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Plakatmotiv: The Million Dollar Hotel (2000)

Ein Märchen von der reinen Liebe,
die vom Großen Nichts bedroht wird

Titel The Million Dollar Hotel
(The Million Dollar Hotel)
Drehbuch Bono & Nicholas Klein
Regie Wim Wenders, Deutschland, UK, USA 2000
Darsteller

Jeremy Davies, Milla Jovovich, Mel Gibson, Jimmy Smits, Peter Stormare, Amanda Plummer, Gloria Stuart, Tom Bower, Donal Logue, Bud Cort, Julian Sands, Conrad Roberts, Harris Yulin, Charlayne Woodard, Ellen Cleghorne u.a.

Genre Drama, Crime
Filmlänge 122 Minuten
Deutschlandstart
10. Februar 2000
Inhalt

Ein heruntergekommenes Hotel in Downtown L.A. ist der Zufluchtsort vieler Menschen, denen es am nötigen Geld für eine bessere Unterkunft fehlt. In dem bescheidenen Hotel spielt sich auch der Großteil vom Dasein des unterdurchschnittlich intelligenten und liebestrunkenen Tom ab, der heimlich in das schöne Straßenmädchen Eloise verliebt ist.

Kurz bevor er ihr seine Liebe gestehen will, wird der exzentrische Junkie Israel Goldkiss, ein Freund Toms, tot aufgefunden. Er ist vom Dach des Hotels gesprungen. Oder wurde er gestoßen? Der FBI-Agent Skinner wird mit Ermittlungen in der Sache beauftragt. Denn "Izzy" war der Sohn eines vermögenden Medien-Moguls und der hat Zweifel am angeblichen Selbstmord seines Sohnes. Vor allem mag er nicht als reicher Vater eines sein Leben in einem schäbigen Hotel fristenden jungen Selbstmörders in den Schlagzeilen konkurrierender Medien auftauchen.

Skinner ist für seine unorthodoxen Ermittlungsmethoden bekannt und hat schnell eine Reihe von Hotelgästen unter Verdacht. Zu denen gehört auch Tom. Noch ahnt niemand, dass dieser verlängerte Arm des Gesetzes noch verrückter ist als all diese lebensuntauglichen Gestalten im "Million Dollar Hotel" …

Was zu sagen wäre

Der Film startet mit einem souveränen, viel erzählenden Establishing Shot, der zunächst aussieht, wie so viele Einstiege in Großstadtfilme. Die Kamera fliegt an den Hochhäusern der City von Los Angeles entlang. Immer mehr Glastürme kommen ins Bild. Irgendwann richtet sich die schwebende Kamera aus, bietet kurz einen Blick frontal auf die sauber glänzende, Ordnung verheißende Stadtskyline, dann schiebt sich vom unteren Bildrand der überhaupt nicht hierher passende Schriftzug des "Million Dollar Hotel" ins Bild. Und in der Tat, dieses Hotel passt nicht zum Rest des Bildensembles, es ist … nun, FBI Special Agent Detektive Skinner sagt „Dieser Laden ist ein Irrenhaus.“ Für die Leute da draußen in der Skyline-Welt trifft es das wohl ganz gut. In diesem Haus ist nichts ordentlich, nichts genormt, am allerwenigsten die Bewohner. Im FBI-Sprech: „Ein paar Vorstrafen, aber das meiste sind Akten aus der Nervenheilanstalt. Leute, die durch das soziale Netz gerutscht sind, ohne Versicherung. Man hat sie fallen lassen.

Es ist eine Märchenwelt, in die der Film uns dann entführt. Es spielt hier keine Rolle, wie sich die Bewohner, die sich selber „Nudelsuppe in der Gehirnschale“ attestieren, die Zimmer, und seien diese noch so billig, leisten können, wie sie überhaupt ohne Hilfe professioneller Pflegekräfte auskommen sollen. Es sind, um den FBI-Begriff aufzunehmen, Gefallene. Gefallene Engel, gefallene Menschen, auf jeden Fall die einzig sympathischen Personen in diesem Film, ihnen gehört die ganze Liebe der Filmemacher.

In diese Welt hinein stößt eine Art schwarzer Engel, der FBI-Agent, den Mel Gibson, dessen ICON Entertainment den Film produziert hat, mit Lust an der Charge spielt (Payback – Zahltag – 1998; Lethal Weapon 4 – 1998; Fletchers Visionen – 1997; Kopfgeld – 1996; Braveheart – 1995; Maverick – Den Colt am Gürtel, ein As im Ärmel – 1994; Lethal Weapon 3: Die Profis sind zurück – 1992; Ein Vogel auf dem Drahtseil – 1990; Lethal Weapon 2 – Brennpunkt L.A. – 1989; Tequila Sunrise – 1988; Lethal Weapon – Zwei stahlharte Profis – 1987; Mad Max – Jenseits der Donnerkuppel – 1985; Die Bounty – 1984; Mad Max 2 – Der Vollstrecker – 1981; Mad Max – 1979). Dass Skinner nicht ganz sauber ist, wird schnell klar, wenn er unter Ermittlungsarbeit versteht, den Hotelbewohnern keine Fragen rund um den Tod des Verblichenen zu stellen, sondern statt dessen Abhörwanzen in ihren Zimmern versteckt und die Toiletten im ganzen Hotel sabotiert; wozu man wissen muss, dass die Hotelbewohner die größte Sorge haben, dass die Toiletten mal wieder nicht funktionieren – was wohl häufiger mal vorkommt in diesem Hotel. Plakatmotiv (US): The Million Dollar Hotel Skinner scheint ein harter Hund zu sein, hat eine riesige Narbe, die sich über seinen ganzen Rücken zieht. Wie sich im Laufe des Films herausstellt, ist er im Kreis der bunten Hotelbewohner der größte Freak – was seine Art der Ermittlung dann ein bisschen erklärt.

Wenn Sie einen Sündenbock brauchen, wenden Sie sich an die CIA. Wenn Sie sich an mich halten, kriegen Sie die Wahrheit.“ „Die Wahrheit?!? hähähä Meine Männer entscheiden die Wahrheit in 60 Ländern, jeden Morgen. Und überall ist es eine andere. Die Wahrheit ist die Erklärung, die die meisten Menschen bereit sind, uns abzukaufen. Meine Konkurrenten drucken jeden Mist, den sie mir anhängen können, um mich damit die Toilette runterzuspülen.“ Dieser Dialog führt Agent Skinner in die Geschichte ein sowie seinen Auftraggeber, den Vater des toten Junkies und Besitzer eines weltweiten Medienimperiums, der nach dem Suizid des Sohnes um seinen Ruf fürchtet und also einen Mörder, irgendeinen Mörder seines Sohnes der Öffentlichkeit präsentieren will. „Die finden nichts, bevor ich es finde. Information ist mein Geschäft.“, sagt also Skinner und Stanley Goldkiss, der Medienmogul, antwortet „Wir sind hier in Hollywood, mein Lieber. Die finden nichts, die erfinden alles. Und dazu brauchen die nicht viel. Eine Handvoll Scheiße und die machen ein Soufflé draus.“ Diesen Stanley Goldkiss spielt der wunderbare Harris Yulin, der sich viel zu rar macht. Wenige porträtieren bornierte Hackfresse-Typen so elegant hassenswert wie er (Hurricane – 1999; Mord im Weißen Haus – 1997; Die Piratenbraut – 1995; Das Kartell – 1994; Narrow Margin – 1990; Eine andere Frau – 1988; Scarface – 1983).

Der gerade zitierte Dialog arbeitet einerseits Wim Wenders' Besessenheit ab, in jeden seiner Filme eine mittelschwere bis schwere Spitze gegen die Filmindustrie im Los-Angeles-Stadtteil Hollywood abzuschießen. In einem Gespräch mit dem Magazin Der Spiegel sagte Wenders 1987: „Die Art und Weise, wie dort eine Fülle von Talent mißachtet und kaputtgemacht wird, ist einfach schrecklich. Die Filme werden nicht von den Künstlern, sondern von ein paar Agenten und Rechtsanwälten bestimmt, die sich wie die Schmeißfliegen auf diesen riesigen Scheißhaufen nicht beschäftigter Leute werfen, um ihn Schicht für Schicht abzutragen. Die Künstler sind nur die Opfer. Hollywood ist das Sündenbabel der Neuzeit, die größte Schmierenindustrie, die man sich denken kann.“ Aber dieser Dialog zwischen Skinner und Goldkiss führt andererseits auch auf die Metaebene des Films. Denn natürlich ist das nicht nur ein romantischer Film über ein paar Loser, unter denen einer stirbt, was dann für ein wenig Aufregung sorgt.

Wenders lässt es nicht bei seiner verbalen Spitze gegen The Industry. Er inszeniert eine zweistündige Ballade über den Kampf der letzten Aufrechten gegen die alles erdrückende Macht der Controller in den Büros hoch oben über der Stadt – in den Skylinepalästen. Der Auteur Wenders inszeniert die Hotelbewohner als die letzten Freigeister, die immer Alles oder Nichts spielen gegen die sie nach und nach verdrängende Kultur der globalen Wirtschaft – anders gesagt: die letzten Autorenfilmer im Rückzugsgefecht gegen Produzenten von Independence Day, Bad Boys oder Star Wars. Dass es jene Außenwelt ist, jene saubere, ordentliche, mit Preisschildern vollgehängte Gesellschaft ist, die nicht alle Latten am Zaun hat, zeigt sich, als drei mit ordinärem Straßenteer vollgeschmierte Leinwände, die angeblich aus der künstlerisch verkannten Hand des Verblichenen stammen, für Furore in der Kunstszene der Stadt sorgen, die in einer grotesken Vernissage gipfelt, die bevölkert ist von Ahnungslosen, Trittbrettfahrern und eitlen Adabeis – eine Horde Lemminge, aufgescheucht vor allem von einer TV-Station, die dem Konkurrenten Goldkiss zu gerne ans Bein pinkelt und dafür das erzählt, was sich gut verkauft. Nicht das, was wahr ist. Ganz so, wie Stanley Goldkiss das zu Beginn erklärt hat. Der weiß es, weil er es genau so macht.

Diese Kritik an modernem TV-Konsum ist nicht mehr ganz frisch, seit Network das 1976 brillant aufgespießt hat, und seit damals dieser Blick auf den hypnotisierten TV-Konsumenten zum Setzkasteninventar des Kinos gehört, sobald dort ein TV-Reporter auftritt – zum Beispiel in Broadcast News (1987) oder Ein ganz normaler Held (1992). Und genauso bleibt der Blick des Films auf das Kunstgeschäft in Karikaturen hängen. Diese Beobachtungen anzumerken, nachdem der Kinovorhang sich wieder geschlossen hat, dient der Vollständigkeit dieses Textes. Während des Films stört das alles aber gar nicht. Da sind wir bestens abgelenkt durch eine feinfühlige, schüchterne Romanze zwischen einem geistig Herausgeforderten und einer verschlossenen, feengleichen Einzelgängerin – eine große Liebe, die vom großen Nichts bedroht wird.

Ja, der Film hat seine Metaebene und die ist Wim Wenders wichtig und die kann man ihm vorwerfen mit der Frage, ob es nicht langsam mal gut sein kann, wir haben es doch alle verstanden. Andererseits stänkert zum Beispiel Greenpeace ja auch immer noch und weiterhin gegen Atomkraft- und Kohlekraftwerke. Und, abgesehen davon, hat Wim Wenders hier einen mächtig unterhaltsamen, vielschichtigen Film gedreht.

Wertung: 9 von 11 D-Mark
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