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Plakatmotiv: Ritt zum Ox-Bow (1942)

Ein bitterer Blick auf den
alltäglichen Faschismus

Titel Ritt zum Ox-Bow
(The Ox-Bow Incident)
Drehbuch Lamar Trotti
nach dem gleichnamigen Roman von Walter Van Tilburg Clark
Regie William A. Wellman, USA 1942
Darsteller
Henry Fonda, Dana Andrews, Mary Beth Hughes, Anthony Quinn, William Eythe, Harry Morgan, Jane Darwell, Matt Briggs, Harry Davenport, Frank Conroy, Marc Lawrence, Paul Hurst, Victor Kilian, Chris-Pin Martin, Willard Robertson u.a.
Genre Western, Drama
Filmlänge 75 Minuten
Deutschlandstart
1. September 1964
Inhalt

1885: Die zwei Cowboys Gil und Art stranden in einem langweiligen Dorf in Nevada. Im örtlichen Saloon geht es rau zu. Da erscheint ein Mann mit der Botschaft, einige Viehdiebe hätten den Rancher Kinkaid erschossen. Trotz des Einspruches des besonnenen Geschäftsmannes Mr. Davis, der meint, man müsste erst den Sheriff und den Richter zurate ziehen, laufen die Männer des Dorfes nun zusammen, um sich auf die Suche nach den Tätern zu begeben.

Der Sheriff ist längst bei Kinkaids Ranch und kann deshalb nicht einschreiten; der wenig durchsetzungsfähige Richter Tyler mahnt die Männer, auf die Rückkehr des Sheriffs zu warten. Als den Männern von einem mexikanischen Ranchgehilfen jedoch zugetragen wird, er habe in der Nähe Männer mit der Herde Kinkaids gesehen, sind sie nicht mehr zu halten. Der vermeintliche frühere Konföderierten-Major Tetley übernimmt das Kommando und zwingt seinen unwilligen Sohn, sich ihnen anzuschließen.

Die Männer werden vom Hilfssheriff als Bürgerpatrouille eingeschworen (womit dieser seine Kompetenzen überschreitet). Den etwa 30 Männern schließt sich "Ma" Jenny Grier an, eine blutrünstige Frau. Auch Gil und Art reiten mit dem lynchwütigen Mob davon, da sie als Ortsfremde sonst um ihr Leben fürchten. Unterwegs hat die Gruppe ein kurzes Aufeinandertreffen mit einer Kutsche, in der sich Gils ehemalige Geliebte Rose Mapen befindet. Frustriert muss der ärmliche Cowboy Gil sehen, dass Rose ihn für den wohlhabenden Geschäftsmann Mr. Swanson verlassen hat.

Tief in der Nacht stoßen die Männer auf das Lager mit den drei Verdächtigen. Es stellt sich heraus, dass sie wirklich mit den Rindern Kinkaids unterwegs sind. Anführer der drei Verdächtigen ist der Rancher Donald Martin. Seine Gehilfen sind ein alter Mann und ein Mexikaner. Obwohl alle drei ihre Unschuld beteuern, werden sie verhaftet und gelten sofort als schuldig. Martin gibt an, die Rinder von Kinkaid gekauft zu haben, kann aber keine Quittung vorweisen. Inzwischen versucht der alte Mann, sein Leben zu retten, indem er den Mexikaner als Mörder beschuldigt. Plakatmotiv (US): The Ox-Bow-Incident (1942) Tetley lässt abstimmen. Gegen die Stimmen von Mr. Davies, Gil, Art und fünf weiteren Männern entscheidet die Mehrheit, die drei Männer sofort aufzuhängen. Martin darf noch einen Abschiedsbrief schreiben und der zynische Mexikaner, der schon längst gemerkt hat, dass sie von Anfang an keine Chance gegen das vorgefasste Urteil hatten, legt seine Beichte bei einem Landsmann ab, der sie an einen Priester weiterleiten soll. Tetley zwingt seinen in seinen Augen verweichlichten Sohn dazu, als einer der Henker zu fungieren. Im Morgengrauen werden die drei Beschuldigten gehenkt.

Kurz nach dem Aufbruch wartet der Sheriff schon mit neuen Nachrichten auf sie: Kinkaid wurde nur angeschossen und nicht bestohlen, die wahren Täter sind längst verhaftet. Der Sheriff droht den Mitgliedern der Gruppe, die für die Selbstjustiz stimmten, harte Strafen an. Einer der Männer, die am schnellsten mit dem Lynchurteil waren, tut sich nun mit der Meinung hervor, dass man jetzt eigentlich Tetley lynchen sollte. Als Tetley in seiner Villa ankommt, sperrt er seinen Sohn aus. Dieser klagt nun seinen Vater als machtversessen und grausam an und unfähig, Mitleid zu empfinden. Kurz darauf erschießt sich Tetley. Im Saloon sitzen die an der Selbstjustiz beteiligten Männer schweigend da, sie haben inzwischen Geld für die Witwe gesammelt. Gil liest den anderen Männern aus Martins Abschiedsbrief an seine Frau vor. Den Brief und das Geld wollen Gil und Art nun Martins Frau überbringen.

Was zu sagen wäre

Eine friedliche Kleinstadt im Irgendwo. Kein Mensch auf der Straße, kein Geräusch zu hören. Im Saloon ein paar Männer. Da stürmt einer rein und schreit MORD! Und ohne weitere Prüfung schwingen sich alles aufs Pferd, finden in den Bergen drei Fremde und hängen sie als überführte Mörder auf. Am Ende stellt sich heraus: Nicht nur waren die Gehängten unschuldig. Es gab darüber hinaus auch keinen Toten.

William A. Wellman hat sich schon in früheren Filmen sehr deutlich mit der amerikanischen Rechtsauffassung und dem angeblich gesunden Menschenverstand auseinandergesetzt. In dem Melodram "Safe in Hell" (1931) etwa übernimmt eine ehemalige Prostituierte mit Ehrenkodex, die auf einer Gefangeneninsel einsitzt, für ihren Geliebten die Schuld an einem Mord und wird dafür hingerichtet; Wellman zeigte die Hinrichtung in Großaufnahme. Der Film bekam viel Ärger mit dem Zensor. Jetzt untersucht Wellman die Mechanismen des Zusammenlebens und schaut dafür in eine kleine Stadt, die wie ein Mikrokosmos die US-Gesellschaft spiegelt. Es gibt den reichen Grundbesitzer, den Wirt, einfache Burschen, den honorigen Richter, den alten Trinker, den Hilfssheriff und es gibt die wohlhabenden, gottesfürchtigen Bürger. Die unverheirateten Frauen haben das Nest verlassen, um ihr Glück woanders zu suchen. Und nachdem der Ruf MORD! erklungen ist, können wir die Mechanismen der Gesellschaft beobachten: Was passiert.

Der vermeintlich Tote war ein ehrenwerter, gottesfürchtiger Mann, sagte der eine. Wir müssen diesen Mord rächen, sagt ein anderer, sonst wimmelt es hier bald von menschlichem Auswuchs. Mahnende Stimmen werden abgewimmelt, man könne nicht zulassen, dass so einen monatelang mit Gesetzestexten beizukommen wäre und sie am Ende frei kämen, weil irgendein Fehler passiert sei. Plakatmotiv (US): The Ox-Bow-Incident (1942) Diese Zeit habe der Tote Grundbesitzer ja schließlich auch nicht gehabt. Gil, ein eher besonnenerer Zeitgenosse, dem nur nach dem fünften Whisky leicht mal die Hutschnur platzt, kann mit seinen Mahnungen an ein ordnungsgemäßes Verfahren nicht durchdringen. Er stößt auf anständig empörte Bürger, laute Wortführer und Trunkenbolde mit Lust auf ein bisschen Action. Wellman legt hier die Grundzüge eines faschistischen Systems offen: Eine Stadt schließt die Reihen gegen einen eingebildeten Feind: „Wir verlassen uns nicht auf die Gerechtigkeit der Gerichte, oder? Nein, darauf warten wir nicht! Wir greifen uns den Mörder schneller als irgendein aufs Honorar versessener Anwalt, der seine Zeit in den Gerichtssälen verpennt! Wir gehen hin und greifen uns den Mann und lassen ihn baumeln!

Henry Fonda spielt den Gil mit Zweifeln im Blick, aus denen später Verzweiflung wird (Rache für Jesse James – 1940; Früchte des Zorns – 1940; Trommeln am Mohawk – 1939; Der junge Mr. Lincoln – 1939; Jesse James – Mann ohne Gesetz – 1939). Gil ist eine ungewöhnliche Hauptfigur für einen Western. Er ist ein Verlierer, aber mit Verstand und dem Herz am rechten Fleck, in und an der Gesellschaft gescheitert. Er ist Pragmatiker. Es macht für ihn zwar einen Unterschied, ob ein Mann schuldig oder unschuldig ist – aber wenn es um sein eigenes Leben geht, ist auch er, selbst wenn er sich nicht aktiv daran beteiligt und gegen den Lynchmord war, Teil des Mobs.

So ein Film im Jahr 1942, als Amerika gegen die Faschisten im fernen Europa in den Krieg zieht, war ein Affront für breite Teile der Öffentlichkeit. "Ritt zum Ox-Bow“ war damals ein unwillkommener unzeitgemäßer Film.

"Ritt zum Ox-Bow” entstand nach dem Roman "The Ox-Bow lncident" von Walter van Tilburg Clark. Heute ist er inzwischen längst zum Klassiker geworden "mit der zeitlosen Botschaft, dass Respekt vor dem Recht und Ehrfurcht vor dem Menschenleben sich gegenseitig bedingen".

Wertung: 6 von 6 D-Mark
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