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Plakatmotiv: Music Box – Die ganze Wahrheit (1989)

Vielschichtiges Drama um Schuld und
Sühne unter Vätern und Töchtern

Titel Music Box – Die ganze Wahrheit
(Music Box)
Drehbuch Joe Eszterhas
Regie Constantin Costa-Gavras, USA 1989
Darsteller

Jessica Lange, Armin Mueller-Stahl, Frederic Forrest, Donald Moffat, Lukas Haas, Cheryl Lynn Bruce, Mari Törőcsik, J.S. Block, Sol Frieder, Michael Rooker, Elzbieta Czyzewska, Magda Szekely Marburg, Felix Shuman, Michael Shillo, George Pusep, Mitchell Litrofsky, Albert Hall, Ned Schmidtke u.a.

Genre Krimi, Drama
Filmlänge 124 Minuten
Deutschlandstart
29. März 1990
Inhalt

Vor 40 Jahren kam Mike Laszlo nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs als ungarischer Immigrant in die USA. Heute ist der ehemalige Arbeiter US-amerikanischer Staatsbürger. Doch jetzt wird er beschuldigt, in seiner Jugend als Mitglied der Pfeilkreuzer, der ungarischen Faschisten, grauenhafte Kriegsverbrechen begangen zu haben.
Er bittet seine Tochter Ann, eine bekannte Rechtsanwältin, ihn vor Gericht zu verteidigen …

Was zu sagen wäre

Was hast Du eigentlich während des Krieges gemacht, Papa? Was weiß man schon wirklich über die eigene Familie, über die Generation der Väter, die im Krieg gekämpft oder gearbeitet haben? Constantin Costa-Gavras nutzt diese Ungewissheit, um ein großes Drama zu erzählen. Ein Familiendrama. Und eines über ein nicht so bekanntes Kapitel des Zweiten Weltkriegs, nämlich über die Kollaboration von Ungarn mit den deutschen Nationalsozialisten. Die sogenannten Pfeilkreuzler waren Anhänger einer faschistischen und antisemitischen Partei in Ungarn zwischen 1935 und 1945. Mit Unterstützung des Dritten Reiches errichteten die Pfeilkreuzler vom 16. Oktober 1944 bis zum 28. März 1945 in den noch nicht von der Roten Armee besetzten Teilen Ungarns eine faschistische Kollaborationsregierung und Diktatur, unter der etwa 50.000 ungarische Juden ermordet wurden.

Diesen Hintergrund reißt Costa-Gavras nur an. Er konzentriert sich auf einen Mann. Einen heute in den USA lebenden, augenscheinlich unbescholtenen Bürger, der hier Sohn und Tochter groß gezogen hat und Liebling seines Enkels Mickey ist. Die Vergangenheit holt ihn ein. Er wird vor Gericht gestellt. Seine Tochter, erfolgreiche Anwältin, die ihren Vater liebt und von dessen ehrbarer Unschuld überzeugt ist, verteidigt ihn vor Gericht. Costa-Gavras entwickelt aus diesem Plot eine mehrschichtige Erzählung. Vor Gericht aufgeführt werden grausame Taten jener ungarischen Faschisten. Es ist eine flammende Anklage, mit der Costa-Gavras, wie in vielen seiner Filme, Stellung gegen politische Missstände bezieht, die Gesellschaften prägen; hier sind es Menschen, die durch Fascismus und Diktatur verbogen und zu Bestien werden. Hier beginnt die zweite Erzählschicht: Eine Frau muss sich mit den taten ihres Vaters auseinandersetzen, muss eine Haltung dazu entwickeln, dass Papa nicht nur ein bisschen gelogen hat – tatsächlich sei er Polizist in einer Schreibstube gewesen, habe sich aber als Bauer ausgegeben, weil das in den USA ein akzeptierter Beruf bei ungarischen Flüchtlingen war. Plakatmotiv: Music Box – Die ganze Wahrheit (1989) Und hier beginnt die dritte Erzählschicht, die bis in die oberen Regierungsetagen in Washington reichen, in denen sich Beamte das Wissen übergelaufener Nazis über die Kommunisten zunutze machten und diesen Nazis dafür Unterschlupf gewährten.

Der freundlich Opa Mischka, der so liebevoll mit seinem Enkel spielt und mit der Tochter alte Hausrezepte der verstorbenen Mama nachkocht – ein beliebtes Stilmittel im Kino, wenn ein Monster menschlich gezeigt werden soll: Man stellt ihn mit Schürze und Rezeptsprüchen an den Herd, bspw. Der Pate – und im Park Schach spielt, ist eingebettet in ein Netzwerk alter Beamter, die in Ost und West auf informeller Ebene immer noch Kontakte pflegen und sich helfen, wo nötig. Es tauchen plötzlich Beweise aus ungarischen Ministerien auf, die wochenlang nicht zu bekommen waren. Aus Washington kommen plötzlich alte KGB-Männer als Kronzeugen für Opa Mischka. Und der ehemalige Schwiegervater der geschiedenen Tochter Mischkas, Ann, gehört als honoriger Wirtschaftsanwalt jenen konservativen, einflussreichen Zirkeln an, die die Vergangenheit gerne für abgeschlossen erklären möchten: „Der Holocaust ist eine heilige Kuh. Die Überlebenden des Holocaust sind ewige Heilige“, warnt der joviale Ex-Schwiegerpapa Ann, diesen Fall besser nicht zu übernehmen. „Es ist nicht so schlimm, aufs Grab des unbekannten Soldaten zu pinkeln, als die ins Kreuzverhör zu nehmen.“ An dieser Schicht hält Costa-Gavras keinen flammenden Appell gegen alte Netzwerke, im Gegenteil. Er lässt diese Erzählung nebenher mitlaufen, immer wieder poppt mal Ungereimtes auf. Wenn etwa der honorige Wirtschaftsanwalt eine Rede vor seinen Gästen hält, findet die irgendwo draußen auf einer Terrasse statt, wir hören nur Satzfetzen wie „besser um unsere Enkelkinder kümmern“ und sehen meistens nur Spiegelungen in geöffneten Terrassenfenstern – als wäre dieser Teil des Films, der mit staatlicher Korruption spielt, dem Regisseur der unheimlichste.

Groß aufgetragen ist das Familiendrama, in dem sich Jessica Lange ("Ein Leben voller Leidenschaft – 1988; "Frances" – 1982; Tootsie – 1982; Wenn der Postmann zweimal klingelt – 1981; King Kong – 1976) und Armin Mueller-Stahl betüteln und bekämpfen, sie als die von allen akzeptierte, erfolgreiche, aber auf dem Boden gebliebene Frau, die lange alle komischen Zufälle einfach zur Kenntnis nimmt. Er als der liebe alte Opa, der in den letzten Filmminuten mit seinen stahlblauen Augen seiner Tochter, die die Wahrheit kennt, eben diese Wahrheit wieder austreiben will.

Erzählt wird mit vielen Großaufnahmen von erzählenden Gesichtern, den gefürchteten Talking Heads, die vor Gericht von furchtbaren Greueln erzählen. Sehen tun wir die nicht. Costa-Gavras lässt uns die Vorstellung. Mehr bekommen wir auch nicht, würde Vater unsere Fragen nach dem Krieg beantworten.

Wertung: 7 von 10 D-Mark
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