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Plakatmotiv: Every Thing will be fine (2015)

Beeindruckendes Drama von
einem entfesselten Regisseur

Titel Every Thing will be fine
(Every Thing will be fine)
Drehbuch Bjørn Olaf Johannessen
Regie Wim Wenders, D., Ka., Fr., Schw., Nor. 2015
Darsteller

James Franco, Charlotte Gainsbourg, Marie-Josée Croze, Rachel McAdams, Robert Naylor, Patrick Bauchau, Peter Stormare, Julia Sarah Stone, Lilah Fitzgerald, Jack Fulton, Peter Miller, Gilbert Wahiakeron, Claude Chamberlain, Céline Bonnier, Mary Katherine Harvey, Jessy Gagnon, Philippe Vanasse-Paquet u.a.

Genre Drama
Filmlänge 118 Minuten
Deutschlandstart
2. April 2015
Website roadmovies.com/every-thing-will-be-fine
Inhalt

An einem verschneiten Winterabend auf einer Landstraße mit schlechter Sicht kommt wie aus dem Nichts ein Schlitten einen Berg hinunter und kracht ungebremst in ein Auto. Der Autofahrer und Buchautor Tomas trägt keine Schuld an dem tragischen Unfall, der einen kleinen Jungen sein Leben kostet. Auch die Mutter Kate und der Bruder Christopher des Opfers sind schuldlos – dennoch stürzt Tomas in ein tiefes Loch und an der emotionalen Last zerbricht letztlich auch die Beziehung zu seiner Freundin Sara.

Er flüchtet sich in Alkohol und unternimmt einen Suizidversuch. Mit der für französische Literatur im Verlag zuständigen Lektorin Ann und ihrer Tochter Mina gelingt es ihm, eine Familie zu gründen, beginnt wieder zu schreiben und verarbeitet das Erlebte in einem halbbiografischen Roman. Obwohl dieser zum Erfolg wird, quälen ihn, auch durch sporadische Kontakte mit der Mutter und Christopher weiterhin die Fragen nach seiner Verantwortung.

Etwa elf Jahre nach dem Unfall bittet Christopher um ein Treffen und macht ihm dabei zum Vorwurf, infolge des Unfalls zum schriftstellerischen Erfolg gefunden zu haben …

Was zu sagen wäre

Alles wird gut werden – „Every Thing will be fine“ – das ist so eine Floskel, mit der alle gut umgehen können, die nicht direkt betroffen sind, die sie nur sagen müssen, um ihre Sprach- und Gedankenlosigkeit übermalen zu können. Dabei gibt es Dinge, die werden einfach nicht wieder gut. Der Film horcht dem Echo dieser Floskel nach, die früh fällt in diesem Film – nach einer Szene, die uns im Kinosessel zunächst misstrauisch die Augen kneifen und dann vor Schreck den Atem verschlucken lässt: Plakatmotiv: Every Thing will be fine (2015) Tomas ist ein Kind auf einem Schlitten vors Auto gedonnert. Das Kind, Christopher, lebt, steht offenbar aber unter Schock. Tomas redet dem Kind gut zu, sagt dabei auch dieses „Es wird alles gut werden.“ Aber als Tomas den Jungen an dessen Mutter Kate übergibt, fragt die entsetzt nach ihrem zweiten Sohn.

Der zweite Sohn liegt offenbar tot unter Tomas' Auto. Gar nichts wird gut werden.

Die Mutter des toten Jungen verarbeitete die Trauer über die Jahre, die der Film überbrückt. Irgendwann verbrennt sie den William-Faulkner-Roman im Kamin, den sie las, als ihr Junge unter das Auto geriet. Tomas fängt an zu trinken und verarbeitet sein Trauma in den kommenden Jahren durch seine Schriftstellerei. Christopher ist noch zu jung, um irgendwas zu verarbeiten. Bei ihm setzt der Prozess erst Jahre später ein. Kurz: Gar nichts wird fein. Jedenfalls für viele Jahre nicht.

Das ist ein bemerkenswerter Film von Wim Wenders. Er ist so emotional packend. Auf den ersten Blick. Keine Einstellung zu lang, keine Szene ausgedehnt, weil ein Rocksong auf dem Soundtrack noch eine Minute länger braucht, keine in eine Tischlampe verliebte Kamera. Sondern präzise Bildsprache, aktive Schauspieler – na gut, manchmal ein Dialog, der etwas gestelzt klingt. Wenders malt seine Geschichte in Bilder großer Einsamkeit, einzelne Häuser am verschneiten Waldrand, Eisfischer auf großem See, kleine Menschen in großer Natur; es sind prachtvolle Studien der Beziehungen zwischen den Menschen. Mehrfach filmt er Menschen, die sich nur noch wenig zu sagen haben, von außen durch die Fenster, jede Figur in ihrem eigenen Fensterrahmen. Seit Wenders sein Hammett-Trauma überwunden hat, hat er ein paar sehr schöne, sehr berührende, sehr aufwühlende Filme gedreht, aber so den Gesetzen der packenden Filmdramaturgie gefolgt ist er noch nie. Fast möchte ich sagen: Das ist mir zu amerikanisch!

Aber das ist es gar nicht. Vordergründig ist das die Geschichte eines Künstlers, der durch einen Schicksalsschlag von seinen Fesseln befreit und ein großer Künstler – in diesem Fall: Autor – wird; als wäre die Theorie, wonach nur aus großem Leid große Kunst erwächst, im Kino nicht seit Jahrzehnten zu Brei gemanscht worden. Die ganz und gar nicht amerikanische Hauptfigur will keine Kinder, fährt aber ein Kind tot, ohne etwas dafür zu können. Gleichzeitig versorgt er einen dementen Vater, der ihn kaum wieder erkennt – Tomas ist ein Vertreter jener vaterlosen Generation, die Wenders so oft in den Mittelpunkt seiner Filme gestellt hat, der ohne eigenes Kind nicht erlöst werden kann. Plakatmotiv (US): Every Thing will be fine (2015) Wenders hat Tomas' Beziehung zu seinem Vater für die Endfassung arg eingekürzt. Da müssen wir im Kinosessel jetzt ein wenig interpretieren, ähnlich so wie früher zu Zeiten von Falsche Bewegung (1975). Aber der Film endet erst, nachdem Tomas den suchenden Christopher in den Arm genommen hat. Da plötzlich scheint dann die Morgensonne in sattem Orange und Tomas' Lächeln in Zahnpastawerbungsbreite und alle Interpretation ist überflüssig. Wim Wenders inszeniert ein Happy End.

Wim Wenders inszeniert ein Happy End? Ja, deswegen ist das ein bemerkenswerter Wim-Wenders-Film. James Franco (The Interview – 2014; Homefront – 2013; Palo Alto – 2013; Planet der Affen: Prevolution – 2011; The Green Hornet – 2011; "127 Hours" – 2010; Spider-Man – 2002) ist die – weiter entwickelte – Wenders-Figur des Suchenden, der an einer Weggabelung im Leben steht und sich entscheiden muss. Er hat eine Freundin, die von einer Trias aus Haus, Apfelbaum und Familie träumt. Was er nicht tut. Er findet zum Schreiben zurück, nachdem er ein kleines Kind tot gefahren hat, weil erst der Tod so etwas wie Emotionen in seinem Organismus freisetzen. Dabei bleibt er alleine, auch in der Beziehung zu den beiden Frauen. Gefühle finden in Wenders' Kino selten im Gesicht eines Menschen statt, eher im Dialog oder im Set Design – nach der Trennung von Sara lebt Tomas in einem leeren Haus.

Drei Frauen spielen in seinem Leben eine Rolle. Mit Sara ist er zu Beginn des Films zusammen. Sie will Kind und Familie noch zu einem Zeitpunkt, wo die Beziehung schon im Argen liegt. Rachel McAdams spielt sie und zeigt, dass sie ganz gut den Sprung vom sonnigen, hektischen Mädchen aus der romantischen Komödie ins ernste Fach beherrscht (Alles eine Frage der Zeit – 2013; Für immer Liebe – 2012; Midnight in Paris – 2011; Morning Glory 2010; Sherlock Holmes – 2009; State of Play – Stand der Dinge – 2009; Red Eye – 2005). Kate ist die Mutter des überfahrenen Jungen, Illustratorin, die nach dem Verlust ihres Kindes selbst eine leuchtende Sonnenblume nur noch als vertrocknetes Gewächs zeichnen kann, ein stilles Gemüt. Charlotte Gainsbourg als in sich gekehrte Schönheit, die vom Leben, das sie mit ihrem überlebenden Sohn in Einsamkeit lebt, wenig erwartet. Und schließlich gibt es noch Ann, die alleinerziehende Lektorin, gespielt von Marie-Josée Croze. eine elegante Erscheinung, freundlich, für den kühlen Tomas aber stellt sie eher die Versuchsanordnung für eine Familie dar, samt Tochter, zu der er eine herzlichere Beziehung hat, als zur Mutter.

Wertung: 8 von 8 €uro
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