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Plakatmotiv: Jules und Jim (1962)

Eine Dreiecksliebe, in der die
Frau die Unschuld zerstört

Titel Jules und Jim
(Jules et Jom)
Drehbuch François Truffaut & Jean Gruault
nach dem gleichnamigen Roman von Henri-Pierre Roché
Regie François Truffaut, Frankreich 1962
Darsteller

Jeanne Moreau, Oskar Werner, Henri Serre, Vanna Urbino, Serge Rezvani, Anny Nelsen, Sabine Haudepin, Marie Dubois, Michel Subor, Danielle Bassiak, Elen Bober, Pierre Fabre, Dominique Lacarrière, Bernard Largemains, Kate Noelle, Jean-Louis Richard, Michel Varesano, Christiane Wagner u.a.

Genre Drama, Romantik
Filmlänge 105 Minuten
Deutschlandstart
23. Februar 1962
Inhalt

1912 entspinnt sich eine Dreierbeziehung zwischen zwei in Paris lebenden Freunden, dem Deutschen Jules und dem Franzosen Jim, sowie der faszinierenden Catherine. Die beiden Freunde teilen ein gemeinsames Interesse für Kunst und Literatur und sind sich sicher, in Catherine das Lächeln einer Statue wiederzuerkennen, das die beiden zuvor während eines Griechenlandaufenthalts bewundert haben. Beide verlieben sich sofort in die lebensfrohe und intelligente Frau.

Cathrine entscheidet sich für Jules und zieht mit ihm nach der Hochzeit in den Schwarzwald. Der Kontakt bricht ab und erst nach dem 1. Weltkrieg treffen sich die drei wieder, als Jim das Ehepaar im Schwarzwald besucht. Dort muss er feststellen, dass die Ehe zerrüttet ist. Es entwickelt sich eine Beziehung zwischen Jim und Cathrine, die Jules ohne Einwände hinnimmt.

Doch die Beziehung ist geprägt von Argwohn und Machtspielen, zudem sich ein unerfüllter Kinderwunsch hinzufügt. Als Jim zurück nach Paris zu seiner Langzeitgeliebten Gilberte will, eskaliert die Situation …

Was zu sagen wäre

Eine Dreiecksliebe. die Franzosen sagen Ménage a Trois. Jules liebt Catherine. Jim liebt Catherine. Catherine liebt Jules. Sie liebt Jim. Manchmal auch zur selben Zeit. Und Jules und Jim sind unverbrüchlich beste Freunde. 1962, als der Film in die Kinos kam, zur Hochzeit der französischen Nouvelle Vague, einer Bewegung von Regisseuren, die im damaligen Kino radikal neue Wege gingen, die Filmproduktionen aus den Studiokulissen für künstliche Musketierfilme auf die realen Straßen der Stadt zerrten und Geschichten erzählten, die ebendort, auf den Straßen spielten, war dieser Film von François Truffaut ein Ereignis. Plakatmotiv: Jules und Jim (1962) Selbst im angeblich so libertären Frankreich sprach man nicht über Liebesbeziehungen abseits der "Norm". Dass Truffaut mit dem Roman von Henri-Pierre Roché eben nicht nur eine Erzählung verfilmte, sondern ein Buch, dass sich an wahre Begebenheiten, nämlich die Dreiecksbeziehung des Autors Roché mit dem Ehepaar Helen und Franz Hessel, anlehnte, erzählte er erst Jahre später.

Ich sehe den Film zum ersten Mal Mitte der 80er Jahre. Ich bin Anfang 20, Helmut Kohl, noch frisch im Amt des Bundeskanzlers, hat die "geistig moralische Wende" ausgerufen nach offenbar lasterhaften 70er Jahren unter Willy Brandt und Helmut Schmidt, in denen im Kino auch die "Rocky Horror Picture Show" gelaufen war, bei der ein außerirdischer Transvestit im Mittelpunkt steht. Eine Dreiecksliebe ruft also in den 80er Jahren nicht mehr soviel Gesprächsbedarf hervor, wie 25 Jahre zuvor.

"Jules und Jim" ist schon insofern ein ungewöhnlicher Film, als er über Strecken Bilder aneinanderreiht, zu denen ein Sprecher aus dem Off dann erzählt, was geschehen ist, was die Personen im Bild empfinden oder denken und was das bei den anderen auslöst. Der schon damals verbreiteten Filmemacher-Regel "Show, don't tell" folgt Truffaut demonstrativ nicht; auch das ein Ausdruck des Anders machen-Wollen. In den ersten 45 Minuten gibt es keine klassische Storyentwicklung in Bildern. Stakkatohaft reiht Truffaut schnelle Bilder zu kurzen Szenen, die uns durch die Freundschaft der beiden jungen Männer leiten, wie sie im Café sitzen, wie sie Frauen ansprechen, wie sie sich Dias einer Kunstausstellung ansehen, wie sie einen Schnitt später vor einer Statue in einem griechischen Freilichtmuseum stehen, deren geheimnisvolles Lächeln dann sowas wie der Ursprung der Ménage a Trois werden wird. Aus dem Off betont der Erzähler: „Waren sie diesem Lächeln jemals begegnet? – Nein, niemals. – Was würden sie tun, wenn sie ihm eines Tages begegnen würden? – Sie würden ihm folgen.

Prompt erinnert das Lächeln Catherines die beiden an das Lächeln der Statue. Diese Behauptung wird im Bild nicht bestätigt. Jeanne Moreaus Lächeln hat nichts mit dem der Statue gemein. Eine vermeintliche Wurschtigkeit des Regisseurs, die tatsächlich im Film aber die naive Lebensfreude zweier junger Männer unterstreicht, die in Catherine das geheimnisvolle Lächeln sehen wollen – weil das für die beiden Literaturstudenten die größere Geschichte ist. Es wird nicht ersichtlich, was Catherine von anderen jungen Frauen unterscheidet, mit denen Jules und Jim zuvor ausgingen und warum sich beide in sie verlieben. Es wird so aus dem Off gesagt. Das muss uns Zuschauern als Beleg reichen, zumal alle miteinander sichtbar unbeschwerte Wochen erleben, unter anderem auch Tage am Strand und immer in einer auffallend menschenleeren Umgebung. Ja, im Bistro sitzen Gäste, im Theater applaudieren Menschen auf den anderen Sitzplätzen, aber diese Figuren bleiben Staffage. Die Lebensfreude von Jules, Jim und Catherine spielt sich quasi in einem Paralleluniversum ab, in dem sich niemand zu dem anfangs noch asexuellen Verhältnis der Drei verhalten muss.

Einen ersten Bruch erhält die Liaison, als Jules Besitzansprüche erhebt. Es war durchaus so, dass sich Jules und Jim, bevor sie Catherine kennenlernten, mal eine Geliebte teilten. Aber bei Catherine macht Jules frühzeitig klar „Die bitte nicht, Jim!“, womit er so etwas wie den Einstieg in das klassische Leben forciert, wie es auch alle anderen leben. Jules heiratet Catherine, der 1. Weltkrieg bricht aus, Jules und Catherine werden Eltern von Sabine, Catherine holt sich mehrere Liebhaber und irgendwann auch Jim, der nach dem Krieg nach vielen Jahren Wiedersehen mit den beiden feiert, in ihr Bett. Die Freundschaft der beiden Männer steht unverbrüchlich, der introvertierte Jules liebt seine Frau und glaubt, sie an Jims Seite zumindest nicht zu verlieren. Aber auch Jim, der in Paris immer noch Gilberte sitzen hat, die treu auf ihn wartet, kann Catherine letztlich nicht halten. Die bisher so lockere Dreierbeziehung erweitert sich um die unerfreulichen, düsteren und belastenden Komponenten einer solchen Konstellation, in deren Zentrum die wechselhaften Launen Catherines stehen, die sich nicht binden lassen will.

Aus der Sicht des 80er-Jahre Zuschauers ist das der Kampf einer modernen Frau für ihre Freiheit, selber über ihr Leben umgeben von Männern entscheiden zu können. Damals, 1962, ist es wohl eher so, dass die zwar revolutionären Kreativen des Nouvelle-Vague-Kinos ihr Metier auf den Kopf stellten, sie aber eben auch Männer waren, die Frauen als Objekt der Begierde schätzten, nicht als gleichberechtigte Lebensgestalterinnen. Der Film heißt "Jules und Jim", nicht "Jules, Jim und Catherine" oder "Catherine, Jules und Jim". Catherine, die es schätzt, dass Männer ihr den Hof machen, aber darüber ihre Freiheit nicht verlieren will, stellt die fröhliche, unschuldige Freundschaft der Männer auf die Probe. Und am Ende zerstört sie sie. 

Truffaut erzählt uns eine tragische Geschichte mit allen Höhen und Tiefen, die das Leben mit sich bringt – Lachen, Weinen, Eifersucht, die Geschichte hält die ganze Palette an Gefühlen bereit. Aber eben: die Geschichte. Der Film eher nicht. Ich habe das Buch "Jules et Jim" nicht gelesen, stelle mir nach dem Film mit seinem ausführlichen Off-Erzähler aber vor, dass das Buch, das ja vornehmlich aus Off-Erzählung mit Dialogen besteht, das Drama gut umfasst. Mitte der 80er Jahre liefert mir der 25 Jahre alte Film nur noch wenig, dem ich folgen mag. Das, was in den frühen 60ern möglicherweise noch für einen Skandal gut war und mehr noch im frühen 20. Jahrhundert, in dem diese Geschichte spielt, fördert heute eher noch akademisches Interesse. Das Schicksal der beiden Männer bewegt mich, wie mich Schicksale, die über einen langen Zeitraum erzählt sind, immer bewegen, weil so ein Zeitraum immer mit großen Veränderungen einhergeht. Aber Oskar Werner als Jules und Henri Serre als Jim bewegen mich nicht, Jeanne Moreau ist kein Geheimnis, kein Zauber, ihre Anziehung bleibt Behauptung. François Truffauts Regie ist erkennbar anders, als die der Salonkomödien und Abenteuerfilme, die Frankreichs Filmstudios damals so produzierten, und ließ damals die Kinnladen der Zuschauer und Filmkritiker runterklappen. Heute gilt ein Film, der in erster Linie aus einer Tonspur mit Erzähler drauf besteht, zu der jemand Bilder – romantische, rauschhafte, durchschnittliche, atemberaubende, banale – komponiert, als schlecht gealtert.

Abgesehen natürlich vom historischen, wissenschaftlichen Wert dieser Produktion.

Wertung: 4 von 7 D-Mark
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