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Plakatmotiv: Les Misérables (1995)

Bildersattes Kino für
die große Leinwand

Titel Les Misérables
(Les Misérables)
Drehbuch Claude Lelouch
nach dem gleichnamigen Roman von Victor Hugo
Regie Claude Lelouch, Frankreich 1995
Darsteller

Jean-Paul Belmondo, Michel Boujenah, Alessandra Martines, Salomé Lelouch, Annie Girardot, Philippe Léotard, Clémentine Célarié, Philippe Khorsand, Ticky Holgado, Rufus, Nicole Croisille, William Leymergie, Jean Marais, Micheline Presle, Darry Cowl, Daniel Toscan du Plantier, Antoine Duléry, Jacques Gamblin u.a.

Genre Drama
Filmlänge 175 Minuten
Deutschlandstart
20.Oktober 2002 (TV-Premiere)
Inhalt

Die Neujahrsnacht des Jahres 1900: Henri Fortin wird unter dem Verdacht, den Grafen von Villeneuve getötet zu haben, ins Gefängnis geworfen – in Wahrheit beging der Graf Suizid. Während Henri im Gefängnis ist, finden seine Frau Catherine und sein Sohn Léopold Zuflucht in der Normandie.

Dort arbeitet Catherine als Kellnerin in einer Taverne von Monsieur Thénardier und verkauft wegen ihrer Geldsorgen ihre Haare und bisweilen auch sich selbst. Währenddessen sieht Léopold, den sie zu Ehren ihres Mannes in Henri umbenennt, bei den Boxwettkämpfen in der Kneipe zu. Als der alte Henri Fortin bei einem Fluchtversuch stirbt, nimmt sich auch seine Frau das Leben, und der junge Henri Fortin wächst als Waise auf. Als erwachsener Mann wird er französischer Mittelgewichtsmeister im Boxen.

Den Titel wird er 13 Jahre lang bis 1931 verteidigen und anschließend das Boxen aufgeben. Aufgrund seiner kräftigen Statur vergleichen ihn die Leute immer wieder mit Victor Hugos Romanfigur Jean Valjean. Als Möbelpacker stemmt Henri Fortin einen Flügel wie einst Jean Valjean den Karren. Als er 1940 einer Familie auf der Flucht vor den Nationalsozialisten hilft, lässt er sich den Roman Victor Hugos schließlich vorlesen …

Was zu sagen wäre

Wieder braucht Claude Lelouch, der Altmeister des französischen Kinos ("Alles für die Liebe" – 1993; Der Löwe – 1988; "Ein anderer Mann – eine andere Frau" – 1977; "Die Entführer lassen grüßen" – 1972; "Ein Mann und eine Frau" – 1966), eine Weile, bis er die Fäden seiner komplizierten Menschheitserzählung auf zwei Zeitebenen angezogen hat, um seine Figuren an ihnen tanzen zu lassen.

Lelouch liefert nicht einfach eine weitere Filmversion des gesellschaftspolitisch hochdramatischen Romans von Victor Hugo, den der im Kleid eines Abenteuerromans verpackt hat. Lelouch hat die Handlung, ursprünglich zwischen 1815 und 1832 angesiedelt, in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts verlegt und dafür auch eigenständige Figuren erschaffen. Sie selbst und ihr Umfeld bemerken mit der Zeit ihre Ähnlichkeit mit Hugos Romanfiguren in dieser Geschichte über Ausbeutung und moralische Haltungen.

Der Film startet am Neujahrstag 1900. Da begeht ein verarmter Graf Suizid, was dessen loyalen Chauffeur Henri wegen Mordes auf Jahre ins Gefängnis bringt. Seine Frau und seinen kleinen Sohn zwingt das aus der Armut in bitterste Abhängigkeit und Prostitution. Der kleine Sohn hält den Schicksalsschlägen stand und kommt zu kleinem Wohlstand. Als Umzugsunternehmer und Besitzer eines Lkw hilft er, nachdem die Nazis in Frankreich einmarschiert sind, einer jüdischen Familie zur Flucht und gerät dadurch selbst wieder in die Fänge der Polizei, die ihn beinahe zu Tode foltert, bis er von Männern der Résistance befreit wird.

Parallel zu dieser Erzählung inszeniert Lelouch Auszüge aus Victor Hugos Roman, weil dem tapferen Umzugsunternehmer erzählt wird, er handele „wie Jean Valjean“. Tatsächlich gibt es verschiedene Parallelen zwischen Valjean und Henri. Beide müssen um ihren Stand kämpfen, erleben durch ihre moralischen Ansprüche herbe Rückschläge, lassen sich aber nicht unterkriegen. Bis diese Fäden aus den beiden Zeitebenen aber geknüpft, die Personen nachvollziehbar eingeführt sind, vergeht beinahe eine Stunde, in der Zuschauer, die die ursprüngliche literarische Vorlage oder eine der zahlreichen Verfilmungen nicht kennen – und also die verschiedenen Anspielungen nicht –, orientierungslos durch ein opulent ausgestattetes Bildergestrüpp irren.

Aber dann läuft der Film ja noch zwei weitere Stunden. Und die liefern großes, bildersattes Kino mit einem Jean-Paul Belmondo, der sich aus dem Kinogeschäft weitgehend zurückgezogen hat, aber hier nochmal seine ganz Bandbreite zeigen kann, vom fröhlichen Hallodri bis zum Schmerzensmann, der aus dem Elend kommt; er spielt gleich drei Rollen: Henri-Vater und -Sohn, sowie Jean Valjean. Lelouch beginnt den Film mit einer mehrminütigen Großaufnahme des weinenden Belmondo, der einen Schornsteinfeger um Verzeihung anfleht und darum, zurück zu kommen. Auch hier wieder: Wer Hugos Roman nicht kennt, muss Geduld haben, bis die Situation sich im Film erklärt, aber der augenscheinlich schmerzerfüllte Belmondo in Großaufnahme ist ein beeindruckender Einstieg in diesen Film.

Lelouch treibt seine Zuschauer durch Ausschnitte elender Zeiten zwischen 1815 und 1832, die im Juniaufstand von 1832 gipfeln und durch das von Deutschland besetzte Frankreich, das auf französischer Seite vor allem von Sympathisanten bevölkert ist. Franzosen verraten Juden, foltern Nachbarn, die Juden geholfen haben. Das Frankreich der Résistance findet kaum statt, statt dessen verbünden sich Résistance-Mitglieder mit deutschen Besatzern für lukrative Raubzüge, deren Beute sie unter sich aufteilen. Mittendrin Henri, der freundliche Lkw-Besitzer, der gezwungenermaßen mitmacht, der sich dem kriminellen Treiben nicht immer entziehen kann, unterm Strich zum Abspann hin, aber mehr Pluspunkte auf dem Moralkonto hat – unter anderem wäre ohne ihn, im Film, die Invasion der Alliierten an der Küste der Normandie schief gegangen.

"Les Misérables" in der Verfilmung von 1995 dürfen wir ohne Übertreibung als Großes Kino bezeichnen.

Wertung: 7 von 10 D-Mark
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