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Plakatmotiv: Summer in the City (1970)

Wortkarge Beobachtung eines Verfolgten
durch nasskalte Winterstraßen der Stadt

Titel Summer in the City
Drehbuch Wim Wenders
Regie Wim Wenders, BRD 1971
Darsteller

Hanns Zischler, Edda Köchl, Libgart Schwarz, Marie Bardischewski, Gerd Stein, Muriel Werner, Christian Thiele, Helmut Färber u.a.

Genre Drama
Filmlänge 116 Minuten
Deutschlandstart
15. Oktober 1971
Inhalt

Hanns wird im nasskalten Winter aus dem Gefängnis München-Stadelheim entlassen. Seine Freunde von früher sind hinter ihm her, melden alte Ansprüche an. Hans, der sich ziellos durch die Stadt treiben lässt, flippert, spielt Billard und am einarmigen Banditen. Ein Freund erzählt ihm John Fords „Spuren im Sand“. Als die Kumpane zu nah rücken, flieht Hans nach Berlin, wo er fremd bleibt. Er liest das Berliner Kinoprogramm einer Freundin am Telefon vor. Wieder flieht er, diesmal nach Amsterdam, weil sein Foto zufällig in der Zeitung war …

Was zu sagen wäre

Ein Mann kommt aus dem Gefängnis frei. Seine ehemaligen Kumpane haben noch eine Rechnung mit ihm offen. Er muss fliehen. Was ist eigentlich älter? Dieses Storygerüst oder das Medium Film? Wir haben es in vielen Filmen erkannt, meistens aus Hollywood, aber auch Frankreich liebt das Sujet. Die Regisseure aus Hollywood nähern sich diesem Thema mit Spannungselementen – schnellen Schnitten, wummernde Bässe, Verfolgungsjagden durch die Straßen der Stadt. Die Regisseure in Frankreich und Italien gehen es etwas gelassener an, der Held, gerne Belmondo oder Delon, steht im Mittelpunkt und macht die Gegner nach und nach kalt.

Wim Wenders der Regiestudent, der mit "Summer in the City" seine Abschlussarbeit zeigt, geht das Sujet ganz langsam an. Sehr langsam. Wortkarg. Wenn überhaupt ein Wort in den sehr langen Einstellungen fällt. Dann sitzen sich Menschen teilnahmslos gegenüber, einer sagt etwas, die andere liest weiter Zeitung. Überraschende Aussagen werden nicht mit Erstaunen aufgenommen, sondern ungerührt vernommen.

Wenders folgt diesem Hanns, der aus dem Gefängnis kommt, in einem Auto durch die Straßen gefahren wird, aussteigt, Zigaretten kauft, sich an einen Tresen setzt (wobei die Kamera ein Edward-Hopper-Motiv aufgreift), jemanden anruft, das Gespräch dann abbricht, wo ist eigentlich der Mann geblieben, der ihn vor den Gefängnistoren abgeholt hat? Jetzt spielt Hanns Flipper. Dann kommt er bei einer Freundin unter, die wenig spricht, aber an einer Stelle sagt: „Ich bin gestern nachmittag um fünf Uhr mit dem Taxi in die Stadt gefahren. Wegen des dichten Verkehrs mussten wir an sehr vielen Ampeln halten. Zweimal habe ich dabei Autofahrer beobachtet, die in den Wartezeiten schnell eine Tablette geschluckt haben.“ Dann klingelt das Telefon. Jedes Bild dreht Wenders in einer langen Einstellung vom Stativ. Das Bild ist starr, es bewegen sich die Menschen, sofern sie nicht starr auf einem Stuhl oder im Auto sitzen.

Immer wieder fährt die Kamera im Auto mit und zeigt minutenlang die unsichtbaren Häuserfassaden bei Nacht, die nur an den Neonschriften zu erahnen sind. Dann spielen Hanns Zischler und Wim Wenders in einer Gastrolle sechs Minuten Billard miteinander, wortlos, die Kamera hält die Partie, die ohne jede Spannung abläuft, in fünf Einstellungen fest. Wohnungswechsel werden nötig, weil die ehemaligen Kumpanen ihm näher kommen. So landet er schließlich in Berlin bei neuen wortkargen Gesprächspartnerinnen und in langen Autofahrten durch die nächtlichen Straßen. Wenders sagt: „Der Weg des Helden ist ein Fluchtweg, von der Hoffnung getrieben, sich durch die bloße Bewegung des Reisens wieder selber zu finden.

Wenders' "Summer in the City" ist ein verschneiter, kalter Winter des Mißvergnügens, Graupel, Schnee, in tristem Schwarz-Weiß. Relikte eines Gangsterfilms, gedreht auf 16mm-Filmmaterial. Der Titel ist aber keine sarkastische Überhöhung, sondern wohl dem Umstand geschuldet, das gegen Ende des Films The Lovin' Spoonful ihr "Summer in the City" singen. Rockmusik ist viel in diesem Film auch The Kinks, Chuck Berry, Gene Vincent oder The Troggs. Einmal hält Wenders' Kameramann Robby Müller etwa drei Minuten auf einen Fernseher, auf dem eine Musiksendung zu sehen und zu hören ist. Wenders hatte bei seinem Anschlussfilm offenbar Probleme mit dem Ton. Die Dialoge sind schwer zu verstehen, oder gar nicht. Dann werden sie aus dem Off ohne Betonung nachgesprochen.

<Nachtrag2012>Wim Wenders' erster abendfüllender Spielfilm, sein Abschlussfilm an der Hochschule für Fernsehen und Film in München, deutet die Entwicklung des jungen, innovativen Regisseurs an. Sein Interesse für sprechfaule Männer mit Vergangenheit, die durch die Stadt stromern, die Bilder von Edward Hopper, sein Faible für Rockmusik; nur Eisenbahnen, die bis 1991, bis Bis ans Ende der Welt in seinen Filmen auftauchen, gibt es keine. Der Wille wird deutlich, dass Wenders beim Filme machen andere Intentionen verfolgt, als seine amerikanischen Kollegen, die er verehrt und in seinen Filmen gerne zitiert. In den Filmen, die folgen, werden die Kameraeinstellungen etwas kürzer, die Schnitte sauberer und die Menschen haben etwas mehr Dialog. Es wäre interessant zu hören, wie Wenders seine innovative Erzähltechnik seinen lehrenden Professoren an der Hochschule angedient hat.</Nachtrag2012>

Wertung: 2 von 8 D-Mark
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