
Seit sechs Jahren arbeitet Montag inzwischen bei der Feuerwehr – kommende Woche soll er befördert werden. Sein Beruf hat ihm seit jeher viel Freude bereitet, doch als seine Frau es mit den Pillen übertreibt, einen Zusammenbruch erlebt und von zwei Pillenärzten mit weiteren Pillen und einem kompletten Blutaustausch wiederbelebt wird, beginnt Montag, die Welt zu hinterfragen; was es auf sich haben könnte mit diesem Glück, das Bücher zerstören, von dem er oder seine Frau aber auch lange nicht mehr gekostet haben.
Im Zug lernt er eine Nachbarin, die Lehrerin Clarisse, kennen. Sie freunden sich an, er hilft ihr, als ihre Schule sie schlecht behandelt – und er beginnt, heimlich zu lesen …
Ein Film, in dem Bücher und Texte von übel sind, hat natürlich auch keinen geschriebenen Vorspann – in „Fahrenheit 451“ spricht eine sonore Männerstimme aus dem Off die Namen der Hauptdarsteller, des Regisseurs, Kameramannes, cutters, komponisten – da ist François Truffaut (Die süße Haut – 1964; „Jules und Jim“ – 1962; Schießen Sie auf den Pianisten – 1960; „Sie küßten und sie schlugen ihn“ – 1959) dann auch konsequent. Der Hitchcock-Fan hat in seinem Zukunfts-Drama alle Hitchcockstilmittel angewandt, die er irgendwie unterbringen konnte. Hitchcocks Komponist Bernhard Hermann macht den Soundtrack, Truffaut spielt mit Primärfarben, wie Hitchcock in „Fenster zum Hof“ oder „Marnie“; und der Vertigo-Zoom fehlt auch nicht.
Truffaut hatte Besetzungsprobleme. Bei seinem ersten auf englisch gedrehten Film zierten sich die Edelmimen ein wenig – bis Oscarpreisträgerin Julie Christie („Doktor Schiwago“ – 1965; „Darling“ – 1965; „Cassidy, der Rebell“ – 1965) zusagte, danach flutschte es im Besetzungsbüro und aus der anfänglichen Not erfand Truffaut die Idee, Julie Christie gleich beide für den Feuerwehrmann wichtigen Frauen spielen zu lassen. Erstaunlich, wie gut diese eigenartige Besetzungsidee funktioniert – sie verdeutlicht die beiden Seiten des Menschen dieser bizarren Gesellschaft, hier der TV-Zombie im Plastikambiente, da die Literaturbegeisterte im verwinkelten Hexenhäuschen. Montags neidischer Kollege, gespielt von dem deutschen Schauspieler Anton Diffring (Agenten sterben einsam – 1968), taucht noch mal – mitsamt Perücke – für wenige Sekunden als Lehrerin auf – innerhalb des Films werden Dopplungen dieser Art nicht erklärt.
Die Gesellschaft in Truffauts Film ist kaputt, wirft Pillen ein und steht teilnahmslos und gehorsam in der Ecke. Was das für eine Gesllschaft ist, bleibt offen – wahrscheinlich eine Diktatur. Aber für was, gegen was die sich richtet, ist unklar. Es ist eine Gesellschaft, die sich gegen Bücher stemmt – mehr Tiefe braucht's nicht – und in der die Menschen glauben, die Feuerwehr habe schon imer Bücher verbrannt; dass sie früher Feuer gelöscht haben soll, sagt Montag, sei ja auch „eine alberne Idee“, wo doch Häuser immer schon unbrennbar waren.

Truffaut hält sich mit seiner Diktatur nicht lange auf, liefert keine Erklärung für Wer, Wieso, Was, Wann oder Wo. Die Ordnung des Staates repräsentiert in der kleinen Welt der Feuerwache – komischer Begriff in dem Zusammhang – Montags Vorgesetzter, dem Cyril Cusack strengen Onkel-Charme mitgibt. Den Rest überlässt Truffaut dem Zuschauer, der sich in langen Kamerasequenzen in diese Welt hinein denken kann.
Regisseur François Truffaut im Kino
François Truffaut war ein französischer Filmregisseur, Filmkritiker, Schauspieler und Produzent. Er wurde am 6. Februar 1932 in Paris geboren und starb am 21. Oktober 1984 in Neuilly-sur-Seine.
Mit der Neubelebung des Autorenfilms ab Ende der 1950er Jahre gilt Truffaut in der französischen Filmgeschichte mit Jacques Rivette, Jean-Luc Godard, Claude Chabrol und Éric Rohmer als einer der maßgeblichen Begründer der Nouvelle Vague.
- Ein Besuch (Une Visite – 1955) – der Film gilt als verschollen
- Die Unverschämten (Les mistons – 1957)
- Eine Geschichte des Wassers (Une histoire d'eau – 1958) – Regie mit Jean-Luc Godard
- Sie küßten und sie schlugen ihn (Les quatre cents coups – 1959)
- Schießen Sie auf den Pianisten (Tirez sur le pianiste – 1960)
- Jules und Jim (Jules et Jim – 1962)
- Liebe mit zwanzig (L’amour à vingt ans – 1962)
- Die süße Haut (La peau douce – 1964)
- Fahrenheit 451 (Fahrenheit 451 – 1966)
- Die Braut trug schwarz (La mariée était en noir – 1967)
- Geraubte Küsse (Baisers volés – 1968)
- Das Geheimnis der falschen Braut (La sirène du Mississippi – 1969)
- Der Wolfsjunge (L’enfant sauvage – 1970)
- Tisch und Bett (Domicile conjugal – 1970)
- Zwei Mädchen aus Wales und die Liebe zum Kontinent (Les deux anglaises et le continent – 1971)
- Ein schönes Mädchen wie ich (Une belle fille comme moi – 1972)
- Die amerikanische Nacht (La nuit américaine – 1973)
- Die Geschichte der Adèle H. (L’histoire d'Adèle H. – 1975)
- Taschengeld (L’argent de poche – 1976)
- Der Mann, der die Frauen liebte (L’homme qui aimait les femmes – 1977)
- Das grüne Zimmer (La chambre verte – 1978)
- Liebe auf der Flucht (L’amour en fuite – 1979)
- Die letzte Metro (Le dernier métro – 1980)
- Die Frau nebenan (La femme d'à côté – 1981)
- Auf Liebe und Tod (Vivement dimanche! – 1983)