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Plakatmotiv: Der Fall Paradin (1947)

Huren, Heilige und smarte Backfische
Hitchcocks Frauen sind die bösesten

Titel Der Fall Paradin
(The Paradine Case)
Drehbuch Alma Reville & David O. Selznick & Ben Hecht & James Bridie
nach dem Roman "Wege im Zwielicht" von Robert Smythe Hichens
Regie Alfred Hitchcock, USA 1947
Darsteller

Gregory Peck, Ann Todd, Charles Laughton, Charles Coburn, Ethel Barrymore, Louis Jourdan, Alida Valli, Leo G. Carroll, Joan Tetzel, Isobel Elsom u.a.

Genre Crime, Drama
Filmlänge 125 Minuten
Deutschlandstart
14. November 1952
Inhalt

Die schöne Mrs. Paradin ist angeklagt, ihren älteren blinden Mann vergiftet zu haben. Mit der Verteidigung wird der Anwalt Keane beauftragt. Dieser ist zwar verheiratet, erliegt aber binnen kürzester Zeit den Reizen seiner Mandantin; so gerät er zunehmend unter ihren Einfluss.

Plakatmotiv: Der Fall Paradin (1947)Im Laufe der Verhandlung stellt sich heraus, dass Mrs. Paradin ein Verhältnis mit ihrem Stallknecht Latour, dem ehemaligen Diener ihres Mannes, hatte. Keane versucht vergeblich, den Liebhaber in einem Kreuzverhör als Mörder zu entlarven. Latour beschuldigt Mrs. Paradin und begeht Selbstmord, und Keane erkennt, dass seine Mandantin die Mörderin ist. Sie gibt es schlussendlich auch freimütig im Gerichtssaal zu …

Was zu sagen wäre

Hitchcocks Frauen sind interessanter als Hitchcocks Männer – aber nur, damit er diese Überfrauen dann umso besser quälen kann. Die Frauen bei Hitchcock haben Biss (Eine Dame verschwindet), Raffinement (Mr. und Mrs. Smith), entlarven Mörder (Verdacht) und sind zur Stelle, wenn Hitchcocks Unschuldige-auf-der-Flucht Hilfe brauchen (Ich kämpfe um Dich). Dafür werden sie dann entweder als intellektuelle Dünnbrettbohrer beschimpft oder als hinterhältige Schlangen inszeniert.

Die besten Männer geraten immer an die schlimmsten Frauen“, schimpft im "Der Fall Paradin" Judy Flaquer, die smarte Tochter des alten Masterminds Sir Simon, der Anthony "Tony" Keane mit dem Fall Paradin betraut. Diese Judy ist eine klassische Hitchcock-Schönheit – elegant, gebildet, intelligent, schön … und viel zu burschikos für Männer dieser Zeit. „Ich hoffte, Du hättest überhaupt einen Mann. Aber bei Deinem vorlauten Benehmen wirst Du wohl nie einen kriegen“, knurrt ihr Vater.

Im Mittelpunkt des Films steht Anthony Keane, erfolgreicher Anwalt, Löser schwierigster Kriminalfälle, intellektueller Überflieger – und verdammt gut aussehend. Und ein bisschen langweilig. Zum zweiten Mal nach Spellbound arbeitet Alfred Hitchcock mit Gregory Peck zusammen. Der war nicht seine erste Wahl, hätte den Erfolgsmann lieber mit Sir Laurence Olivier besetzt, aber Produzent David O'Selznick bestand auf Peck (Duell in der Sonne – 1946; Ich kämpfe um dich – 1945). Um ihn herum drapiert der Master of Suspense seine Geheimwaffe bei diesem Film, drei Frauen nach dem Prinzip Backfisch, Heilige, Hure.

Der Backfisch ist die schon erwähnte Judy (Joan Tetzel), die den Zuschauer als guter Kumpel durch die kriminellen und ehepsychologischen Probleme der Story mit ihren komplizierten juristischen Fallstricken führt. Sie erklärt geduldig rhetorische Manöver im Gerichtssaal und rückt der klagenden Gattin schon mal den Kopf zurecht, wenn die an ihrem Mann zweifelt. Ann Todd spielt dies Heilige, die blonde Ehefrau, die unablässig beteuert, nicht halb so klug zu sein wie ihr göttlicher Anwaltsgatte; ihr Haupthaar trägt sich als blonden Helm, den sie schütztend gegen gegen die Fährnisse da draußen einsetzt, die ihren Mann straucheln lassen. Die größte Fährnis ist die Hure, die dunkle Mrs. Paradin – schwarze Haare, groß gezogene Brauen, Feuer in den dunklen Augen. Alida Valli statt sie mit gunkler Erotik und rauchigem Geheimnis aus. Sie erzählt zur Begrüßung: „Ich war 16. Wenigstens sagte ich es. In Wirklichkeit war ich jünger.
Tragisch.
Ja, das war es vielleicht. Aber damals empfand ich das nicht. Ich bin mit einem Mann durchgebrannt; fuhr mit ihm nach Athen, Kairo.
Er war sicher viel älter als Sie. Und reich. Er nützte Ihre Jugend aus.
Er war verheiratet und bürgerlich. Er ist von mir ausgenützt worden.

Plakatmotiv: Der Fall Paradin (1947)Eine sehr seltsame Frau, von der eine fast mystische Kälte ausgeht“, raunt einer. Es „scheint, dass die Ethik und Moral dieser Frau ein sehr niedriges Niveau hat.

Hitchcock treibt sein Spiel mit den Frauen und dem Bild, dass sich Männer von ihnen machen. Es geht immer wieder um Sehen und Sehen. Mrs. Keane, diese hingebungsvolle Pietá am anwaltlichen Arm schwärmt, sie glaube an die Unschuld der Frau Paradin: „Auf den Fotos macht sie den Eindruck! Außerdem muss sie nett sein. Sonst hätte sie den armen blinden Mann nicht geheiratet.“ Um Anwalt Keane ist es in dem Moment geschehen, in dem er die Verdächtige Mrs. Paradin zum ersten sieht: „Sie haben ihm ein Opfer gebracht", verteigt der ungesehen die der Witwe mit dem Ermordeten. „Ein Opfer, das ungeheuer war. Aber das Ungewöhnliche war, dass es Paradin ja nie verstehen konnte. Es war für ihn nicht möglich, die Größe des Opfers zu begreifen. Er hat Sie ja nie gesehen!“ Schönheit ist Fluch und Segen gleichermaßen. Denkt man an die Küchenpsychologie aus Hitchcocks „Ich kämpfe um Dich“ zwei Jahre zuvor, möchte man zu gern mal analysieren, wie die so unscheinbar wirkende Alma Reville, Hitchcocks langjährige Ehefrau und Autorin, in dessen Heilige-Huren-Backfisch-Welt passt. Sind seine Filmfrauen die Flucht vor seiner Frau daheim? Oder macht er sich insgeheim über all die schönen Überfrauen, die er maltraitiert, lustig und ist froh, daheim eine so unanstrengende, freundliche Partnerin zu haben?

Gute Männer geraten an böse Frauen. Das ist die Moral von der Geschicht'. Das Melodram ist schnell erzählt und zieht sich dann ein wenig. Das Geständnis der Femme Fatale auf der Anklagebank, das den Guten Anwalt in die Hölle stürzt ist so offensichtlich, wie der dann folgend Engel, der ihn dort wieder herausholt und in den Schoß der guten Ehe zurückführt. Wären nicht auch in diesem Film wieder ein paar Einstellungen und Szenen, die Hitchcocks besondere Fähigkeiten im Medium Film unterstreichen, wäre das Melodram einfach nur ein weiteres Melodram. Wenn etwa der treusorgende, loyale Assistent des Verstorbenen, André Labour, den Gerichtssaal betritt, kommt er hinter Mrs. Paradin hinein, die Kamera verfolgt ihn, wie er hinter Paradins die Leinwand ausfüllendem Kopf ganz klein um sie herumkommt. Sie Monster, er Zwerg.

Normale Frauen sind in Alfred Hitchcocks künstlicher Welt nicht zu haben.

Wertung: 3 von 6 D-Mark
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