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Plakatmotiv: Der Stand der Dinge (1982)

Wim Wenders dreht sich den
Hammett-Frust von der Seele

Titel Der Stand der Dinge
Drehbuch Robert Kramer + Wim Wenders + Joshua Wallace
Regie Wim Wenders, NL, UK, BRD, Fr., Sp., Por., USA 1982
Darsteller

Patrick Bauchau, Allen Garfield, Isabelle Weingarten, Rebecca Pauly, Jeffrey Kime, Geoffrey Carey, Camilla More, Alexandra Auder, John Paul Getty III, Viva, Samuel Fuller, Robert Kramer u.a.

Genre Drama
Filmlänge 121 Minuten
Deutschlandstart
27. Oktober 1982
Website wimwendersstiftung.de
Inhalt

Ein amerikanisch-europäisches Filmteam dreht in einem portugiesischen Küstenort das Remake eines Sci-Fi-Klassikers. Doch als das Geld aus der Traumfabrik ausbleibt, stagnieren die Dreharbeiten.

Das Team wartet und wartet. Als die Untätigkeit in dem kleinen Hotel unerträglich wird, macht sich Regisseur Friedrich Munro auf den Weg nach Hollywood, um den Produzenten zur Rede zu stellen und für die Fortsetzung seines Films zu kämpfen …

Was zu sagen wäre

Wim Wenders rechnet mit dem Hollywoodsystem ab, das seiner Ansicht nach ein System ist, das von dummen, ungebildeten Menschen beherrscht wird. Produzenten, die Film als ein Produkt sehen, mit dem sich Geld verdienen lässt. Drehbuchautoren, die ihre Figuren etwas ausdrücken lassen, indem sie „das mit Worten“ sagen – nicht etwa durch Lichtsetzung, Bildkomposition oder Stille. Wenders' große Enttäuschung über Hollywood ist nachvollziehbar: Seit vier Jahren dreht er dort an dem Film Hammett, eine Art fiktionaler Biografie des Hard-boild-Krimiautors Dashiell Hammett in Form eines Privat-Eye-Movies im Stile der Hammett-Romane, deren bekanntester Protagonist der Detektiv Sam Spade ist, den Humphrey Bogart zum Beispiel in The Maltese falcon verkörpert hat – sicher kein Zufall, dass das Cabrio, mit dem Regisseur Munro durch Los Angeles fährt das Kennzeichen "Sam-Sp8" hat. Seit vier Jahren also arbeitet Wenders an "Hammett" gegen Produzent Francis Ford Coppola an, der Film wird nicht fertig, amerikanisches und europäisches Kinoverständnis stoßen aufeinander; in der Zwischenzeit hat Wenders zwei andere Filme fertig gestellt, Nick's Film – Lightning Over Water und eben "Der Stand der Dinge" jetzt.

In diesem Film verarbeitet Wenders seine Enttäuschungen. Und dass Hollywood dabei schlecht abschneidet, darf einen nicht wundern. Film ist eine Kunst. Subjektiv zudem. Für Wenders geht es um Bilder. Er hat gerade auch noch einen Kurzfilm gedreht, eine Art filmisches Tagebuch aus New York mit dem Titel "Reverse Angle". Da sagt er zu Beginn, an dem Angebot für diesen filmischen Tagebucheintrag habe ihn gereizt, „nach langer Zeit wieder einmal selbst eine Kameras in die Hand zu nehmen, um etwas außerhalb jeder Geschichte zu drehen. Um nur Bilder zu machen. Man sollte meinen, dass ich nach zehn Spielfilmen das als meinen Beruf verstehen sollte: Geschichten in Bildern zu erzählen. Ich habe das allerdings selbst nie wirklich glauben wollen. Vielleicht, weil mir im Grunde Bilder immer mehr bedeutet haben als Geschichten, ja, Geschichten mitunter nicht mehr als ein Vorwand waren, um Bilder zu finden.

Geschichten sind wirklich nicht Wenders' Ding, seine Filme sind vom Hollywood'schen Story driven so weit entfernt, wie Europa von Amerika.

"Der Stand der Dinge" ist durchzogen von Zitaten amerikanischer Filmklassiker. Das macht die große Enttäuschung des deutschen Regisseurs verständlicher, seinen Film aber nicht besser. Im Mittelpunkt steht der abwesende Produzent Gordon, den Wenders als verlorenen Zocker zeigt, der seine gute Zeit hinter sich und sich mit Kredithaien eingelassen hat. Munros Kameramann Joe entpuppt sich als Profi, der alles mitmacht, so lange die Kasse stimmt. Der Drehbuchautor verkriecht sich in den Schmollwinkel, nachdem der Produzent abgetaucht ist. Für das gerade entstehende Filmprojekt brennen tut hier niemand. Dabei sieht Wenders den Filmemacher doch als eine Art Pionier des Westens, wie sie Alan Le May in seinem von John Ford verfilmten Roman "The Searchers" beschreibt: „Diese Leute hatten einen solchen Mut, wie er nur wenigen geschenkt ist. Den Mut, einfach immer weiter zu machen, immer das jeweils Nächstliegende, über die Grenzen allen Erträglichen hinaus. Ohne sich je selbst für besonders tapfer zu halten.“ So sieht sich Wenders selbst und das Kino, das er vertritt. Scheiß auf die Refinanzierung, es geht um die richtigen Bilder für die richtige Stimmung – und am Ende steht ein Film.

Amerikanische Produzenten, ob die nun Gefallene sind wie Wenders' Gordon, oder der durch Der Pate und Apocalypse Now in den Legendenstatus erhobene Produzent Francis Ford Coppola, sehen das ganz anders. „Eine ganz alte Leier, ohne Geschichte bist du aufgeschmissen“, erklärt Produzent Gordon, „ein Film ohne Geschichte, das hält nicht. Genausogut könntest du ein Haus ohne Mauern bauen. Aber es gibt kein Haus ohne Mauern. Auch Filme brauchen Mauern.“ Die Antwort des deutschen Regisseurs: „Wieso Mauern? Der Raum zwischen den Personen kann die Decke tragen. Der Raum zwischen den Menschen.“ Woraufhin Gordon abfällig schnaubt und murrt, Munro solle die Realität aus dem Kino raus lassen, davon hätten die Zuschauer draußen wirklich schon genug. Warum Wenders dennoch so sehr für John Houstons Film Noir oder John Fords epische Westernerzählung brennt, die zwar aus beeindruckenden Bildern bestehen, aber eben auch stringent eine Geschichte erzählen, damit etwas machen, das Wenders für seine Filme rundheraus ablehnt, bleibt ein Rätsel.

Auch "Der Stand der Dinge" erzählt nicht stringent, folgt seinen Figuren, wohin sie am Strand auch schlendern, inszeniert sie in der Kulisse eines verlassen wirkenden Hotelkomplexes, lässt sie Philosophisches formulieren, oder darüber sinnieren, ob sie abreisen sollen, beobachtet sie, wie sie in ein Notizbuch schreiben, und produziert auf diese Weise über eine Stunde schön fotografierten Stillstand. Erst in Los Angeles bekommt der Film einen für Wenders' Verhältnisse unerhörten Drive, da lässt sich der Regisseur mitreißen vom Strom des Verkehrsflusses und cruised durch die City.

Hammett war nach vier Jahren schließlich doch noch in die Kinos gekommen. Und floppte an der Kinokasse. Der Film ist weder Wim Wenders noch Hollywoodsystem, sondern eine Verschmelzung beider Systeme, die ähnlich lebensuntauglich ist, wie André Delambre, nachdem er seinen Körper mit dem einer Fliege verschmolzen hat. Und so bleibt Wenders' Kritik am Hollywoodsystem schal. Er zeigt seinen Stand der Dinge in diesem Geschäft und lässt der anderen Seite keinen Raum zur Entfaltung. Er lustwandelt durch Hollywoods Klassiker, mit denen er aber sonst nichts weiter zu tun haben will. Er beklagt, das Filme viel Geld kosten, und minimiert die Geldgeber solcher Projekte zu mordlüsternen Kredithaien.

Es gibt eine Schlüsselszene im Finale des Films. Bei einem plötzlichen Gewaltausbruch sucht der Filmemacher Schutz hinter seiner Kamera. Er hält die Videokamera wie eine Waffe vor sich, wähnt sich dahinter vollkommen sicher. Und ist zwei Sekunden später tot. In Amerika konnte ihn auch die Kamera nicht vor den Geldhaien schützen. In Hollywood ist das Geld mächtiger als die Kamera. Sieht so aus, als sei das Wim Wenders' zentrale Erfahrung aus der Hammett-Produktion für ein amerikanisches Studio.

Vielleicht hätte Wim Wenders seiner Wut über die vier verlorenen Jahre in Hollywood einfach mal Zucker geben sollen. Wäre vielleicht ein unterhaltsamer, hintergründiger, informativer Spielfilm draus geworden. Mit grandiosen Bildern.

Wertung: 3 von 9 D-Mark
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