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Plakatmotiv: Palermo Shooting (2008)

Ein visuell berauschender Essay
über die Zeit, den Tod und das Bild

Titel Palermo Shooting
Drehbuch Wim Wenders + Norman Ohler + Bernd Lange
Regie Wim Wenders, Deutschland, Frankreich, Italien 2008
Darsteller

Campino, Giovanna Mezzogiorno, Dennis Hopper, Sebastian Blomberg, Milla Jovovich, Inga Busch, Melika Foroutan, Jana Pallaske, Udo Samel, Anna Orso, Letizia Battaglia, Lou Reed, Axel Sichrovsky u.a.

Genre Drama
Filmlänge 124 Minuten
Deutschlandstart
20. November 2008
Inhalt

Als weltweit erfolgreicher Fotograf lebt Finn ein gleichermaßen prominentes wie hektisches Leben in der Rheinmetropole Düsseldorf. Seine Nächte sind ruhelos, sein Mobiltelefon steht nie still, und die Musik im Kopfhörer ist sein wichtigster Begleiter.

Nach einem Shooting in seiner Heimatstadt Düsseldorf kommt es jedoch fast zur Katastrophe, als er beinahe einen schweren Autounfall verursacht. Durch dieses Ereignis stellt er sein gesamtes bisheriges Leben in Frage und erkennt eine gewisse Sinnlosigkeit in seinem Dasein. Deswegen packt er seine Sachen und fliegt ausgestattet mit einer alten Kamera nach Palermo. Dort erkundet er die Stadt auf eigene Faust, immer auf der Suche nach einem Sinn in seinem Leben.

Er trifft auf die schöne Flavia, die sein Herz sofort erobert, während er sich aber erst einer viel größeren Herausforderung stellen muss, bevor sich um die Liebe kümmern kann: der Konfrontation mit dem leibhaftigen Tod …Lisbon StoryLisbon Story

Was zu sagen wäre

Die Welt besteht aus Bildern. Ein steter Strom von Katastrophen, Tieren, Brüsten, Essen, Klamotten, Architektur, Gesichtern, Autos, Bäumen, Straßen. Wir haben uns von allem ein Bild gemacht. Im Leben geht es nur noch darum, ein neues Bild des Gleichen zu erschaffen (über diese Binse haben ja schon Wim Wenders' Engel in In weiter Ferne so nah vor 15 Jahren geklagt). Finn Gilbert ist der Protagonist für diese These. Sein Leben findet in Extremen statt. Seine Modefotografie ist extravagant – also realitätsfern („It's Finn, You know!“, lächelt Model Milla Jovovich über den aufgedrehten Fotografen). Seine Ehe ist im Eimer, er pennt in Clubs von Freunden, in Betten flüchtiger Clubbekannntschaften, und seit seine Mutter gestorben ist, sind seine Fotomotive immer weniger wirklich. Finn sieht, was er sieht. Dahinter ist er blind. Wenn ihm eine Realität nicht gefällt, setzt er seine Leute daran, mit Photoshop und Morphing die Realität zu erzeugen, die er für sein jeweiliges Projekt optisch für angemessen hält. „Die Dinge sind nur Oberfläche“, erklärt er einer Studentin und die erwidert enttäuscht: „Wenn nichts hinter den Dingen hervortreten kann, dann brauchen wir sie auch nicht zu fotografieren. Dann brauchen wir gar nichts mehr zu tun. Dann können wir uns auch in Ruhe besaufen und darauf warten, dass wir in Rente gehen.Oder besser noch vorher abkratzen.“ Auch Finn ist einer, der an einer Weggabelung steht. Ein Fotograf, der Bilder sucht, so wie Wim Wenders Bilder sucht, zu denen er eine Geschichte erfindet.

Ursprung des Films war wohl eine Anfrage der Stadt Palermo, ob Signore Wenders nicht über die Stadt sowas ähnliches machen könne, wie 1994 über die Stadt Lissabon – die war damals Kulturhauptstadt Europas und Wenders war beauftragt, Lissabon in einem Spielfilm zu porträtieren. Das Ergebnis war Lisbon Story.

Also ist Wim Wenders wohl eine Zeit lang durch Palermo spaziert und hat den Geist dieser Stadt aufgesogen, ihren Charakter, den er als „grotesk und lärmend auf der einen Seite, großartig und labil auf der anderen, tief verletzt, aber nicht totzukriegen“ bezeichnet. Eines wollte er dabei unbedingt nicht machen: DVD-Cover: Palermo Shooting (2008) einen Film über die Mafia. Grundlage für die Rahmenhandlung war das Fresko "Il Trionfo della Morte" (Der Triumph des Todes) aus dem 15. Jahrhundert im Palazzo Abatellis. Die Wandmalerei zeigt den Tod als apokalyptischen Reiter, der mit Pfeilen seine durchweg hochrangigen und die Stadt beherrschenden Opfer erlegt.

Mit "Palermo Shooting" lässt Wenders die Musik den Takt der Geschichte bestimmen. Der lebensblinde Fotograf läuft stundenlang, von der Realität abgekapselt durch Rockmusik im Ohrstöpsel durch die Straßen der Stadt und diese Rockmusik bestimmt die Stimmung der Szenen, bestimmt den Rhythmus des Bildschnitts. In Wim Wenders Filmografie haben der Soundtrack und der Score schon zu Hochschulzeiten eine erzählerische Funktion gehabt, Wenders nutzt Musik nicht einfach mal so, irgendwie als Stimmungslenker. Auch in "Palermo Shooting" nicht. Auch da sei die Musik schon da gewesen, sagt Wenders, „bevor es überhaupt ein Drehbuch gab. Sie war letztlich der Grund, weshalb ich diese Figur des Fotografen Finn und diese Geschichte überhaupt erfinden wollte“. Die Rockmusik habe sich wesentlich mutiger und tiefergehender mit der Sinnsuche befasst, als es der Spielfilm in den letzten Jahrzehnten getan habe (Tracklist s.u.).

Erst als der Fotograf die schöne Flavia kennenlernt, eine Restauratorin, eine Bewahrerin, zieht er die Stöpsel aus dem Ohr und nimmt seine Umgebung mit allen Sinnen wahr. Ohne Kopfhörer nimmt er das Leben wahr. Als die Marktstände öffnen, kauft er Obst, entspannt redet er mit Händlern und spielt in den Gassen mit Kindern Fußball. Da findet die Oberfläche ihr Fundament wieder, Finns Fotos eine Tiefe, das Leben einen Sinn.

Carpe Diem strahlt aus dem Film, nutze den Tag, nutze die Zeit, die Du hast, denn die ist endlich. Nutze die Zeit, um das Leben zu leben und die Welt zu entdecken wie sie ist. Wenn Du die Zeit nur nutzt, um die Welt nach Deinen Vorstellungen zu photoshoppen, wirst Du nicht gelebt haben. Nach dem sehr bunten, beinah – man traut es sich gar nicht zu sagen – fröhlichen Don't come knocking kehrt Wenders noch einen Schritt weiter zurück zu seinen Anfängen. Die Bilder rücken wieder ins Zentrum, die er jetzt der lebensbedrohlichen Gefahr der Manipulation aussetzt.

Was ist echt? Wenders, der ein lustvoller Experimentierer mit neuen Bildtechniken ist, stellt fest, dass jede Manipulation, und mache sie das Foto, den Song, den Film noch so schön, die Wahrheit am Ende zerstört. Diese Botschaft begleitet uns seit den frühen Wenders-Filmen. Er hat sie in jüngeren Filmen schöner, spannender verpackt, hier gleiten die Dialoge der Figuren bisweilen ins Prätentiöse ab, was daran liegen mag, dass Wenders das Drehbuch nicht festlegte, es sollte sich im Laufe der Dreharbeiten ergeben ebenso wie die gesprochenen Texte in Zusammenarbeit mit den Darstellern.

Wertung: 3 von 6 €uro
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