Ein amerikanisch-europäisches Filmteam dreht in einem portugiesischen Küstenort das Remake eines Sci-Fi-Klassikers. Doch als das Geld aus der Traumfabrik ausbleibt, stagnieren die Dreharbeiten.
Das Team wartet und wartet. Als die Untätigkeit in dem kleinen Hotel unerträglich wird, macht sich Regisseur Friedrich Munro auf den Weg nach Hollywood, um den Produzenten zur Rede zu stellen und für die Fortsetzung seines Films zu kämpfen …
Wim Wenders rechnet mit dem Hollywoodsystem ab, das seiner Ansicht nach ein System ist, das von dummen, ungebildeten Menschen beherrscht wird. Produzenten, die Film als ein Produkt sehen, mit dem sich Geld verdienen lässt. Drehbuchautoren, die ihre Figuren etwas ausdrücken lassen, indem sie „das mit Worten“ sagen – nicht etwa durch Lichtsetzung, Bildkomposition oder Stille. Wenders' große Enttäuschung über Hollywood ist nachvollziehbar: Seit vier Jahren dreht er dort an dem Film Hammett, eine Art fiktionaler Biografie des Hard-boild-Krimiautors Dashiell Hammett in Form eines Privat-Eye-Movies im Stile der Hammett-Romane, deren bekanntester Protagonist der Detektiv Sam Spade ist, den Humphrey Bogart zum Beispiel in The Maltese falcon verkörpert hat – sicher kein Zufall, dass das Cabrio, mit dem Regisseur Munro durch Los Angeles fährt das Kennzeichen "Sam-Sp8" hat. Seit vier Jahren also arbeitet Wenders an "Hammett" gegen Produzent Francis Ford Coppola an, der Film wird nicht fertig, amerikanisches und europäisches Kinoverständnis stoßen aufeinander; in der Zwischenzeit hat Wenders zwei andere Filme fertig gestellt, Nick's Film – Lightning Over Water und eben "Der Stand der Dinge" jetzt.
In diesem Film verarbeitet Wenders seine Enttäuschungen. Und dass Hollywood dabei schlecht abschneidet, darf einen nicht wundern. Film ist eine Kunst. Subjektiv zudem. Für Wenders geht es um Bilder. Er hat gerade auch noch einen Kurzfilm gedreht, eine Art filmisches Tagebuch aus New York mit dem Titel "Reverse Angle". Da sagt er zu Beginn, an dem Angebot für diesen filmischen Tagebucheintrag habe ihn gereizt, „nach langer Zeit wieder einmal selbst eine Kameras in die Hand zu nehmen, um etwas außerhalb jeder Geschichte zu drehen. Um nur Bilder zu machen. Man sollte meinen, dass ich nach zehn Spielfilmen das als meinen Beruf verstehen sollte: Geschichten in Bildern zu erzählen. Ich habe das allerdings selbst nie wirklich glauben wollen. Vielleicht, weil mir im Grunde Bilder immer mehr bedeutet haben als Geschichten, ja, Geschichten mitunter nicht mehr als ein Vorwand waren, um Bilder zu finden.“
Geschichten sind wirklich nicht Wenders' Ding, seine Filme sind vom Hollywood'schen Story driven so weit entfernt, wie Europa von Amerika.
"Der Stand der Dinge" ist durchzogen von Zitaten amerikanischer Filmklassiker. Das macht die große Enttäuschung des deutschen Regisseurs verständlicher, seinen Film aber nicht besser. Im Mittelpunkt steht der abwesende Produzent Gordon, den Wenders als verlorenen Zocker zeigt, der seine gute Zeit hinter sich und sich mit Kredithaien eingelassen hat. Munros Kameramann Joe entpuppt sich als Profi, der alles mitmacht, so lange die Kasse stimmt. Der Drehbuchautor verkriecht sich in den Schmollwinkel, nachdem der Produzent abgetaucht ist. Für das gerade entstehende Filmprojekt brennen tut hier niemand. Dabei sieht Wenders den Filmemacher doch als eine Art Pionier des Westens, wie sie Alan Le May in seinem von John Ford verfilmten Roman "The Searchers" beschreibt: „Diese Leute hatten einen solchen Mut, wie er nur wenigen geschenkt ist. Den Mut, einfach immer weiter zu machen, immer das jeweils Nächstliegende, über die Grenzen allen Erträglichen hinaus. Ohne sich je selbst für besonders tapfer zu halten.“ So sieht sich Wenders selbst und das Kino, das er vertritt. Scheiß auf die Refinanzierung, es geht um die richtigen Bilder für die richtige Stimmung – und am Ende steht ein Film.
Amerikanische Produzenten, ob die nun Gefallene sind wie Wenders' Gordon, oder der durch Der Pate und Apocalypse Now in den Legendenstatus erhobene Produzent Francis Ford Coppola, sehen das ganz anders. „Eine ganz alte Leier, ohne Geschichte bist du aufgeschmissen“, erklärt Produzent Gordon, „ein Film ohne Geschichte, das hält nicht. Genausogut könntest du ein Haus ohne Mauern bauen. Aber es gibt kein Haus ohne Mauern. Auch Filme brauchen Mauern.“ Die Antwort des deutschen Regisseurs: „Wieso Mauern? Der Raum zwischen den Personen kann die Decke tragen. Der Raum zwischen den Menschen.“ Woraufhin Gordon abfällig schnaubt und murrt, Munro solle die Realität aus dem Kino raus lassen, davon hätten die Zuschauer draußen wirklich schon genug. Warum Wenders dennoch so sehr für John Houstons Film Noir oder John Fords epische Westernerzählung brennt, die zwar aus beeindruckenden Bildern bestehen, aber eben auch stringent eine Geschichte erzählen, damit etwas machen, das Wenders für seine Filme rundheraus ablehnt, bleibt ein Rätsel.
Auch "Der Stand der Dinge" erzählt nicht stringent, folgt seinen Figuren, wohin sie am Strand auch schlendern, inszeniert sie in der Kulisse eines verlassen wirkenden Hotelkomplexes, lässt sie Philosophisches formulieren, oder darüber sinnieren, ob sie abreisen sollen, beobachtet sie, wie sie in ein Notizbuch schreiben, und produziert auf diese Weise über eine Stunde schön fotografierten Stillstand. Erst in Los Angeles bekommt der Film einen für Wenders' Verhältnisse unerhörten Drive, da lässt sich der Regisseur mitreißen vom Strom des Verkehrsflusses und cruised durch die City.
Hammett war nach vier Jahren schließlich doch noch in die Kinos gekommen. Und floppte an der Kinokasse. Der Film ist weder Wim Wenders noch Hollywoodsystem, sondern eine Verschmelzung beider Systeme, die ähnlich lebensuntauglich ist, wie André Delambre, nachdem er seinen Körper mit dem einer Fliege verschmolzen hat. Und so bleibt Wenders' Kritik am Hollywoodsystem schal. Er zeigt seinen Stand der Dinge in diesem Geschäft und lässt der anderen Seite keinen Raum zur Entfaltung. Er lustwandelt durch Hollywoods Klassiker, mit denen er aber sonst nichts weiter zu tun haben will. Er beklagt, das Filme viel Geld kosten, und minimiert die Geldgeber solcher Projekte zu mordlüsternen Kredithaien.
Es gibt eine Schlüsselszene im Finale des Films. Bei einem plötzlichen Gewaltausbruch sucht der Filmemacher Schutz hinter seiner Kamera. Er hält die Videokamera wie eine Waffe vor sich, wähnt sich dahinter vollkommen sicher. Und ist zwei Sekunden später tot. In Amerika konnte ihn auch die Kamera nicht vor den Geldhaien schützen. In Hollywood ist das Geld mächtiger als die Kamera. Sieht so aus, als sei das Wim Wenders' zentrale Erfahrung aus der Hammett-Produktion für ein amerikanisches Studio.
Vielleicht hätte Wim Wenders seiner Wut über die vier verlorenen Jahre in Hollywood einfach mal Zucker geben sollen. Wäre vielleicht ein unterhaltsamer, hintergründiger, informativer Spielfilm draus geworden. Mit grandiosen Bildern.
Die Kinofilme von Wim Wenders
Wilhelm Ernst "Wim" Wenders ist ein deutscher Regisseur und Fotograf. Zusammen mit anderen Autorenfilmern des Neuen Deutschen Films gründete er 1971 den Filmverlag der Autoren. Mit Filmen wie Paris, Texas oder Himmel über Berlin erreichte er ab den 1980er Jahren weltweite Bekanntheit.
Wenders sieht sich als „der Reisende und dann erst Regisseur oder Fotograf“. Von 1991 bis 1996 war Wenders Vorsitzender der Europäischen Filmakademie und ist seither deren Präsident. Außerdem war er von 2002 bis 2017 Professor für Film an der Hochschule für bildende Künste Hamburg. Zu seinem 75. Geburtstag im Jahr 2020 erschien die Dokumentation Wim Wenders, Desperado von Eric Friedler und Andreas "Campino" Frege, in der die Filmemacher die Ambivalenz zwischen europäischem und amerikanischem Kino (Wenders' Traumland) am Beispiel von Wim Wenders und Francis Ford Coppola analysieren.
- Summer in the City (1970)
- Die Angst des Tormanns beim Elfmeter (1972)
- Der scharlachrote Buchstabe (1973)
- Alice in den Städten (1974)
- Falsche Bewegung (1975)
- Im Lauf der Zeit (1976)
- Der amerikanische Freund (1977)
- Nick's Film – Lightning Over Water (1980)
- Hammett (1982)
- Der Stand der Dinge (1982)
- Paris, Texas (1984)
- Tokyo-Ga (1985)
- Himmel über Berlin (1987)
- Yamamoto – Aufzeichnungen zu Kleidern und Städten (1989)
- Bis ans Ende der Welt (1991)
- In weiter Ferne, so nah! (1993)
- Lisbon Story (1994)
- Die Gebrüder Skladanowsky (1995)
- Am Ende der Gewalt (1997)
- Buena Vista Social Club (1999)
- The Million Dollar Hotel (2000)
- Viel passiert – Der BAP-Film (2002)
- Land of Plenty (2004)
- Don't come knocking (2005)
- Palermo Shooting (2008)
- Pina – tanzt, tanzt, sonst sind wir verloren (2011)
- Das Salz der Erde (2015)
- Every Thing will be fine (2015)
- Die schönen Tage von Aranjuez (2016)
- Grenzenlos (2017)
- Papst Franziskus – Ein Mann seines Wortes (2018)
- Anselm – Das Rauschen der Zeit (2023)
- Perfect Days (2023)