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Plakatmotiv: Doktor Schiwago (1965)

Geschichts-Kurzform in Cinemascope.
Mit grob gezeichneten Charakteren.

Titel Doktor Schiwago
(Doctor Zhivago)
Drehbuch Robert Bolt
nach dem gleichnamigen Roman von Boris Leonidowitsch Pasternak
Regie David Lean, It., UK, USA 1965
Darsteller

Omar Sharif, Julie Christie, Geraldine Chaplin, Rod Steiger, Alec Guinness, Tom Courtenay, Siobhan McKenna, Ralph Richardson, Rita Tushingham, Jeffrey Rockland, Tarek Sharif, Bernard Kay, Klaus Kinski, Gérard Tichy, Noel Willman, Geoffrey Keen, Adrienne Corri, Jack MacGowran u.a.

Genre Drama, Romantik
Filmlänge 197 Minuten
Deutschlandstart
5. Oktober 1966
Inhalt

Der russische Arzt und Dichter Jurij Schiwago heiratet aus Dankbarkeit Tonya, die Tochter seiner Pflegeeltern. Seine Liebe aber gehört der 17-jährigen Lara.

Der Ausbruch der Oktoberrevolution verstrickt Lara und Jurij in die Kriegswirren und stellt ihre Liebe auf eine harte Probe …

Was zu sagen wäre

Ein mehr als drei Stunden langer Liebesfilm, in dem sich das Liebespaar, um das es geht, zum ersten Mal nach rund 90 Minuten trifft. Ihre Wege kreuzen sich vorher ab und zu, da wissen sie aber noch nichts voneinander. Aber wir wissen es schon, durch die Rahmenhandlung. In der sucht ein Offizier der Roten Armee eine junge Frau, die die Tochter von Lara sein soll, die die große Liebe seines, des Offiziers Halbbruders Jurij war, ein gefeierter Dichter, der eben dieser Lara einen ganzen Gedichtband gewidmet hat. Plakatmotiv: Doktor Schiwago (1965) Das alles erfahren wir in den ersten zwanzig Minuten dieses epischen Films, in dem zwei Köpfe in einem kargen Büro ziemlich viel reden – ungewöhnlicher Einstieg in einen so teuren Film – Regisseur David Lean (Lawrence von Arabien – 1962; Die Brücke am Kwai – 1957; Traum meines Lebens – 1955; Herr im Haus bin ich – 1954; Begegnung – 1945) hat elf Millionen Dollar ausgegeben.

Nach der langen Einleitung macht der Film einen Sprung zurück in die Zeit um 1900, als der kleine Jurij Schiwago seine Mutter zu Grabe trägt und zu Pflegeeltern nach Moskau kommt, wo er aufwächst, besagter gefeierter Dichter wird, Medizin studiert, die ersten Ausläufer der Revolution, die in den Straßen der Stadt von den Offizieren des Zaren brutal zusammengeknüppelt wird, erlebt, sich in seine Stiefschwester verliebt und immer wieder mal jener Lara über den Weg läuft, deren Schicksal wir in Parallelmontage erzählt bekommen. Und was für ein Schicksal das ist. Irgendwie verliebt – oder auch nicht – in einen künftigen Revolutionär, ausgesetzt einem feisten Machtmenschen, der ihre verwitwete Mutter bumst und sie zur Geliebte nimmt, ihren revolutionären Mann im Krieg aus den Augen verliert und ihre Tochter allein erziehend in die russische Pampa zieht.

So richtig "nach dem Roman von Boris Pasternak" ist David Leans Film nicht. Der Roman ist ein sehr dickes Buch, in dem die Geschichte des russischen Volkes in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts – der Erste Weltkrieg, die Oktoberrevolution 1917 und der anschließende Bürgerkrieg – erzählt wird und, darin verwoben, die Liebesgeschichte von Jurij und Lara. Lean hat sich auf die Liebesgeschichte konzentriert und die zeitgeschichtlichen Ereignisse eher so nebenher mitlaufen lassen. Das zwingt den Film in eine Und dann Und dann-Dramaturgie. Am Anfang ist Jurij klein, am Ende tot. Dazwischen eine liebevolle Ehe und eine Geliebte, die eigentlich die Frau in seinem Leben ist. Das ist die Entwicklung. Zwischendurch wird der freundliche Arzt in Kriegs-Spitäler gezwungen, wodurch er seine Familie aus den Augen verliert und er dann jeweils lange Wege nach Hause hat. Wo er dann ein von grässlich unorganisierten Kommunisten zerfleddertes Heim vorfindet – man hört im kapitalistischen Hollywood buchstäblich die Sektkorken knallen bei den Szenen, in denen weiße und rote Kommunisten im Kampf gegeneinander ein Riesenreich verrotten lassen. Die Dramaturgie jedenfalls macht den Film nicht spannend. Der lange Zeitraum und die Bilder umso mehr.

Es werden keine Jahreszahlen genannt, aber der Film erzählt geschätzt über einen Zeitraum von rund 25 Jahren. Das für sich genommen, das Leben eines Menschen über diesen langen Zeitraum zu verfolgen, ist schon ein spannender Ansatz. Das führt zum Beispiel dazu, dass die Trauer von Tonja, der irgendwann klar geworden sein muss, dass ihr Jurij eine Affäre mit Lara hat, nicht größer ausgestellt wird. Es gibt keine große Eifersuchtsszene. Wir bleiben im Kinosessel mit diesem Gefühl allein. So wie Jurij, der viel zu spät versteht, was seine Ehefrau und die Mutter seines Sohnes alles wusste – oder auch nicht wusste. Irgendwann ist Tonja ohne Drama und ohne, dass wir wissen, was im Einzelnen vorgefallen ist, aus dem Film verschwunden – es heißt, sie sei über eine Flüchtlingsorganisation nach Paris gereist – und damit legt sich eine große Melancholie über die schönen Bilder, die noch folgen. Plakatmotiv (US): Doctor Zhivago (1965) Schöne Bilder hat der Film en masse. Director of Photograph Freddie Young ("Lawrence von Arabien" – 1962; Gorgo – 1961; Die Ritter der Tafelrunde – 1953; Ivanhoe – Der schwarze Ritter – 1952) hat als Alternative zu den vielen Talking Heads großartige Landschaften inszeniert – und Hauptdarstellerin Julie Christie, die die Lara spielt, immer einen Extra-Spot gegönnt, der ihre blauen Augen zum Strahlen bringt (Ich weiß ja, dass Schauspielerinnen inszeniert werden und auf der Leinwand nicht so sind, wie in ihrem Privatleben, aber hier habe ich dauernd gedacht Boah ey, ist die schön!). Der Film ist durchaus großes Drama, aber Lean hat Wert darauf gelegt, dass seine Akteure das nicht in den Vordergrund schieben, Omar Sharif (Der Untergang des Römischen Reiches – 1964; "Lawrence von Arabien" – 1962) etwa hat er gar zum Unterspielen gedrängt. Lara ist zwar gelegentlich in Tränen zu sehen, aber kaum beim Weinen. Pascha weint in einer Szene zwar, das sehen wir aber nur durch eine Glasscheibe, also eher verfremdet. Auch die übrigen Figuren halten ihre Gefühle stark zurück.

Im Roman ist Jurij Schiwago vor allem Dichter durch seine 24 Gedichte. Lean entschied sich, diese Persönlichkeit im Film anders aufzubauen. Jurij Schiwagos Dichtertum soll allein dadurch zum Ausdruck kommen, dass er die Position eines passiven Beobachters einnimmt; der ganze Film wird aus seiner Perspektive gezeigt. Entsprechend ist auch die Sonjas Figur angepasst. Im Roman ist sie – wie viele junge Russinnen – eine emanzipierte junge Frau, die an der Universität studiert, in einer Zeit, in der das Frauenstudium in den meisten anderen Ländern noch unüblich ist. Im Film dagegen gibt Geraldine Chaplin eine Tonja, die nach Paris um der Mode willen reist und deren eigentliches Streben darin besteht, ihrem Mann, an dessen Talent sie unerschütterlich glaubt, den Weg zu ebnen.

"Doktor Schiwago" ist ein Film, den ich mir mit seinen mehr als drei Stunden gut anschauen kann an einem launigen Sonntagnachmittag. Die (Oscar prämierten) Bilder, die Personen halten mich bei der Stange. Aber wenn der Film zu Ende ist, habe ich doch nur in einem interessanten Geschichtsbuch geblättert, das nach mehr Recherche verlangt.

Wertung: 6 von 8 D-Mark
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