch ignoriert, dass der Zuschauer im Kinosessel einem Film nicht einfach folgt, weil dessen Hersteller sagt, er verfilme selbst Erlebtes. Giovanni bietet weder eine Identifikationsfigur, noch einen dramaturgischen Bogen. Wir sind seinem Film im Sinne des Wortes hilflos ausgeliefert. Es passiert das, dann passiert das, dann das – hey: Guck einfach zu!
Und irgendwann beginnt der Abspann, der uns sagt, dass der Film zu Ende ist. Ohne die Nennung von Maskenbildnern, Regieassistenten und Kameraleuten, die in weißen Buchstaben ins Bild gestanzt sind, würde das kaum auffallen.
Jean-Paul Belmondo im Kino
Jean-Paul Belmondo (* 9. April 1933 in Neuilly-sur-Seine; † 6. September 2021 in Paris) war ein französischer Film– und Theaterschauspieler. Er wurde ab den späten 1950er Jahren zunächst als Darsteller innerhalb der Nouvelle Vague bekannt. Ab Mitte der 1960er Jahre war er zwei Jahrzehnte lang als Komödiant und agiler Held actionbetonter Filme einer der erfolgreichsten Stars des europäischen Kinos.
- À pied, à cheval et en voiture (1957)
- Sonntagsfreunde (1958)
- Sei schön und halt den Mund (1958)
- Die sich selbst betrügen (1958)
- Leben und lieben lassen (1958)
- Ein Engel auf Erden (1959)
- Schritte ohne Spur (1959)
- Ausser Atem (1960)
- Der Panther wird gehetzt (1960)
- Stunden voller Zärtlichkeit (1960)
- Die Französin und die Liebe (1960)
- Die Nacht vor dem Gelübde (1960)
- … und dennoch leben sie (1960)
- Das Haus in der Via Roma (1961)
- Eine Frau ist eine Frau (1961)
- Eva und der Priester (1961)
- Galante Liebesgeschichten (1961)
- Sie nannten ihn Rocca (1961)
- Mit meinen Augen (1961)
- Riviera-Story (1961)
- Cartouche, der Bandit (1962)
- Ein Affe im Winter (1962)
- Der Teufel mit der weißen Weste (1962)
- Verrückte Seefahrt (1963)
- Bonbons mit Pfeffer (1963)
- Heißes Pflaster (1963)
- Die Millionen eines Gehetzten (1963)
- Abenteuer in Rio (1964)
- 100.000 Dollar in der Sonne (1964)
- Der Boss hat sich was ausgedacht (1964)
- Jagd auf Männer (1964)
- Dünkirchen 2. Juni 1940 (1964)
- An einem heißen Sommermorgen (1965)
- Elf Uhr nachts – Pierrot le Fou (1965)
- Die tollen Abenteuer des Monsieur L. (1965)
- Geliebter Schuft (1966)
- Brennt Paris? (1966)
- Der Dieb von Paris (1967)
- Casino Royale (1967)
- Ho! (1968)
- Das Superhirn (1969)
- Das Geheimnis der falschen Braut (1969)
- Dieu a choisi Paris (1969)
- Der Mann, der mir gefällt (1969)
- Borsalino (1970)
- Musketier mit Hieb und Stich (1971)
- Der Coup (1971)
- Der Halunke (1972)
- Der Mann aus Marseille (1972)
- Der Erbe (1973)
- Le Magnifique (1973)
- Stavisky (1974)
- Angst über der Stadt (1975)
- Der Unverbesserliche (1975)
- Der Greifer (1976)
- Der Körper meines Feindes (1976)
- Ein irrer Typ (1977)
- Der Windhund (1979)
- Der Puppenspieler (1980)
- Der Profi (1981)
- Das As der Asse (1982)
- Der Außenseiter (1983)
- Die Glorreichen (1984)
- Fröhliche Ostern (1984)
- Der Boss (1985)
- Der Profi 2 (1987)
- Der Löwe (1988)
- Der Unbekannte (1992)
- 101 Nacht - Die Träume des M. Cinema (1995)
- Les Misérables (1995)
- Désiré (1995)
- Alle meine Väter (1998)
- Peut-être (1999)
- Les acteurs (2000)
- Amazone (2000)
- Ein Mann und sein Hund (2008)