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Plakatmotiv (UK): Brief Encounter – Begegnung (1945)

Melancholische Betrachtung einer
unmöglichen Liebesgeschichte

Titel Begegnung
(Brief Encounter)
Drehbuch David Lean & Noël Coward & Anthony Havelock-Allan
nach dem Bühnenstück "Kurze Begegnung" (Still Life, 1936) von Noël Coward
Regie David Lean, UK 1945
Darsteller

Celia Johnson, Trevor Howard, Stanley Holloway, Joyce Carey, Cyril Raymond, Everley Gregg, Marjorie Mars, Margaret Barton u.a.

Genre Drama, Romantik
Filmlänge 86 Minuten
Deutschlandstart
30. August 1946
Inhalt

Die Hausfrau Laura Jesson lebt im England des Jahres 1938 ein gewöhnliches, langweiliges Leben mit Ehemann und Kindern. Einmal in der Woche fährt sie zum Einkaufen und zum Kinobesuch in die Stadt – und lernt bei einem dieser Trips Alec kennen.

Fortan trifft sich Laura jede Woche mit dem Arzt und die Bekanntschaft wird immer mehr zur Affäre. Die beiden beschließen, dass es so nicht weitergehen kann …

Was zu sagen wäre

Ein Frau trifft auf einen Mann. Was folgt, ist nicht stürmische Affäre, eine Amor Fou oder die explodierende Leidenschaft vor einem Score mit lauter Geigen. Was folgt, sind melancholische, herzzerreißende 80 Filmminuten in schwarz-weiß, die von zwei aufrechten Menschen erzählen, die jeweils in glücklichen Familienverhältnissen leben – oder besser: lebten – und deren Hauptschauplatz der Wartesaal eines Bahnhofes ist.

Anders, als das zugrunde liegende Theaterstück, erzählt David Lean die Geschichte im Rahmen einer Rückblende. Wir lernen Laura und Alec in einer Situation kennen, deren ganzes Drama erst das Finale enthüllt. Sie sitzen stumm beieinander, gezwungenermaßen, weil eine Nachbarin von Laura sich ungefragt zu ihnen an den Tisch setzt und in einer Tour brabbelt. Ein Zug fährt ein, Alec muss sich verabschieden, Laura bleibt augenscheinlich erschüttert an der Seite der unaufhörlich plappernden Frau zurück. Lean gelingt damit ein sehr spannender Einstieg in ein Drama, das an dieser Stelle noch alles mögliche werden kann. Wenn man nichts über diesen Film weiß, bevor man ihn sieht, entfaltet er seine größte Wirkung.

Nach dem Titelvorspann beginnt der Film zunächst mit zwei Nebenfiguren, dem Bahnhofsschaffner und der Wirtin im Wartesaal. Die beiden tauchen immer wieder mal auf und bekommen ein paar Filmminuten, in denen sie dem Film erden. Diese Szenen sind Teil der Alltagsszenerie, die für die beiden Hauptfiguren im Film gerade keine Rolle spielt. Junge Liebe kennt keinen Alltag. Aber so einfach ist das Leben ja nicht.

Die Rückblende erzählt Laura, als sie zuhause mit ihrem Mann, der Kreuzworträtsel löst, im Wohnzimmer sitzt, oben schlafen die beiden Kinder. Stumm erzählt sie ihrem Mann die ganze Geschichte, nur, um sie sich einmal von der Seele reden zu können, denn sie kann sie niemandem erzählen; eine beste Freundin hat sie nicht. Und ihren Mann würde sie nur verletzen. Ihre Stimme klingt bedrückt, von Melancholie, ja Trauer umwölkt. Immer Donnerstags treffen sich Laura und Alec und sie verlieben sich ineinander, immer in Sorge, von Bekannten gesehen zu werden. Ihr erster küss erfolgt weit draußen vor der Stadt. Intimer werden sie nicht – einmal beinahe, aber als beide noch mit sich und ihrer Moral ringen, werden sie (wieder) gestört.

Alecs Familie lernen wir nicht kennen. Lauras Familie lebt ein behütetes Dasein, der Mann ist liebevoll und offenbar erfolgreich in seinem Beruf, den wir nicht erfahren, zuhause aber eher hilflos. Kindererziehung, Familienleben, das zu organisieren überlässt er lieber seiner Frau.

Laura und Alec, die beiden bis dahin glücklichen Familienmenschen, werden erst unglücklich, als sie sich ineinander verlieben. Wie soll das gehen? Sie können doch nicht ihre beiden Leben umwerfen wegen eines Gefühls. Sie spüren die Verantwortung. Im England jener Jahre ist es zudem nicht üblich, mit seinen Gefühlen hausieren zu gehen; man unterdrückt sie. Prompt schleichen sich die ersten Lügen in Lauras Eheleben, was sie zusätzlich bedrückt. Sie liebt ihren Mann. Sie liebt aber auch Alec. Der Ort, in dem sie sich jede Woche treffen, ist beschaulich, ordentlich, sauber und überall drohen fremde Augen etwas zu sehen, was sie nicht sehen sollten; sofort ginge ein Gerede los. So erleben wir auf der Leinwand einen Himmel voller Geigen, zwei Menschen mit beinah zerspringenden Herzen füreinander, die nicht zueinander kommen können. Der dramatische Moment vom Beginn des Films, als die brabbelnde Frau sich an den Tisch setzt, markiert den Moment, an dem sich Laura und Alec, der mit seiner Familie nach Südafrika gehen wird, für immer voneinander verabschieden und dies nun nur sehr sachlich tun können. Selbst das Ende dieser verbotenen Liebe wird noch gestört.

Noël Coward, geboren 1899, der Autor des zugrunde liegenden Bühnenstücks, war homosexuell und kannte sich aus mit dem Gefühl der verbotenen Liebe im zugeknöpften England. Womöglich war es ihm deshalb möglich, so warmherzig und menschlich darüber zu schreiben. David Leans Verfilmung, die Howards Einakter um die Szenen im Kleinstadtleben erweitert hat, erzählt eine alltägliche, realistische Liebesgeschichte, der leidenschaftlich der Frage nachgeht, wie selbständig wir unser Leben gestalten können, ob wir schon in jungen Jahren die Weichen stellen und dann unbeirrt wie auf Schienen am Lebensweg entlang rollen. Und, ob es auch um den Preis großer Verheerungen gerechtfertigt sein kann, vom Zug abzuspringen, wenn er spürbar nicht in die interessanteste Richtung fährt. Die Antwort auf diese Frage lässt der Film im Wartesaal des Bahnhofs zurück.

Wertung: 6 von 6 D-Mark
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