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Plakatmotiv: Falsche Bewegung (1975)

Eine stille Studie über
ein kaltes Deutschland

Titel Falsche Bewegung
Drehbuch Peter Handke
nach dem Roman "Wilhelm Meisters Lehrjahre" von Johann Wolfgang von Goethe
Regie Wim Wenders, BRD 1975
Darsteller

Rüdiger Vogler, Hans Christian Blech, Hanna Schygulla, Nastassja Kinski, Peter Kern, Ivan Desny, Marianne Hoppe, Lisa Kreuzer, Adolf Hansen u.a.

Genre Drama
Filmlänge 103 Minuten
Deutschlandstart
14. März 1975
Website wimwendersstiftung.de
Inhalt

Wilhelm Meister will unbedingt Schriftsteller werden, muss sich von seiner Mutter jedoch tagtäglich anhören, dass er dazu viel zu unerfahren sei. Ihm fehle es an Erlebnissen, Erfahrungen und Bekanntschaften, die er in seinen Schriften verarbeiten könnte.

Also macht sich Meister auf und tritt eine Reise von Glückstadt nach Bonn an. Als er in Hamburg umsteigt, macht er die Bekanntschaft der schönen Therese Farner, bei der er auch Eindruck hinterlässt und ihre Telefonnummer erhält. Später treffen sie sich in Bonn wieder, wo sie zur mittlerweile dreiköpfigen Reisegruppe um Wilhelm dazu stößt.

Als sie dann auf den österreichischen Dichter Bernhard Landau treffen und der sie auf das Anwesen eines Bekannten einlädt, beginnt die Reise wirklich interessant zu werden. Denn trotz der gemeinsamen Erlebnisse will sich keiner dem anderen öffnen, sodass alle im Wesentlichen einander Fremd bleiben …

Was zu sagen wäre

Es kam mir vor, als hätte ich etwas versäumt. Oder versäumte immer noch etwas. Mit jeder neuen Bewegung.“ Zum Schlussbild kommt aus dem Off dann noch die Erklärung für den bis dahin rätselhaften Filmtitel. Falsche Bewegungen macht dieser junge Wanna-be-Schriftsteller mit dem Goethe–Namen Wilhelm Meister jede Menge. Schon im ersten Bild wirkt er, als sei er im Büro einer Behörde, irgendwo im unteren Management, besser aufgehoben, als in der Schriftstellerei. Dennoch will er genau das aber werden. Im Finale steht er dann auf der Zugspitze, ganz allein auf dem höchsten Punkt Deutschlands in einem Symbolbild: Er hat sich jetzt auch bildhaft ganz weit von den Menschen entfernt, denen er tatsächlich nie näher gekommen ist, obwohl sie ihm doch beständig Geschichten geliefert haben.

Wim Wenders stopft lauter Symbole in seinen Film. Der Rhein, der "Schicksalsfluss" der Deutschen begleitet den bunt zusammengewürfelten Haufen aus Artistin, Obdachlosem, Schauspielerin, Dichter und … naja, eben Wilhelm, der Schriftsteller werden will. Der hadert, ob er ein politischer oder ein poetischer Schriftsteller sein wolle und an zu erzählenden Geschichten nicht interessiert scheint. Darin ähnelt der den beiden Filmemachern, Peter Handke am Drehbuch und Wim Wenders auf dem Regiestuhl. Beider Interesse gilt nicht der Entwicklung eines Simplicissimus hin zu einem Schriftsteller oder gescheiterten Schriftsteller. "Falsche Bewegung" ist eine Studie über Kontaktarmut der Menschen in Deutschland, die 30 Jahre nach Kriegsende immer noch einen neuen Sinn für ihr Leben zwischen Nazideutschland und Glück versprechender Zukunft in einer unwirtlichen Gegenwart suchen. In der Mütter ihren Söhnen zum Abschied sagen: „Ich häng' an Dir. Und ich bitte Dich, mich nicht zu vergessen.“, und dann die Stirn an seine Schulter drücken. Die Menschen in diesem Film leben in Betonwüsten, in denen nicht einmal ein Alibibäumchen das Grau unterbricht. Sie leben auf halb verfallenen Schlössern, die schon Jahrzehnte lang keine Handwerker mehr gesehen haben. Die Bahnhöfe sind große Baustellen, die man flieht, statt kommunikative Orte, an denen man in Verbindung tritt. Selbst das schöne Mittelrheintal ist ein nasskalter, windiger Ort.

Handkes Figuren erzählen sich ihre Träume, philosophieren über die Einsamkeit als Problem einzig der Außenwahrnehmung. Einer kündet große Geschichten an, die er immer schuldig bleibt, bis er sich als Altnazi und Judenmörder entpuppt („Ich habe aber auch Juden das Leben gerettet.“). Wieder ein anderer, ausgerechnet ein Österreicher, schreibt morbide Gedichte und wirkt in seiner Peter-Lorre-haften Schweinsäugikeit wie der deutsche Biedermeier, der das Brandstiften jederzeit wieder aufnehmen würde – Peter Kern spielt diesen Dichter gekonnt zwiespältig. Das junge Mädchen in der bunt zusammen gewürfelten Truppe ist stumm, jongliert ein bisschen, turnt ein bisschen und lässt sich großäugig des nachts von Wilhelm besteigen – gespielt wird sie von Nastassja Nakszynski, die später als Nastassja Kinski bekannt wird und die Tochter von Klaus Kinski ist. Sie ist süß anzuschauen, kann aber mehr auch nicht beisteuern; daher wirkt sie, als hätten die beiden Männer, Handke und Wenders, sich mal ein hübsches Mädel ans Set geholt, das nackte Brust zeigt. Sex sells, und das kann man von Hannah Schygulla schließlich nicht verlangen, blank zu ziehen. Sie ist das Gegenbild der stummen Mignon: blond, fordernd, wortreich, offensiv – nichts also für den introvertierten Möchtegern-Schriftsteller, der sich so gern als Macher versteht, unterwegs aber alle Menschen mit ihren vielen Geschichten verliert.

Übrig bleibt der in sich gekehrte Eingebildete, der die Welt nicht versteht und folglich nie wird schreiben können.

Wertung: 4 von 8 D-Mark
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