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Plakatmotiv: Der Fremde im Zug (1951)

Irrwitzige Story, raffinierte
Bilder, der perfekte Thriller

Titel Der Fremde im Zug
(Strangers on a Train)
Drehbuch Raymond Chandler & Czenzi Ormonde & Whitfield Cook
nach dem Roman "Zwei Fremde im Zug" von Patricia Highsmith
Regie Alfred Hitchcock, USA 1951
Darsteller

Farley Granger, Ruth Roman, Robert Walker, Leo G. Carroll, Patricia Hitchcock, Kasey Rogers, Marion Lorne, Jonathan Hale, Howard St. John, John Brown, Norma Varden, Robert Gist u.a.

Genre Thriller, Crime, Film Noir
Filmlänge 92 Minuten
Deutschlandstart
1. Februar 1952
Inhalt

Guy Haines, ein erfolgreicher Tennisspieler mit politischen Ambitionen nach der Sportlerkarriere, trifft bei einer Zugfahrt auf den aufgeschlossenen Bruno Antony. Die beiden kommen ins Gespräch und es stellt sich heraus, dass Bruno einige Dinge über Guy in der Zeitung gelesen hat. So unter anderem, dass Guy von seiner Frau Miriam getrennt lebt und die Scheidung erwirken will, um die Tochter eines Senatoren zu ehelichen. Miriam will der Scheidung jedoch nicht mehr zustimmen.

Kurzerhand schlägt Bruno einen aberwitzigen Handel vor: Wenn Guy Brunos verhassten Vater umbringt, kümmert er sich im Gegenzug um Guys Ehefrau. Da die Opfer den Mördern jeweils völlig fremd wären, gäbe es für die Polizei keinerlei nachvollziehbare, logische Motive. Guy glaubt, bei Bruno handle es sich um einen harmlosen Verrückten. Aber Bruno ist nicht harmlos. Er  stellt Miriam nach und erwürgt sie auf einem Rummelplatz, während Guy auf einer Zugreise ist. Nun fordert er von seinem „Freund“ die entsprechende Gegenleistung.

Guy hofft auf ein Alibi durch einen Professor, mit dem er zur Tatzeit im Zug saß, doch dieser kann sich wegen Trunkenheit nicht an ihn erinnern. Da Guy im Gegensatz zu Bruno ein Motiv für den Mord an seiner Ehefrau hat, meldet er den Täter nicht bei der Polizei. Plakatmotiv: Verschwörung im Nord-Express – Der Fremde im Zug (1951) Guy gerät auch so immer mehr in den Fokus der Ermittlungen, auf Schritt und Tritt wird er vom Polizisten Hennessey begleitet.

Da Guy trotz Brunos permanenter Nachstellungen nicht bereit ist, seine "Schuldigkeit" zu tun, versucht Bruno schließlich, sich zu rächen: Er plant, das mit persönlicher Prägung („A to G“) versehene Feuerzeug, das Guy beim ersten Treffen mit Bruno im Zug vergessen hatte, am Tatort zu verstecken und Guy damit den Mord an seiner Frau Miriam in die Schuhe zu schieben.

Guy will Bruno am Verstecken des Feuerzeugs hindern, muss jedoch noch ein wichtiges Tennismatch absolvieren …

Was zu sagen wäre

Böse Menschen erkennt man daran, dass sie Kinder ärgern. Auf einem Rummelplatz überfällt ein kleiner Junge mit Luftballon und Schreckschusspistole Bruno Antony mit „Peng. Du bist tot! Peng!“ Bruno nimmt seine Zigarette aus dem Mund und hält die Glut an den Ballon, der zerplatzt. Böse Menschen ärgern kleine Kinder. Bruno Antony ist ein sehr böser Mensch, der wenige Filmminuten später tatsächlich die gehässige Ehefrau des Tennisspielers, Miriam, erwürgt. Mit einer Einstellung schafft Alfred Hitchcock (s.u.) Charaktere. Und mit einem raffinierten Kniff hält er die Zuschauer unter Spannung.

Die ungeliebte Ehefrau von Guy Haines ist eine Schreckschraube. Vor einem Jahr wollte sie die Scheidung, trieb sich mit anderen Jungs rum, weil sie von den brotlosen Tennisträumen ihres Mannes nichts hielt, sie wurde schwanger. Aber jetzt, wo Guy ein erfolgreicher Tennisspieler ist und eine neue Freundin hat, will sie in eine Scheidung nicht mehr einwilligen und erpresst ihn. Es baut sich im Zuschauer ein großes Verständnis dafür auf, diese Frau aus dem Weg räumen zu wollen. Und Guy kann mit niemandem reden, weil die Geschichte des Fremden im Zug allzu verrückt klingt, und weil er mit niemandem reden kann, wird seine Unruhe immer größer, zumal Bruno sich zunehmend in sein Leben drängt und droht, dieses zu zerstören. Hitchcock spielt mit diesen Ich könnte sie umbringen-Wünschen, die ein jeder mal so dahin sagt. Natürlich tut man's dann nicht. Aber da sitzt man bei Hitchcock schon in Teufels Küche, in der Guy Haines buchstäblich Tennis um sein Leben spielt.

Kurz vor dem Höhepunkt, als es darauf ankommt, dass es einen Höhepunkt überhaupt gibt, nämlich den, Bruno daran zu hindern, am Tatort Guys Feuerzeug zu platzieren, damit man Guy für den Mörder hält, muss Guy Haines das Finale eines Tennisturniers bestreiten. Er sagt, wenn er das Spiel in drei Sätzen schaffe, könne er Bruno noch einholen. Plakatmotiv (US): Stranges on a Train (1951) Fortan schneidet Hitchcock Brunos Reise zum Tatort immer gegen Bilder eines intensiven Tennisspiels, das nach dem dritten Satz nicht gewonnen ist. Aber, Glück: Bruno ist gestolpert und hat das Feuerzeug in einen Gully fallen lassen. Alles wieder offen. Es gibt wenige Tennis-Finals, die so spannend sind.

Der Film fesselt durch die klammernde Nähe, in der die Kamera die Protagonisten umkreist, wie sehen angeschnittene Gesichter in Großaufnahme, bedrohliche Figuren aus der Untersicht und schließlich ein irrwitziges Finale, ein Kampf auf Leben und Tod auf einem außer Kontrolle geratenen Karussell.

Natürlich kann man die Überlegung anstellen, dass der Plan, Tage nach dem Mord am Tatort ein silbern funkelndes Indiz, das Feuerzeug, zu platzieren, das der Polizei bei ihren Ermittlungen doch sicher aufgefallen wäre, wenig durchdacht ist. Natürlich ist, bei Tageslicht betrachtet, Guys Naivität ein wenig drüber. Der Mann will nach seiner Tennislaufbahn in der Politik Karriere machen … und so weiter und so weiter, aber Hitchcocks Reich ist nicht das Tageslicht, er herrscht im Dunkel des Kinosaals. Und da ist nichts wenig durchdacht, niemand überraschend naiv.

Hitchcock hatte die Rechte an dem Patricia-Highsmith-Roman erworben und die Idee ihn mit Raymond Chandler zu adaptieren, dem Autor der Romane um den Privatdetektiv Philip Marlow. Die Zusammenarbeit funktionierte nicht. Aus Hitchcocks Perspektive wurden Chandlers Versionen immer schlechter, so dass Hitchcock schließlich kein Wort mehr mit ihm gesprochen haben soll. Er engagierte Czenzi Ormonde, eine Schülerin von Ben Hecht, die das Drehbuch, basierend auf Hitchcocks ursprünglicher Storyline, zusammen mit Barbara Keon, einer Produktionsassistentin von Hitchcock und dessen Frau Alma Hitchcock, neu schrieb. „Schuster, bleib bei deinem Leisten!“ war alles, was Hitchcock nach jahrzehntelangem Schweigen über die Zusammenarbeit mit Chandler zu sagen hatte. Hitchcock erweist sich einmal mehr nicht als Erzähler von Geschichten, die einem, womöglich von Chandler zu sehr geschätzten inhaltlichen Spannungsaufbau folgen. Nicht, dass Hitchcock was gegen Spannungsaufbau hat. Er baut die Spannung aber durch die Erzähltechnik auf. Bei seiner raffinierten, klaren Bildsprache, kühl kalkulierten Montage und bei einer irrwitzigen Storyentwicklung haben wir im Dunkeln dann gar nicht die Zeit, über etwaige Inplausibilitäten nachzudenken – und wollen das auch gar nicht.

Wir sind gefesselt von dem Drama oben auf der Leinwand und wollen jetzt nicht gestört werden. "Strangers on a Train" ist der perfekte Thriller.

Wertung: 6 von 6 D-Mark
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