Wim Wenders hat der Wuppertaler Tanztheater-Koryphäe Oina Bausch ein Denkmal gefilmt – eine Tanzfilm-Dokumentation in 3D mit dem Ensemble des Tanztheaters Wuppertal Pina Bausch, dessen Choreographin Pina Bausch er gewidmet ist.
Im Zentrum des Films stehen Ausschnitte aus Pina Bauschs Tanztheater-Stücken „Le sacre du printemps“, „Café Müller“ (ein Café in Solingen, in dessen Nähe Pina Bausch aufwuchs), „Kontakthof“ und „Vollmond“. Diese werden durch Interviewstatements und weitere Tanz-Choreografien ergänzt, die an Schauplätzen in Wuppertal und Umgebung gefilmt wurden …
Ins Ballett würde ich sonst nur gehen, weil ich die Frau, die mich da mit hinnehmen möchte, toll finde. Ansonsten aber kann ich mit Ballett nichts anfangen.
Oder: Ich konnte mit Ballett nichts anfangen. Bis zu diesem Film. Wim Wenders verneigt sich vor der 2009 verstorbenen Choreografin Pina Bausch; ein Mann, der in bewegten Bildern denkt, dessen Beruf die Arbeit mit der Filmkamera ist, widmet sich dem Medium Tanz – das aus nichts anderem, als Bewegung besteht. Und, sozusagen, um es sich ein bisschen schwerer zu machen, filmt Wenders das Ganze auch noch in 3D … in echtem 3D. Geile Bilder hat er da erschaffen!
Wenders liebt die Bewegung. Er respektiert den Tanz. Aber er fordert auch das Bild. Er braucht einen bildhaften Grund, um den Tanz zu filmen und der Grund lautet nicht „Na ja, die Bewegungen der Tänzer fließen doch schön“. Also inszeniert der Filmmann die Hommage an die Ballettkönigin. Und hier beginnt der Spaß für uns Zuschauer. Nichts wirkt ballettschwer, niemand bierernst, keiner macht den Sterbenden Schwan. Im Gegenteil. Die Tänzerinnen und Tänzer versprühen Lebensfreude in drei Dimensionen, vermitteln den Eindruck, als hätten sie einfach gerade Lust gehabt, draußen zu spielen und Klötzchen zu bauen. Oder Stuhl-Burgen. Da baut dann einer Stühle übereinander, gleichzeitig kriecht eine Tänzerin in wehendem Gewand durch die Stühle durch – durch das Kleid der Tänzerin bekommt das Ganze etwas Fließendes, Elegantes, gemischt mit (auweia) Cirque-de-Soleil-Artistik. Ich spüre den unbedingten Willen zu tanzen.
Wir erleben Menschen, die in andere hineinspüren wollen. „Ich sah Pina oft im Café Müller tanzen. Ich wollte spüren, was in ihr vorging“, sagt eine Tänzerin. „Sie bewegte sich, wie mit einem Loch im Bauch. Als käme sie aus dem Reich der Toten.“ Diesem Erspüren schauen wir zu und bald ist es egal, ob man spürt, was in Pina Bausch vorgegangen sein mag oder ob man im Rausch der fließenden Bewegung, die abwechselnd auf der Bühne und in realer Landschaft stattfindet, eigenem Spüren nachhängt – hypnotisches 3D.
Wenders holt den Tanz auf die große Leinwand und er riskiert, dass aus den eleganten, gesichtslosen Tänzern – ganz dahinten auf der Bühne – große nahaufgenommene Menschen mit komischen Bewegungen werden … sie werden verletzlich … werden Tänzer … Arbeiter … werden … Mensch. Daraus wird ein Fest fürs Auge, ein großes Festival, eine Liebeseklärung an seine Titelheldin.
Zwei schöne Beobachtungen am Rande: Der Tanz auf Zehenspitzen – das Ballett schlechthin also, das als Ausdruck höchster Bewegungsleichtigkeit gilt – der federleichte Tanz findet in der Kulisse einer stillgelegten Schwermetall-Fabrik statt, ein Spitzentanz für Heavy Metal. Und natürlich darf in einem Film aus Wuppertal dessen Wahrzeichen nicht fehlen. Eine der optisch schönsten Nummern spielt rund um die – auch schwebende – Schwebebahn.
Der ganze Film ist eine einzige Leichtigkeit des Seins.
Die Kinofilme von Wim Wenders

Wenders sieht sich als „der Reisende und dann erst Regisseur oder Fotograf“. Von 1991 bis 1996 war Wenders Vorsitzender der Europäischen Filmakademie und ist seither deren Präsident. Außerdem war er von 2002 bis 2017 Professor für Film an der Hochschule für bildende Künste Hamburg. Zu seinem 75. Geburtstag im Jahr 2020 erschien die Dokumentation Wim Wenders, Desperado von Eric Friedler und Andreas "Campino" Frege, in der die Filmemacher die Ambivalenz zwischen europäischem und amerikanischem Kino (Wenders' Traumland) am Beispiel von Wim Wenders und Francis Ford Coppola analysieren.
- Summer in the City (1970)
- Die Angst des Tormanns beim Elfmeter (1972)
- Der scharlachrote Buchstabe (1973)
- Alice in den Städten (1974)
- Falsche Bewegung (1975)
- Im Lauf der Zeit (1976)
- Der amerikanische Freund (1977)
- Nick's Film – Lightning Over Water (1980)
- Hammett (1982)
- Der Stand der Dinge (1982)
- Paris, Texas (1984)
- Tokyo-Ga (1985)
- Himmel über Berlin (1987)
- Yamamoto – Aufzeichnungen zu Kleidern und Städten (1989)
- Bis ans Ende der Welt (1991)
- In weiter Ferne, so nah! (1993)
- Lisbon Story (1994)
- Die Gebrüder Skladanowsky (1995)
- Am Ende der Gewalt (1997)
- Buena Vista Social Club (1999)
- The Million Dollar Hotel (2000)
- Viel passiert – Der BAP-Film (2002)
- Land of Plenty (2004)
- Don't come knocking (2005)
- Palermo Shooting (2008)
- Pina – tanzt, tanzt, sonst sind wir verloren (2011)
- Das Salz der Erde (2015)
- Every Thing will be fine (2015)
- Die schönen Tage von Aranjuez (2016)
- Grenzenlos (2017)
- Papst Franziskus – Ein Mann seines Wortes (2018)