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Plakatmotiv: Lawrence von Arabien (1962)

Bildgewaltiges Epos über britische Intrigen
und die abenteuerliche Romantik der Wüste

Titel Lawrence von Arabien
(Lawrence of Arabia)
Drehbuch Robert Bolt & Michael Wilson
Regie David Lean, UK 1962
Darsteller

Peter O'Toole, Alec Guinness, Anthony Quinn, Jack Hawkins, Omar Sharif, José Ferrer, Anthony Quayle, Claude Rains, Arthur Kennedy, Donald Wolfit, I.S. Johar, Gamil Ratib, Michel Ray, John Dimech, Zia Mohyeddin, Howard Marion-Crawford, Jack Gwillim, Hugh Miller u.a.

Genre Abenteuer, Biografie, Drama
Filmlänge 218 Minuten
Deutschlandstart
15. März 1963
Inhalt

Der britische Offizier Lawrence wird auf die arabische Halbinsel geschickt, um die dortigen politischen Entwicklungen unter Prinz Faisal zu beobachten und den Aufstand der Araber gegen das Osmanische Reich zu unterstützen.

Schon kurz nach seiner Ankunft wird dem Briten schonungslos vermittelt, dass es zwischen den verschiedenen Beduinenstämmen einige Konflikte gibt. Wer sich nicht an die Regeln hält, wird erschossen. Im Lager des Prinzen Faisal trifft Lawrence erneut auf Sherif Ali, der ihm bereits in der Wüste begegnete.

Gemeinsam machen sie sich auf den Weg, die Wüste Nefud zu durchqueren, um so nach Akaba zu gelangen …

Was zu sagen wäre

Dann steht es geschrieben, dass er sterben soll, Lawrence!“ „Nichts steht geschrieben!“, faucht der Engländer den Beduinen an, dreht um, reitet zurück in die Wüste, in der ihm der Hitzetod droht, um die arme Seele zu finden, die vom Kamel fiel, um sie vor eben diesem Schicksal zu bewahren. In diesem Film, der irgendwann während der Zeit des Ersten Weltkrieges (1914 bis 1918) spielt, prallen zwei Gesellschaftsmodelle aufeinander – hier passt auch der Begriff zwei Welten.

Thomas Edward Lawrence, ein mäßig engagierter, in Kairo stationierter, britischer Offizier, erscheint den arabischen Stämmen wie der Heiland, der sie aus ihrer begrenzten Welt befreit, die sich zwischen unendlichen Wüsten zwängt. Er eint die notorisch misstrauischen Stammesführer und zeigt ihnen einen Weg auf, gemeinsam gegen westliche Kolonialbestrebungen eine eigene, gemeinsame Front zu stellen. In strahlend weißen, im Wind wehenden Gewändern macht er sie nicht nur überhaupt erst darauf aufmerksam, dass sie ihr Schicksal in die eigene Hand nehmen können, dass nichts „geschrieben“ steht, sondern auch mit Guerillataktiken vertraut, die erfolgreicher sind, als offenen Schlachten gegen die osmanische Übermacht, die den arabischen Raum offenbar als ihren Hinterhof betrachtet. Plakatmotiv: Lawrence von Arabien (1962) Historisch handelt sich um die von Scherif Hussein, Emir von Mekka, 1916 entfachte Arabische Revolte auf der Arabischen Halbinsel gegen den osmanischen Sultan. Von den Briten wurde Scherif Hussein dabei mit Geld und Militärberatern unterstützt. Das wird im Film nicht so explizit erklärt. Die britischen Generäle sprechen von Kriegen, die nicht im osmanischen Reich, sondern in den westlichen Schützengräben gewonnen werden. Der Zuschauer muss sich im Kinosessel seinen eigenen historischen Reim darauf machen – besser, wenn man vorher in ein Geschichtsbuch geschaut hat.

Die Beduinen im Film leben im Hier und Jetzt. Sie planen keine Zukunft, haben keine Entwicklung, achten aber darauf, dass keiner vom anderen Stamm aus dem eigenen Brunnen trinkt; die Revolte gegen die Osmanen wird nicht deutlich, lediglich, dass „die Türken“ wehrlose berittene Araber mit Flugzeugen angreifen. Als Lawrence ihnen am Ende Damaskus als ihre Machtbasis offeriert, sitzen sie da an einem runden Tisch und streiten sich, weil jeder Stamm befehlen, aber keiner arbeiten will. Stromausfälle können nicht behoben werden, weil niemand sich mit Generatoren auskennt, Brände nicht gelöscht werden, weil sich alle weigern, Wasser zu tragen. Schließlich ziehen die Stämme einfach zurück in ihre Wüste und lassen Politik und Strategie hinter sich.

So wild der Haufen der arabischen Stämme, so saturiert präsentiert David Lean (Die Brücke am Kwai – 1957; Traum meines Lebens – 1955; Herr im Haus bin ich – 1954; Begegnung – 1945) in seinem Film die britischen Potentaten in ihren Kairoer Palästen. Die sitzen arrogant in einer Architektur, die älter ist als die britische Zivilisation und scheuchen die einheimische Bevölkerung unwirsch herum. Am liebsten stehen sie im Casino, spielen Billard, trinken Bier und freuen sich auf die Heimat. Keiner der Soldaten hinterfragt, warum sie hier sind. Ihr General Allenby betont mehrfach, zum Glück müsse er keine Entscheidungen treffen, er sei „nur ein Soldat“, während die Politik hinter dem Rücken der Araber deren Territorium zwischen Frankreich und England aufteilt.

Major Lawrence kommt den Mächtigen als nützlicher Idiot da gerade recht. Warum die Westmächte ein Auge auf dieses Wüstenreich werfen, erklärt der Film nicht – heute wissen wir: Öl –, im Drehbuch von Robert Bolt und Michael Wilson gehört das Erobern fremder Länder zur DNA der Westmächte. Sie lassen Lawrence die Stämme einen, erfolgreich gegen die Osmanen ziehen, die sie schließlich aus dem Land werfen und übernehmen dann einfach dieses befreite Reich ohne echten Herrscher und teilen es unter sich auf. Es taucht immer wieder Prinz Feisal auf, Sohn eines anonymen, keine weitere Rolle spielenden Königs, dessen Herrschaftskunst darin besteht, seine Chancen zu erkennen. Der von dem Briten Alec Guinness ("Unser Mann in Havanna" – 1959; Die Brücke am Kwai – 1957; Ladykillers – 1955; Adel verpflichtet – 1949) gespielte Araber ist kein Ideenreicher Stratege, dafür einer, der weiß, welche Fäden er wie ziehen muss, um seine Macht abzusichern. Plakatmotiv (UK): Lawrence of Arabia (1962) Am Ende organisiert er mit Engländern und Franzosen charmant witzelnd die Aufteilung der Machtsphären in seinem Land. Ansprüche haben er und seine Landsleute in dem über drei Stunden langen Film nicht entwickelt, man könnte meinen, es genügt ihnen, in einem Zelt am Rande der Wüste zu sitzen und jeweils dem zu folgen, der ihnen Reichtum verspricht.

Der Film entstand 1962, als die Welt 17 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges noch eine andere war als in den späten 70er Jahren, als ich den Film erstmals sehe. Aus dieser zeitlichen Verschiebung und weil der Film zwar eine historische Figur ins Zentrum stellt, dann aber doch historisch sehr freizügig mit ihr und ihrem Umfeld umgeht, kann man sich nicht auf ein Das ist alles historisch belegt zurückziehen, sondern muss feststellen, dass der Blick des westlichen Filmteams auf dieses Arabien rassistisch pointiert ist. Der Araber ist tendenziell einfach gestrickt und der Westen schickt den Erlöser.

Diese Erlöserfigur spielt der im Kino noch wenig bekannte Peter O'Toole, der bisher in ein paar Fernsehstücken in Erscheinung trat und in einem Bankraubfilm ("Bankraub des Jahrhunderts" – 1960) und natürlich schwebte den Produzenten für die Hauptrolle eines so teuren Films ein teurer Name vor. Immerhin hatten sie die schon damals gewaltige Summe von 15 Millionen Dollar investiert, aber weder wollte Montgomery Clift (Misfits – 1961; Verdammt in alle Ewigkeit – 1953; Ich beichte – 1953) die Rolle des Lawrence spielen, noch ließen sich Marlon Brando (Meuterei auf der County – 1962; Die Faust im Nacken – 1954; Der Wilde  – 1953) oder Albert Finney überzeugen. An diesem Punkt kam Peter O'Toole ins Spiel dank seiner Rolle in dem Bankraubfilm.Dort hatte ihn Produzent Sam Spiegel kennengelernt und schlug ihn also für die Rolle vor. Für den jungen Schauspieler der Schritt in eine jahrzehntelange Karriere als einer der führenden Charakterdarsteller. O'Tooles Lawrence ist ein augenscheinlich leicht verträumter Charakter, der erst in der Wüste seine eigene Wildheit entdeckt; der mit blau blitzenden Augen sich zum erfolgreichen Feldherrn und Heerführer der Araber aufschwingt und an den politischen Ränkespielen beinahe zerbricht. Lawrence macht eine große Wandlung während des Films durch vom freundlichen Naiven zum heißblütigen Befreier, der sich in einen Blutrausch kämpft bis zum desillusionierten Mann, der sich aus der Welt zurückzieht. Es sei das Vorrecht der Jugend, für die Gerechtigkeit zu kämpfen, versucht Prinz Feisal den Verzweifelten zu besänftigen, und es seien die Alten, die dann den Frieden aushandeln. Das sei von jeher so. Neben O'Toole spielen bekannte britische und amerikanische Schauspieler arabische Stammesfürsten, ethnisch am nächsten steht noch der junge ägyptische Filmstar Omar Sharif in der Rolle des Sherif Ali den portraitierten Charakteren in diesem Film. Plakatmotiv zur Wiederaufführung: Lawrence von Arabien (1962) Der gebürtige Mexikaner Anthony Quinn hingegen (Die Kanonen von Navarone – 1961; Der letzte Zug von Gun Hill – 1959; Die Fahrten des Odysseus – 1954; La Strada – Das Lied der Straße – 1954; Viva Zapata – 1952; Ritt zum Ox-Bow – 1943), dem die Maskenbildner einen gewaltigen Zinken auf die Nase geklebt haben, hat keine ethnische Nähe zu seinem Auda Abu Tayi, den er davon unbeeindruckt mit kerniger, männlicher Wucht ausstattet.

Der wahre Hauptdarsteller dieses Films ist das Bild, eingefangen von Kameramann Freddie Young (Gorgo – 1961; Indiskret – 1958; Die Ritter der Tafelrunde – 1953; Mogambo – 1953; Ivanhoe – Der schwarze Ritter – 1952). Seine Bilder der Wüste haben eine Tiefe, die man auf der Leinwand nicht mehr oft sieht, David Lean hat ihn Totalen fotografieren lassen, in denen ganz klein irgendwo im Bild zwei Männer auf Kamelen traben, um sie herum gewaltige Felsformationen, von wegen In der Wüste ist nur Sand. Es folgen gewaltige Aufmärsche arabischer Reiter, die im gesteckten Galopp von links nach rechts über die ewig breite Leinwand galoppieren; es sind Bilder von großer Wucht. Die meisten Wüstenszenen wurden in Jordanien gedreht, also an Originalschauplätzen. Außerdem zog das Team in die spanische Wüste von Tabernas, ins marokkanischen Ouarzazate sowie in die Imperial Sand Dunes von Kalifornien. Im Kinosessel beginnt man angesichts dieser kolossalen Weiten den Fatalismus der Menschen, die hier leben, zu verstehen. Diese Welt lädt nicht zum Verweilen an der Oase ein. „In der Wüste ist gar nichts. Und kein Mensch braucht gar nichts“, sagt Auda Abu Tayi, der die romantischen Vorstellungen des Wrestlers in Bezug auf die Wüste gar nicht verstehen kann. Sie ist ein großes Nichts in prachtvollen Farben, aber tödlich.

So wird der Film, der ein spannendes, zumindest in seinen Grundzügen historisch belegtes Abenteuer erzählt, auch eine Expedition mit der Cinemascope-Kamera in eine visuell aufregende, in ihrer Eintönigkeit abwechslungsreiche, unendliche Landschaft, in der über viele Minuten kein Wort gesprochen wird – was die einzig angemessene Reaktion auf diese prachtvolle Entfaltung ist. Egal, ob der Mensch sie braucht.

Wertung: 7 von 7 D-Mark
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