1831 reist der vornehm-verlotterte Ire Charles Adare nach Australien, um mit Hilfe seines Vetters, der gerade zum Gouverneur ernannt worden ist, in Sydney ein neues Leben zu beginnen. Bei seiner Ankunft trifft er auf den „freigelassenen“ Landbesitzer und inzwischen erfolgreichen Geschäftsmann Sam Flusky. Auf einer Dinner-Party in Fluskys Haus erkennt Charles in dessen Ehefrau Henrietta seine Kindheitsgespielin wieder. Henrietta ist alkoholkrank und leidet unter Wahnvorstellungen. Der Haushalt wird von der jungen Milly geführt.
Flusky wird zwar als Geschäftsmann akzeptiert, nicht jedoch gesellschaftlich. Er wurde in Irland für die Ermordung von Henriettas Bruder verurteilt, aufgrund von letzten Zweifeln jedoch mit einer siebenjährigen Verbannung statt mit dem Galgen bestraft. Henrietta ist ihm nach Australien gefolgt und nach seiner Freilassung haben sie sich in Sydney angesiedelt. Doch die Ehe ist in eine Krise geraten, Henrietta dem Alkohol verfallen.
Charles, dem die gesellschaftlichen Gepflogenheiten in der Sträflingskolonie gleichgültig sind, verhilft Henrietta wieder zu Lebensmut. Sam, der bereits resigniert hat, unterstützt ihn dabei. Charles verliebt sich jedoch in Henrietta. Milly intrigiert gegen die beiden und treibt Sam in die Eifersucht. Auf einem Empfang des Gouverneurs, zu dem sich Charles mit Henrietta selbst einlädt, kommt es durch den plötzlich auftauchenden Sam zum Eklat …
Alfred Hitchcock begibt sich auf unbekanntes Terrain – in doppelter Hinsicht. Der erste Film, den er wieder in England dreht, führt uns nach Australien – Under Capricorn, unter den Südlichen Wendekreis, wie der Film im Original heißt. Außerdem inszeniert er romantisches Melodram über die alten Gefährten Schuld und Sühne. Es gibt zwar einen Mord, aber der liegt lange zurück und jemand hat dafür gebüßt. Statt also in einen Hitchcock-Thriller zu inszenieren, konzentriert sich der gefeierte Regisseur auf seine drei Hauptfiguren, auf ein romantisches Dreieck und ein paar ziemlich verkommene Figuren um diese herum.
Einige von diesen verkommenen Figuren tragen edles Tuch und sind in der britischen Kronkolonie Down Under hoch angesehen. Andere sind unscheinbare Dienstboten, die sioch als mörderische Intriganten entpuppen. Ein verurteilter Mörder erweist sich als der Tat unschuldig. Hitchcock beherrscht das Spiel mit den Erwartungen seiner Zuschauer immer noch – egal ob im Thriller oder im Melodram. Die erste Erwartung konterkariert er tatsächlich eben damit, das Melodram zu versuchen – aber das versteht der Zuschauer erst viel später. Vorher ist er abgelenkt durch all die anderen Erwartungen, die der Regisseur gekonnt in ihr Gegenteil verkehrt. Als erstes wird der etwas schnöselige Lebemann Adare zu einem Dinner beim Pferdezüchter Flusky eingeladen. An diesem Abend kommen allerlei noble Männer aus der Stadt – aber niemand hat seine Frau dabei, man möge sie entschuldigen, sie sei unpässlich, heißt es jedesmal. So baut sich statt einer fröhlinch schwingenden Abendgesellschaft ein deprimierender Empfang auf. Als Lady Flusky dazustößt, wird klar, warum die Abendgesellschaft so trostlos wirkt: Die Lady ist betrunken. Offenbar haben wir es mit einer Alkoholokerin zu tun. Nächste Erwartung unterlaufen: Ingrid Bergmann als Trinkerin? In einem Kostümfilm? Bergmann hat in dieser Szene nichts von ihrer üblicherweise weichgezeichneten Aura sphärischer Eleganz. Erst viel später, als sie im schönen Ballkleid die Treppe herunterschreitet, hat sie diesen sphärigen Ingrid-Bergmann-Touch (Berüchtigt – 1946; Ich kämpfe um dich – 1945; "Das Haus der Lady Alquist" – 1944; Wem die Stunde schlägt – 1943; Casablanca – 1942).
Auch Joseph Cotton ist eine Überraschung: in Hitchcocks Im Schatten des Zweifels (1943) noch der verschlagene Onkel Charlie, auch hier zunächst der schlecht beleumundete Ex-Sträfling, der sich etwas aufgebaut, darüber seine Frau an den Alkohol verloren hat und als harter Knochen auftritt, der nur an der verschwundenen Liebe seiner Frau leidet. Und auch der aufdringliche Lebemann Charles, der sich Henrietta in sehr unpassender Weise aufdrängt und lange Zeit als die Hauptfigur des Films wirkt, erscheint irgendwann in neuem Licht und lediglich als Katalysator des eigentlichen Dramas, bei dem Henrietta und Sam im Mittelpunkt stehen. Die Erwartungen werden sich im Laufe des Films noch ein paar Mal umdrehen. Bis Hitchcock ein komplexes Gesellschaftsbild mit facettenreichen Typen, verschlagenen Ratten, gnadenlosen Machthabern und unschuldigen Bürgern komplettiert.
Hitchcock treibt das Spiel mit der Unkenntnis seiner Zuschauer auf die Spitze. Lange läuft die Geschichte auf einen anderen Ausgang zu: Wen wird Henrietta wählen? Denn dass sie sich wird entscheiden müssen zwischen beiden Männern, scheint lange unausweichlich. Sam leidet darunter, als Ex-Sträfling von der britischen Gesellschaft nicht akzeptiert zu werden, das ist klar und das sagt er auch mehrfach. Dann gibt es eine Szene mit einer Rubinkette, die ihre Wahl vorwegzunehmen scheint. Sam möchte ihr zu ihrem neuen Ballkleid eine Rubinkette schenken – die Kamera ist die ganze Zeit close auf der Kette hinter seinem Rücken – während wir hören, wie Charles und Henrietta ihm – etwas gönnerfaft – klar machen, dass Rubine nicht zu diesem Kleid passen; Sam lässt die Kette hinter seinem Rücken unaffäöllig verschwinden. Als die beiden dann weg sind auf dem Ball der großen Gesellschaft, steht Millie, Sams Haushälterin, in der Tür und hält einen flammenden Monolog auf die heuchlerische Schlechtigkeit der Gesellschaft von Stand und treibt Sam in die Eifersucht. Eine große Szene, die den weiteren Film nochmal auf den Kopf stellt.
Kameratechnisch gesehen ist „Sklavin der Herzen“ ein naher Verwandter von Cocktail für eine Leiche, den Hitchcock davor gedreht hat. Für „Sklavin des Herzens“, seinen zweiten Farbfilm, wählt er eine ähnliche Technik wie für „Cocktail“, indem er lange Dialoge ungeschnitten aufnahm und – von der Enge eines einzigen Raumes befreit – dabei zum Teil atemberaubende Kamerafahrten unternimmt – Treppe rauf, Treppe runter, schweben auf einen Balkon zu und wieder weg. Auf diese Weise filmt er lange, dramatische Monologe, von denen der Ingrid Bergmanns herausragt. Minutenlang erzählt sie Charles, wie das war, damals in Irland, als sie und Sam, ihr Stallbursche, sich ineinander verliebten, wie sie flohen und heimlich heirateten und wie am Ende dieser dramatischen Geschichte ihr Bruder erschossen am Boden lag und Sam in die Straflager der Kolonien verbannt wurde. Bergmann ruft alles ab, was an Drama und Emotion in ihr steckt, während Hitchcock die Kamera so präzise führt, dass sie Bergmann immer größer, strahlender, heller erscheinen lässt, während sie von der Romantik und der Liebe erzählt, und als sie zum dramatischen Ende der Geschichte kommt, sich wieder entfernt, sie aus dem Fokus verliert, sie klein, blass und dunkel wirkt. Bergmanns overacting wirkt in diesem wechselnden Licht ganz natürlich.
Auch, was seine Figuren angeht, leiht sich Hitchcock Ideen bei sich selbst aus: Die böse Hausdame Milly ist eine Schwester der eifersüchtigen Haushälterin Mrs. Danvers aus Rebecca (1940), Henrietta eine Cousine der Alicia aus Hitchcocks Berüchtigt (1946), die, auch von Ingrid Bergmann gespielt, eine Trinkerin ist, die sich aufgrund einer „Schuld“ aus der Vergangenheit an einen Ehemann bindet. In beiden Fällen versucht eine Frau sie zu vergiften und in beiden Fällen wird sie von einem Außenstehenden, der sie liebt gerettet.
Mit diesen Zutaten aus seinen bekannteren Thrillern macht Alfred Hitchcock aus „Under Capricorn“ ein Kamera-Wunderk und ein ergreifendes Melodram.
„Sklavin des Herzens“ wurde von Publikum und Kritik zunächst überwiegend negativ aufgenommen. Einer der Gründe für die schlechte Publikumsbewertung lag vermutlich in der in weiten Kreisen getäuschten Erwartungshaltung. Zuschauer, die den zugrundeliegenden Roman gelesen hatten, erwarteten eine Komödie; diejenigen, die sich von den Filmankündigungen hatten leiten lassen, erwarteten einen Hitchcock-typischen Thriller – beide Zuschauergruppen wurden von dem sich als Psychodrama entpuppenden Kostümfilm enttäuscht.
Zudem war Ingrid Bergmans ehebrecherische Affäre mit dem italienischen Regisseur Roberto Rossellini einer günstigen Rezeption des Films im prüden Amerika nicht eben förderlich.
Die Kinofilme von Alfred Hitchcock
Sir Alfred Joseph Hitchcock KBE (* 13. August 1899 in Leytonstone, England; † 29. April 1980 in Los Angeles, Kalifornien) war ein britischer Filmregisseur, Drehbuchautor, Filmproduzent und Filmeditor. Er siedelte 1939 in die USA über und nahm am 20. April 1955 zusätzlich die amerikanische Staatsbürgerschaft an.
Hitchcock gilt hinsichtlich seines Stils als einer der einflussreichsten Filmregisseure. Er etablierte die Begriffe „Suspense“ und „MacGuffin“. Sein Genre war der Thriller, die wiederkehrenden Motive waren Angst, Schuld und Identitätsverlust. Mehrfach variierte er das Thema des unschuldig Verfolgten.
Hitchcock legte großen Wert auf die künstlerische Kontrolle über das Werk des Autors. Sein Gesamtwerk umfasst 53 Spielfilme und gehört gemessen am Publikumserfolg sowie der Rezeption durch Kritik und Wissenschaft zu den bedeutendsten der Filmgeschichte. Auch dank seiner bewussten Selbstvermarktung zählt Hitchcock heute zu den bekanntesten zeitgeschichtlichen Persönlichkeiten. Er ist dem Autorenfilm zuzurechnen.
Am 3. Januar 1980 wurde er von Königin Elisabeth II. zum Knight Commander des Order of the British Empire ernannt.
- Irrgarten der Leidenschaft (1925)
- Der Bergadler (1925)
- Der Mieter (1927)
- Der Weltmeister (1927)
- Abwärts (1927)
- The Farmer's Wife (1928)
- Leichtebig (1928)
- Champagne (1928)
- The Manxman (1929)
- Erpressung (1929)
- Juno and the Paycock (1930)
- Mord - Sir John greift ein! (1930)
- Bis aufs Messer (1931)
- Mary (1932)
- Endlich sind wir reich (1931)
- Nummer siebzehn (1932)
- Waltzes from Vienna (1934)
- Der Mann, der zuviel wusste (1934)
- Die 39 Stufen (1935)
Geheimagent (1936) - Sabotage (1936)
- Erpressung (1929)
- Jung und unschuldig (1937)
- Eine Dame verschwindet (1938)
- Riff-Piraten / Jamaica Inn (1939)
- Rebecca (1940)
- Der Auslandskorrespondent (1940)
- Mr. und Mrs. Smith (1941)
- Verdacht (1941)
- Saboteure (1942)
- Im Schatten des Zweifels (1943)
- Das Rettungsboot (1944)
- Landung auf Madagaskar (Kurzfilm, 1944)
- Ich kämpfe um dich (1945)
- Berüchtigt (1946)
- Der Fall Paradin (1947)
- Cocktail für eine Leiche (1948)
- Sklavin des Herzens (1949)
- Die rote Lola (1950)
- Der Fremde im Zug (1951)
- Ich beichte (1953)
- Bei Anruf Mord (1954)
- Das Fenster zum Hof (1954)
- Über den Dächern von Nizza (1955)
- Immer Ärger mit Harry (1955)
- Der Mann, der zuviel wusste (1956)
- Der falsche Mann (1956)
- Vertigo - Aus dem Reich der Toten (1958)
- Der unsichtbare Dritte (1959)
- Psycho (1960)
- Die Vögel (1963)
- Marnie (1964)
- Der zerrissene Vorhang (1966)
- Topas (1969)
- Frenzy (1972)
- Familiengrab (1976)