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Plakatmotiv: Wim Wenders, Desperado (2020)

Ein deutscher Erzähler im Kampf
gegen das Hollywood-Monster

Titel Wim Wenders, Desperado
Drehbuch Eric Friedler & Campino & Silke Schütze
Regie Eric Friedler + Campino, Deutschland 2020
Darsteller

Wim Wenders, Francis Ford Coppola, Patti Smith, Willem Dafoe, Werner Herzog, Andie MacDowell, Patrick Bauchau, Donata Wenders, Erika Pluhar, Hanns Zischler, Campino, Hark Bohm, Ry Cooder, Rainer Werner Fassbinder u.a.

Genre Dokumentation
Filmlänge 120 Minuten
Deutschlandstart
16. Juli 2020
Website wim-wenders-desperado.com
Inhalt

Dank Filmen wie Himmel über Berlin, Buena Vista Social Club und Paris, Texas gilt der deutsche Regisseur und Drehbuchautor Wim Wenders als Vorreiter des Neuen Deutschen Films, der poetische Filme über die Gegenwart schuf, die als Meilensteine des Arthouse-Kinos gelten.

In zahlreichen Interviews über die Person Wim Wenders erzählen Schauspieler und Zeitzeugen wie Willem Dafoe, Andie MacDowell, Hanns Zischler und Patti Smith von ihren Erfahrungen am Set und warum der Regisseur als ein Desperado gilt – ein Regisseur, der sich nicht an die Regeln hält.

Zugleich bekunden Filmemacher wie Francis Ford Coppola, wieso die Werke von Wenders nichts an Aktualität verloren haben und mit welchen unkonventionellen Mitteln sich Wenders dem Medium Film in seinem eigenen Schaffen annähert …

Was zu sagen wäre

Ich würde einem 18-jährigen Filmstudenten sagen: ‚Wenn du Filme machen willst, schau dir Wims Filme an, du Depp.‘“, bescheinigt Regisseur Werner Herzog, ein anderer Feuilleton-Held des Neuen Deutschen Films dem hier zu feiernden Wim Wenders, der, als die Dokumentation in die Kinos kommt, 75 Jahre alt wird, Preisträger der Goldenen Palme, Oscar-Nominee, gefeierter deutscher Filmemacher in aller Welt, ein echter deutscher Exportschlager auf dem Filmmarkt.

Eric Friedler, ein australischer Dokumentarfilmer, der in Hamburg lebt, will diesen Wim Wenders zu fassen kriegen und hat sich deshalb mit dem Düsseldorfer Musiker Andreas Frege zusammengetan, den man bei uns besser als Campino kennt, Frontmann der Toten Hosen, von dem spätestens seit Wenders' Palermo Shooting (2008) bekannt ist, dass er mit Wenders befreundet ist. Der Australia-Hamburger und der Düsseldorfer haben ein Script entwickelt, wie sie diesen deutschen Exportschlager greifen können und also viele Wegbegleiter vor die Kamera geholt.

Und der erste nennt mich dann gleich „Depp“. Weil ich auch mal Filmemacher werden wollte. Na klar, es mag aus Sicht Werner Herzogs sinnvoll sein, jungen Filmstudenten die Wenders-Filme zu zeigen, auf dass die sich darüber erschöpfend und erhellend die Köpfe heiß reden. Wenn ich aber gleich ein Depp bin, weil ich das nicht ohne Herzogs Souffleuse erkannt habe, bin ich gespannt, wie der Film weiter geht. Publikumsbeschimpfung zu Beginn eines Films funktioniert – das weiß man seit wenigstens 60 Jahren, seit Godards A baut de souffle, wo Belmondo die Zuschauer direkt anschaut und sagt „Sie können mich mal!“ –, weil sie neugierig macht auf den Typen. Ich bin neugierig, warum Wenders Filme so macht, wie er sie macht. Vor allem die aus den 1970er und den frühen 80er Jahren habe ich nämlich großenteils nicht verstanden. Ich finde sie langweilig. Wahrscheinlich, weil ich ein Depp bin.

Wenders' hat es in seinen frühen Jahren den Zuschauern nicht leicht gemacht. Wo das schon Anfang der 1970er Jahre populäre amerikanische Kino große Western-Mythen erzählte, einsame Cops durch den Dschungel der verregneten, von Neon beschienenen Großstadt schickte, mit Cleopatra und Ben Hur das Spektakelkino erfunden und mit, zum Beispiel, Wer hat Angst vor Virginia Woolf? (1966), ein Vier-Personen-Bühnenstück zu packender Leinwandreife gebracht hatte, kam Wenders mit der starren, stummen, beinah unbeweglichen Peter-Handke-Verfilmung Die Angst des Tormanns beim Elfmeter (1972). „Für mich“, sagt Wenders in der Doku "Wim Wenders, Desperado", „ist Erzählen ein Wagnis insofern, als man Erzählen nur ernsthaft darf – finde ich –, wenn man nicht weiß, wie es ausgeht. Wenn man vorher weiß, wie das ausgeht, ist es geschummelt, dann ist es auch kein Erzählen. Wenn man will, dass es aufgeht, und das von Anfang an plant und auch ein Drehbuch schreibt, wo alles schon bis zum Ende fertig geschrieben ist … warum will ich dann erzählen? Wenn ich nichts erfahren will in dem Erzählen. Wenn ich nicht wissen will, wohin führt diese Anfangssituation?“ Diesen entscheidenden Satz sagt Wenders in ganz großer Ruhe, mit großer Überzeugung, in locker genuschelter Souveränität. Das ist wirklich seine Haltung – und er hat mit seinen Filmen viele wichtige Filmpreise gewonnen und wurde der Liebling des deutschen Feuilletons. Dem – und dem „Depp“ nachzuforschen, ist ein Forschungsauftrag, wie ihn sich kein Filmemacher besser wünschen könnte. Das sind genug streitbare Thesen für eine ordentliche Fallhöhe in einer Zwei-Stunden-Dokumentation, die, folge ich Wenders' Gedankengang, auch scheitern kann – etwa, weil sich herausstellt: Nein, ohne Plan kann man einen Film eben doch nicht drehen. Aus finanziellen, logistischen und dramaturgischen Gründen nicht. Kann ja sein.

Hier wird der Ansatz deutlich, wie Wenders an ein Projekt herangeht. Er erzählt offenbar nicht, um andere zu unterhalten und ihnen mit seiner Erzählung eine Erkenntnis, Moral, Message, Punchline zu liefern. Wenders erzählt, um sich selbst zu überraschen und will dann diese Überraschung seinem Zuschauer präsentieren. Warum aber soll der Zuschauer sich über die Länge eines Spielfilms dafür interessieren, was ein Erzähler beim Erzählen erfahren hat? Gehören diese Dinge nicht ins Making Of? Oder in einen begleitenden Dokumentarfilm? Anders gefragt: Sind Wenders' Spielfilme in ihrer Essenz Dokumentarfilme? Donata Wenders sagt im Film, der Wenders' umfassendes Schaffen nach Paris, Texas gerade mal touchiert, dass in den letzten Jahren vor allem Dokumentarfilme ihrem Mann ein freudvolles Arbeiten beschert haben: Buena Vista Social Club, Yamamoto – Aufzeichnungen zu Kleidern und StädtenPina oder Das Salz der Erde machten den Dokumentarfilm im Kino wieder salonfähig. Wenders' zwölf nach Himmel über Berlin produzierte, zum Teil sehr kraftvolle, weil Story getriebene Spielfilme hingegen bleiben ganz außen vor.

Filmemachen ist nur zur Hälfte das, was man macht und zur Hälfte das, was man bekommt!“, sagt Wenders, als er versucht, das Wesen seines 1984er Erfolgs Paris, Texas zu erklären. Und da wird's dann langsam spannend. Lange geben sich Friedler und Frege der Faszination des lebenden deutschen Exportschlagers hin und drehen dem Geburtstagskind ein schönes Geburtstagsgeschenk – kein kritischer Seitenblick, kein Hinterfragen des im Kino ungewohnten, und aus vielerlei Sicht zerstörerischen Bremsens; "Desperado" vermittelt immer: Wenders hat Recht … ist ja auch 'n weltweit gefeierter Regisseur. Spannend wird der Film, als er sich endlich seinem Kern nähert, dem großen Hammett-Konflikt, in dem der große Wim Wenders in Kontakt mit Hollywood geriet in Person (des wahrscheinlich noch viel größeren) Francis Ford Coppola (Der Regenmacher – 1997; Jack – 1996; Bram Stokers Dracula – 1992; Der Pate 3 – 1990; Tucker – 1988; "Peggy Sue hat geheiratet" – 1986; Cotton Club – 1984; Rumble Fish – 1983; Die Outsider – 1983; "Einer mit Herz" – 1981; Apocalypse Now – 1979; Der Pate 2 – 1974; "Der Dialog" – 1974; Der Pate – 1972). Paris, Texas gilt als einer der, wenn nicht der größte Erfolg Wim Wenders'. Die Dreharbeiten zu diesem Film werden als große Suche beschrieben: Wenders hatte kein Drehbuch und entwickelte den Film von Tag zu Tag, schrieb nachts die entsprechenden Drehbuchseiten. Und wenn das Geld aus Deutschland ausblieb, musste die Crew warten, bis es neues gab.

Auf dem Höhepunkt dieses "Desperado"-Films fokussiert sich das Entstehungsdrama des Films auf jene halbdurchsichtige Scheibe in der Peep Show im Finale von Paris, Texas, durch die Travis Jane sehen kann, Jane aber nicht Travis. Robby Müller, Wenders' Kameramann, hatte die Idee für diese Scheibe in der Peep-Show gehabt und Wenders fand darin – endlich – die Lösung seiner Sinnsuche während der langen Dreharbeiten. Am Ende stand die Goldene Palme von Cannes, alles richtig gemacht. In diese Erzählung hinein mischen Friedler und Frege das Chaos der Dreharbeiten, mit dem Francis Ford Coppola auf den Philippinen bei Acopalypse Now zu kämpfen hatte. Eben jener Coppola, der nun den deutschen Exportschlager Wenders in die amerikanischen Schranken weisen und ihm ein veritables Trauma bescheren würde, hatte selbst seine liebe Mühe, einen Film fertig zu stellen. Suggeriert der vorliegende Film.

Dass Coppolas Dreharbeiten-Chaos um einiges schlimmer, furchtbarer war, als Wenders' Paris, Texas-Dreh, geschenkt. Hauptfiguren in Filmen – auch in Dokumentarfilmen – brauchen einen Gegner, einen Antagonisten. Coppola muss in diesem "Desperado"-Dokumentarfilm als Wenders' Antagonist herhalten, der selber seinen Film nicht im Griff hat; als das Modell Hollywood, das den deutschen Künstler zerstört – das hält die Spannung hoch. In diesem dramaturgischen Bogen bekommen wir dann tatsächlich spannende Einblicke in die unterschiedlichen Sichtweisen der Antagonisten aus Deutschland und Hollywood, Wenders und Coppola, und da wird tatsächlich die unterschiedliche Herangehensweise hüben und drüben deutlich. Da stößt das vorhin im Film noch nicht angezweifelte „Erzählen, wenn man nicht weiß, wie es ausgeht“ auf das amerikanische Wir haben ein Drehbuch, das ist dramaturgisch durchdekliniert und sauber finanziert. Und ein paar saftige Gemeinheiten gibt es dann auch, wenn in einem Quasi-Streitgespräch der beiden Kontrahenten – Coppola wurde mit den Aussagen Wenders' konfrontiert und reagiert darauf vor der Kamera – durchschimmert, dass Wenders seiner jungen Ehefrau Ronee Blakley, der Coppola „einen Cameo-Auftritt" zugestanden haben will, sukzessive eine Hauptrolle ins Drehbuch geschrieben haben soll. Es bleibt offen, welche Erzählung näher an der Wahrheit ist, der Dissens bleibt in wechselseitigem Wohlwollen Wenders' und Coppolas aufgehoben. "Hammett" wurde schließlich ohne Ronee Blakley fertiggestellt, und Wenders hatte das Gefühl, dass er zu seiner amerikanischen Mythologie noch nicht alles gesagt hatte. Hier stoßen zwei Welten aufeinander, die an keiner Stelle passen. Hier wird ein wenig deutlich nicht nur, wie verschieden europäisches und amerikanisches Kino tickt, sondern auch, welche unterschiedlichen Philosophien es beim Filmemachen gibt.

Der Film sucht keine kritische Auseinandersetzung mit seinem Sujet, das gerade 75. Geburtstag feiert. Warum ich ein „Depp“ bin, wenn ich Wenders Kunst nicht von alleine erkenne, bleibt am Ende offen. Aber ich habe ihn kennengelernt als einen Getriebenen, der „immer nur weg“ wollte, der nicht daran vorbei konnte, Deutscher zu sein. „Ich habe dazu nicht gestanden. Ich wollte immer woanders sein. Ich wollte immer jemand anderes sein. Ich wollte von meiner Kindheit an immer nur weg“. Das kann ich nachvollziehen. Auch ich wollte immer nur weg – in die Fernen jener Galaxien, die mir die Leinwand offenbarten.

Zum Schluss steigt Wim Wenders, der für den Film noch mal einzelne Drehorte von Paris, Texas besucht hat, aus dem Jeep, deutet in der Wüstenlandschaft vage irgendwo hin und sagt „Da hinten ist das, wo wir hinwollen!“ Da ist der Filmerzähler wieder ganz bei sich.

Wertung: 4 von 8 €uro
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