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Plakatmotiv: Kap der Angst (1991)

Ein Nailbiting-Remake mit
grandioser Juliette Lewis

Titel Kap der Angst
(Cape Fear)
Drehbuch Wesley Strick
nach dem Roman "The Executioners" von John D. MacDonald und einem früheren Drehbuch von James R. Webb
Regie Martin Scorsese, USA 1991
Darsteller
Robert De Niro, Nick Nolte, Jessica Lange, Juliette Lewis, Joe Don Baker, Robert Mitchum, Gregory Peck, Martin Balsam, Illeana Douglas, Fred Dalton Thompson, Zully Montero, Craig Henne, Forest Burton, Edgar Allan Poe IV, Rod Ball u.a.
Genre Thriller, Crime
Filmlänge 128 Minuten
Deutschlandstart
27. Februar 1992
Inhalt

Max Cady ist ein Psychopath reinsten Wassers, der bei seiner Entlassung aus dem Gefängnis an nichts anderes denkt als an Rache. Sein Ziel ist sein ehemaliger Verteidiger Sam Bowden, den er verdächtigt, Informationen zu seiner Entlastung dem Gericht nicht vorgelegt zu haben.

So beginnt Cady, die Familie zu terrorisieren, immer am Rand der Legalität, aber sie nie überschreitend. Auch an die 15-jährige Tochter macht er sich heran. Als er einen auf ihn angesetzten Privatdetektiv umbringt, ist das Maß voll. Bowden und seine Familie fliehen, doch Cady lässt sich nicht abschütteln …

Was zu sagen wäre

Die Nemesis raucht im Kino. Zündet sich die Zigarre mit einem BIC-Feuerzeug an, das einen Frauenkörper im Bikini zeigt, und sie lacht im Kino – so laut, dass anständige Bürger („Du weißt doch, wie man unsauber kämpft!“) das Kino verlassen. Nach fünf Minuten sind die Fronten klar und wir können uns auf das exzellente Zusammenspiel von Kamera, Schnitt und Schauspiel einlassen.

Martin Scorsese (GoodFellas – Drei Jahrzehnte in der Mafia – 1990; "Die letzte Versuchung Christi" – 1988; Die Farbe des Geldes – 1986; New York, New York – 1977; Taxi Driver – 1976; Hexenkessel – 1973) greift die amerikanische Kleinfamilie an. Er und Robert De Niro toben sich diesmal nicht im von Zigarren verrauchten Mafiamilieu aus wie in Goodfellas, sondern im privilegierten, heilen Alltag eines Anwalts: Vater, Mutter, pubertierende Tochter, schmuckes Haus, Karriere auf dem Weg nach oben. Und dann will ein Eindringling all das vernichten.

Bis hierher wär's ein klassischer Mel-Gibson-Stoff, vielleicht sogar nur ein Steven-Seagal-Stoff. Aber der Karrierevater hat Schuld auf sich geladen. Er wusste, sein Mandant vor 14 Jahren ist schuldig, er hat eine junge Frau vergewaltigt. Aber das darf den Anwalt des Angeklagten nicht interessieren, er hätte alles tun müssen, um seinen Mandanten so milde wie möglich davonkommen zu lassen. Hat er aber nicht. Das damalige Opfer des Mandanten hatte häufig wechselnden Geschlechtsverkehr. Also nichts, was junge Männer nicht wie selbstverständlich über Jahre haben. Aber Frauen wird das in der US-Gesellschaft – und vor allem im Hollywoodkino – als charakterlicher Mangel ausgelegt. Und also hat Anwalt Sam Bowden diese Information im damaligen Prozess unterschlagen im Glauben, das Richtige zu tun – welcher Geschworene würde einem Mädchen mit häufig wechselndem Geschlechtsverkehr eine "Vergewaltigung" glauben, Sex gegen ihren Willen?

Das Richtige aber war es nur aus Sicht des Zuschauers im Kinosessels. Hat nicht aber selbst ein Arschloch wie Max Cady den Anspruch auf ein faires Verfahren? Cady glaubt das und findet, in 14 Jahren Gefängnis mehrfach vergewaltigt, das gehört gerächt, zumal seine Frau und seine Tochter damals den Kontakt abrupt abgebrochen haben. Robert de Niro, mit breitem Südstaatenakzent knödelnd, spielt Max Cady als Monster. Ein tätowiertes, sehniges Urviech, das seine Verzweiflung über seine in 14 Jahren Gefängnis erlittenen Verluste kaum bändigen kann und ohne Gnade gegen den Anwalt vorgeht, den er dafür verantwortlich macht.

Seine größten Momente hat der Film, wenn Max Cady in einer mit Zuckerstangen (!!) zur Theaterbühne umdekorierten Schulaula auf die 15-jährige Danielle Bowden trifft – Robert DeNiro auf Juliette Lewis, 17 Jahre alt. Ob De Niro, der apostrophierte Großschauspieler (Backdraft – 1991; Schuldig bei Verdacht – 1991; Zeit des Erwachens – 1990; GoodFellas – 1990; Midnight Run – 1988; Die Unbestechlichen – 1987; Angel Heart – 1987; Mission – 1986; Brazil – 1985; Der Liebe verfallen – 1984; Es war einmal in Amerika – 1984; "King of Comedy" – 1982; "Wie ein wilder Stier" – 1980; Die durch die Hölle gehen – 1978; New York, New York – 1977; Der letzte Tycoon – 1976; 1900 – 1976; Taxi Driver – 1976; Der Pate II – 1974; Hexenkessel – 1973), Respekt vor Lewis, dem Energiebündel hatte? Ob er sich gefreut hat, morgens beim Zähneputzen, auf diese besonders schöne Herausforderung, einen langen Dialog mit dem Naturtalent zu haben. Juliette Lewis ist unheimlich. Sie spielt eine 15-jährige Jungfrau, behütet aufgewachsen in halbwegs intaktem Elternhaus – Vater Anwalt, Geld spielt keine Rolle. Sie spielt ein Mädchen ohne Erfahrung mit der Welt der anderen, das sich aber gerade eben dort einordnen muss, das seinen Sex erkundet, sein Geschlecht, das bereit ist, Grenzen zu verschieben, zu überschreiten und im selben Moment Angst davor hat. Juliette Lewis spielt in dieser Szene mit dem Method Actor Robert de Niro an die Wand.

Bei allem Respekt und mit allen Ehren, aber: Jessica Lange, die nun auch keine profillose Anfängerin ist (Music Box – Die ganze Wahrheit – 1989; Tootsie – 1982; Wenn der Postmann zweimal klingelt – 1981; King Kong – 1976), fügt sich in die Rolle eines präzise geschriebenen und präzises Spiel verlangendes Rädchen im Getriebe. Sie muss die betrogene Ehefrau, die Mutter, die Löwin, die Geliebte spielen und das spielt sie präzise. Nick Nolte (Und wieder 48 Stunden – 1990; Tödliche Fragen – 1990; Ausgelöscht – 1987; Under Fire – 1983; Nur 48 Stunden – 1982; Die Tiefe – 1977) hat insofern Einfluss auf den Film, als dass er den Advocatus Populi spielt, den gute Menschen, der im Rahmen der Gesetze, aber unter Zurückhaltung relevanter Informationen seinen Klienten vor 14 Jahren über die Klinge hat springen lassen und nun dafür zu büßen hat. Diesen ambivalenten Charakter – eigentlich menschlich und gut, aber mein Verteidiger sollte er bitte nicht sein – spielt auch er präzise. Aber diese Rollen – der hehre Anwalt, die blonde Gattin – beweisen letztlich nur: Gute Menschen, selbst die mit den kleinen Fehlern (wie Du und ich sie haben), sind auf der Leinwand zur Langweiligkeit verurteilt, steigern die Spannung aber durch die Qualität ihrer Darsteller.

Erst stirbt der Familienhund, dann die Geliebte und schließlich der letzte Rest Sicherheit einer bürgerlichen Existenz. Martin Scorsese hat einen bösen Film gedreht – das Remake eines gleichnamigen Films von 1962. Damals allerdings war Sam Bowden schlicht Augenzeuge der Vergewaltigung durch Max Cady; die Ebene der persönlichen Verstrickung Bodens gab es nicht. Scorsese unterläuft hier das klassische Hollywood-Motiv des integren Helden in einer an sich heilen, nur durch den Schurken ins Wanken gebrachten Welt. In Scorseses Welt sind auch die Guten nicht mehr einfach gut. Damals spielten Gregory Peck (Das Omen – 1976; Mackenna's Gold – 1969; Arabeske – 1966; Die 27. Etage – 1965; Die Kanonen von Navarone – 1961; Weites Land – 1958; Bravados – 1958; Moby Dick – 1956; Ein Herz und eine Krone – 1953; "Schnee am Kilimandscharo" – 1952; Der Scharfschütze – 1950; Der Kommandant – 1949; Der Fall Paradin – 1947; Duell in der Sonne – 1946; Ich kämpfe um dich – 1945) und Robert Mitchum den Anwalt- und den Schurken-Part ("Tote schlafen besser" – 1978; Der letzte Tycoon – 1976; Schlacht um Midway – 1976; Fahr zur Hölle, Liebling – 1975; Yakuza – 1974; Der Weg nach Westen – 1967; El Dorado – 1966; Der längste Tag – 1962; Vor Hausfreunden wird gewarnt – 1960; Kilometerstein 375 – 1958; Duell im Atlantik – 1957; Die fünfte Kolonne – 1956; Die Nacht des Jägers – 1955; Fluss ohne Wiederkehr – 1954). Beide haben nun in Scorseses Film Gastauftritte.

Der Protagonist hat einen moralischen Fehler begangen, für den er nicht einfach drei Ave Maria beten kann. Der Antagonist ist komproisslos böse – ihm können wir guten Gewissens die ganze Zeit misstrauen, auch wenn er charmant des Weges kommt. Die Frauen sind – nicht hilflos. Der heillos verstrickte Anwalt hat eine attraktive Blondine zur Frau, die sich nicht in das in Hollywood gängige Weibchen-Schema pressen lässt: „Du willst Antworten? Will ich auch. Ich würde gerne wissen, wie stark wir wirklich sind. Oder wie schwach. Aber ich schätze, das können wir nur rausfinden, indem wir das hier durchstehen.“ Willkommen im 21. Jahrhundert. Die Musik des Originals von Bernard Herrmann übrigens wurde (nur wenig von Elmer Bernstein bearbeitet und um Action-Sequenzen aus Torn Curtain ergänzt) für die Neuverfilmung übernommen.

Wertung: 9 von 10 D-Mark
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