Japan, 1945: Kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs täuscht der Kamikaze-Pilot Koichi Shishima technische Probleme bei seinem Flugzeug vor und landet auf der Insel Odo. Hier begegnet er zum ersten Mal der Riesenechse Godzilla, die die gesamte Insel dem Erdboden gleichmacht.
Zwei Jahre später: Shishima ist inzwischen nach Tokio zurückgekehrt, wo er mit einer Frau und einem Kind in einer Schicksalsgemeinschaft zusammenlebt. Zur gleichen Zeit machen Berichte die Runde, dass der durch Atomtests im Bikini-Atoll mutierte Godzilla mehrere US-Kriegsschiffe zerstört hat und sich bereits auf dem Weg nach Japan befindet.
Godzilla sorgt dafür, dass das Land an einen neuen Tiefpunkt gelangt. Im Kampf gegen das Monster bietet sich für Koichi die Gelegenheit, eine alte Schuld zu begleichen, die er als Kamikaze-Pilot auf sich lud, als er desertierte und auch den Kameraden auf der Insel anschließend nicht beistand, als die Riesenechse angriff …
Das Leben in Nachkriegs-Japan ist schwierig. Wenn du als Kamikaze-Pilot lebend heimkehrst, heißt das, dass Du Deinen Job nicht ordentlich, nicht aufrecht erledigt hast. Wenn Du als Frau ohne Mann, aber mit Kind dastehst, wird Dir geraten, Dich am besten zu prostituieren; das sei Deine einzige Chance. Und die Regierung kümmert sich sowieso nicht um die einfache Bevölkerung, schickt sie achtlos mit untauglichem Material und nicht funktionierenden Nachschubketten in Kriege, verwendet sie als Kanonenfutter, anstatt ihren Kampfflugzeugen wenigstens ordentliche Schleudersitze einzubauen.
Der neueste Godzilla aus den Toho-Studios fängt, mal wieder, bei Null an. Als das Monster zum ersten Mal auftaucht, ist es unwesentlich größer, als der Tyrannosaurus Rex aus den Spielberg-Filmen und einfach eine sehr große Echse; irgendwie ein Überbleibsel aus vergangenen Zeiten, das die Inselbewohner Godzilla getauft haben. Die Atombombenversuche der USA im Bikini-Atoll kommen ja auch erst 1947. Die machen dann aus der großen Echse jenen sattsam bekannten Ur-Giganten, der auch gleich auf Tokio los marschiert. Wir wissen nicht genau, wieso. Vielleicht hat er den Schiffen, die ihn auf hoher See bekämpft haben, angesehen, dass sie von dort kommen, jedenfalls ist Tokio kurz darauf dem Erdboden gleich. Wild entschlossen tüftelt ein sympathisch verstruwwelter Professor einen komplizierten Plan aus, wie man das Monster zur Strecke bringen könnte. Die Umsetzung dieses Plans ist an sich schon schwer genug, zusätzlich wird sie erschwert durch die Unlust der Marinesoldaten, sich schon wieder von der Obrigkeit ins Feuer schicken zu lassen.
An solchen Stellen blitzt der Seitenblick auf den – für die Maßstäbe dieses Genres – hochpolitischen Shin Godzilla von 2016 auf, in dem Hideaki Anno und Shinji Higuchi kein gutes Haar an der Entscheidungsfreudigkeit der politischen Kaste lassen. Tatsächlich neu ist, dass der Monsterfilm überhaupt von den japanischen Schuldgefühlen nach dem verlorenen Krieg 1945 erzählt. Aus dieser Niederlage, die für Japan zu groß war, um sie real fassen zu können, erwuchs erst das Monster, mit dessen Hilfe sich das Land von dem Schuldkomplex vordergründig befreien konnte. Im Film trägt jeder sein Päckchen, der Pilot, der sich persönlich für die Niederlage verantwortlich macht, die zickige Nachbarin, die Schuldige für die Niederlage sucht und dann unversehens zur hilfreichen Seele mutiert, die junge Noriko, die sich im Nachkriegschaos durchschlägt, aber die Zukunft in Person eines Findelkinds auf dem Arm trägt und ein Marineoffizier, der es seinen Leuten frei stellt, ob sie kämpfen oder lieber zu ihren Familien wollen.
Aber bei solchen Momentaufnahmen belässt es Takashi Yamazaki dann und baut, wenn es schwerblütig zu werden droht, aus dem US-Kino der 50er Jahre entliehenes Kriegspathos ein, in dem tapfere Soldaten mit einem coolen Was soll's-Spruch in die Schlacht ziehen und Dem zeigen wir's rufen.
Der Film sieht aus, als hätte Yamazaki alles richtig machen wollen und der aus dem Nichts auftauchenden Giga-Echse mit unbändiger Zerstörungskraft unbedingt keine Geschichte gegeben. Also anders, als die Amerikaner, die Godzilla und seinen Kompagnon Kong seit 2014 zu Rettern der Erde gegen echt zerstörerische Monster stilisieren. Der ursprüngliche Godzilla hatte keine Geschichte. Er war die Geschichte. Er war die Allegorie auf den atomaren Schrecken, den Japan im Zweiten Weltkrieg erlebt hatte. Er war Zerstörer, nichts sonst. Das ist er bei Yamazaki wieder, aber mit modisch ausfahrbarem Rückenpanzer. Wenn er seinen radioaktiven, blauen Strahl aufbaut, fahren seine Finnen blau leuchtend aus dem Rücken heraus. Das sieht aus, als hätte Yamazaki beim Schreiben schon an die Actionfigur im Spielwarenregal gedacht – auch das seit den späten 70er Jahren ein eher amerikanischer Ansatz.
"Godzilla Minus One" ist nicht Fisch, nicht Fleisch und schon gar nicht vegan. Wenn der Film nicht weiter weiß, nimmt das Drehbuch eine überraschende Abkürzung. Ob das der lustige Sidekick ist, der eben noch die Existenz einer Riesenechse bezweifelt und im nächsten Moment, ohne dass sich irgendwas geändert hätte, für die – wahrscheinlich jüngeren Zuschauer – in voller Panik all die Schrecken aufsagt, die so ein Monster verursachen kann; ob es die bemerkenswerte Kraftlosigkeit ist, die es dem gigantischen Godzilla verbietet, einen Fischkutter einzuholen, auf dem halt alle unsere Helden sitzen; ob es die Liebesbeziehung von Kamikaze-Pilot Koichi zu seiner ihm buchstäblich zugelaufenen Frau und deren ebenso buchstäblich zugeworfenem Kind ist, die über Jahre nicht stattfindet und erst eine Rolle spielt, als es zu spät ist – und es dann doch nicht, als hätten wir wieder 1975, als der Weiße Hai besiegt ist und der längst tot geglaubte Richard Dreyfuss lächelnd wieder auftaucht; ob es technischer Schnickschnack in einem Kriegsflugzeug ist, der sich plötzlich über Nacht einbauen lässt, nachdem einen Krieg lang Zehntausende wegen dessen Fehlens in den Tod geflogen sind.
Oder ob es Godzilla ist, der Tokio ein zweites Mal angreift und man sich fragt, wieso eigentlich. Rache kann es nicht sein, Tokio ist ja schon platt. Und die dortigen Atomkraftwerke, die er dort in den 60er und 70er Jahren immer zur eigenen Energiegewinnung verspeist hat, interessieren ihn diesmal herzlich wenig. Aber er muss halt nochmal nach Tokio zurück, weil sonst die Strategie des sympathisch verstruwwelten Professors, der dort mit der halben japanischen Flotte auf ihn wartet, nicht aufgehen kann – also schickt ihn das Drehbuch nochmal dort hin. Und dann löst sich alles nach ordentlich Brumm und Platsch und Tauch und Glüh in allerseits Wohlgefallen auf.
Der Film ist so naiv erzählt, wie das Original von 1954. Aber das erschien 1954. 69 Jahre später ist das Kinopublikum um etliche Godzilla-Umdrehungen weiter. Viel weiter jedenfalls, als dass es das angeklebte Happy End zufriedenstellen kann. Die visuellen Effekte sind so gut, wie es der Oscar, den die Macher bekommen haben, vermuten lässt. Aber einfach wieder von vorne anzufangen, mit dünnem Drehbuch, grob gepinselten Nachkriegsklischees und ohne einen neuen Erzählansatz zu haben, ist im Jahr 2023 zu wenig für einen solchen Klassiker.
Godzilla, Gamera, Gappa & Co. – Japans Monster-Kino
- Godzilla (1954)
- Godzilla kehrt zurück (1955)
- Die fliegenden Monster von Osaka (1956)
- Die Rückkehr des King Kong (1962)
- Godzilla und die Urweltraupen (1964)
- Frankensteins Monster im Kampf gegen Ghidorah (1964)
- Frankenstein – Der Schrecken mit dem Affengesicht (1965)
- Gamera – Frankensteins Monster aus dem Eis (1965)
- Befehl aus dem Dunkel (1965)
- Frankenstein und die Ungeheuer aus dem Meer (1966)
- Frankenstein – Zweikampf der Giganten (1966)
- Gamera gegen Barugon (1966)
- Frankensteins Monster jagen Godzillas Sohn (1967)
- Gamera gegen Gaos (1967)
- King-Kong, Frankensteins Sohn (1967)
- Gappa: Frankensteins fliegende Monster (1967)
- Frankenstein und die Monster aus dem All (1968)
- Gamera gegen Viras (1968)
- Godzilla – Attack all Monsters (1969)
- Gamera gegen Guiron (1969)
- Monster des Grauens greifen an (1970)
- Gamera gegen Jiggar (1970)
- Frankensteins Kampf gegen die Teufelsmonster (1971)
- Gamera gegen Zigra (1971)
- Frankensteins Höllenbrut (1972)
- King Kong – Dämonen aus dem Weltall (1973)
- King Kong gegen Godzilla (1974)
- Die Brut des Teufels (1975)
- Der Koloss von Konga (1977)
- Gamera Super Monster (1980)
- Godzilla – Die Rückkehr des Monsters (1984)
- Godzilla – Der Urgigant (1989)
- Godzilla – Duell der Megasaurier (1991)
- Godzilla – Kampf der Sauriermutanten (1992)
- Godzilla gegen MechaGodzilla II (1993)
- Godzilla gegen SpaceGodzilla (1994)
- Gamera – The Guardian of the Universe (1995)
- Godzilla gegen Destoroyah (1995)
- Gamera – Attack of the Legion (1996)
- Godzilla (1998)
- Godzilla 2000: Millennium (1999)
- Gamera – Revenge of Iris (1999)
- Godzilla vs. Megaguirus (2000)
- Godzilla, Mothra and King Ghidorah (2001)
- Godzilla against MechaGodzilla (2002)
- Godzilla: Tokyo SOS (2003)
- Godzilla: Final Wars (2004)
- Gamera the Brave (2006)
- Godzilla (2014)
- Shin Godzilla (2016)
- Godzilla II – King of the Monsters (2019)
- Godzilla vs. Kong (2021)
- Godzilla Minus One (2023)
- Godzilla x Kong: The New Empire (2024)
Die schwarz markierten Filme gehören nicht zur Monster-Serie aus den Toho-Studios