In der Bucht von Tokio kommt es zu unerklärlichen Ereignissen: Eine Yacht treibt auf dem Wasser, der Besitzer ist spurlos verschwunden. Zur gleichen Zeit scheint unweit davon wie aus dem Nichts ein Vulkan auf dem Meeresgrund auszubrechen. Schnell wird klar, dass die Geschehnisse von einem lebenden Organismus ausgegangen sein müssen.
Erste Videos der unbekannten Kreatur tauchen auf: Es ist riesig und bewegt sich mit rasender Geschwindigkeit auf die Stadt zu. Die Behörden müssten jetzt eigentlich schnell handeln, um die Bevölkerung vor einer Katastrophe zu schützen.
Doch in keinem Notfall-Plan der Welt ist geregelt, wie man mit einem unbekannten, gigantischen Monster umgeht. Regierung, Behörden, Verbände verheddern sich heillos in einem Kompetenzwirrwarr, während das Monster seinen Weg geht.
Einem Mitglied der Regierung werden bislang unveröffentlichte Aufsätze eines Forschers zugespielt, die das Geschöpf zu erklären versuchen – und ihm einen Namen geben: Godzilla! Mit Hilfe der Experten setzt die Regierung alles daran, es zu besiegen …
Godzilla war schon früher politisch aufgeladen, schon als er 1954 sein Debüt hatte; damals trampelte er als Opfer radioaktiver Strahlung mit Tokio die Hauptstadt des einzigen Landes nieder, in dem zwei Atombomben detoniert waren. Das Politische verlor sich aber bald aus den Filmen, sie wurden bunter Comic-Pop, unterhaltsame Abenteuer für Kinder jeden Alters. Eine US-amerikanische Produktion versucht seit 2014, Godzilla als eine Art Entität zu etablieren, die den Kreislauf der Natur intakt hält und der Mensch nur noch staunendes Opfer übernatürlicher Kräfte und einstürzender Hochhäuser ist. Die Autoren des vorliegenden Godzilla-Films, einem Reboot, in dem Godzilla wieder gänzlich unbekannt ist, reiten boshafte kleine Attacken gegen die USA: Nachdem das Monster Tokio zerstört hat, steht die Weltgemeinschaft Gewehr bei Fuß, sollte Hilfe erwünscht sein. Aber die Perspektive, dass eine multinationale Koalition „unter Führung der USA“ das Problem beseitigen könnte, stößt in der japanischen Regierung und in den Behörden auf wenig Freude. Wenn es zu vermeiden wäre … die würden ja doch wieder alles an sich reißen, alle Informationen haben wollen, eigene Erkenntnisse aber wieder mal unter Geheimhaltungsstufe stellen – „Schrecklicher als Godzilla sind nur noch Menschen, oder?“
In diesem Godzilla ist das Monster also keine göttergleiche Entität, in diesem Film bleibt die Verantwortung, sich zu schützen beim Menschen. Und der baut ob dieser neuen Lage gleich neue politische Strukturen auf. Godzilla ist also wieder politisch. Das Chaos, das in dieser – von keinem Notfallplan abgedeckten – Situation bei den Regierungsvertretern ausbricht, erinnert an die Tatenlosigkeit und Abwiegelungen der japanischen Regierung nach dem 11. März 2011. Die Zerstörung, die Godzilla hinterlässt, erinnert nicht zufällig an die Bilder aus Fukushima, die das Fernsehen 2011 tagelang übertrug. Irgendwann hat die Regierung dann Katastrophenpläne zusammengestellt, nach denen man das Monster zu bekämpfen versucht. Darin wird die Region Tokio nun besonders geschützt. Das erklärt ein alter Journalist einem jungen so: „Tokio hat alles in allem 13 Millionen Einwohner. Das Bruttosozialprodukt liegt bei 85 Billionen Yen, immerhin 17% von Japan. Zusammen mit der Kantō-Region 200 Billionen Yen; das macht 40 Prozent. Das ist eine strategische Lageeinschätzung und die ist durchaus nachvollziehbar.“ Anders formuliert: Fukushima hatte diese Kennzahlen nicht; vielleicht deshalb Atomkraftwerke.
Die Regie zeigt natürlich alle Essentials, die zu einem Godzilla-Film gehören, inklusive der herumfliegenden Hochbahn, diese wunderbaren Totalen, die im Zeitalter digitaler Bildtechnik natürlich überragend sind, brennende Großstädte und Godzillas (neuen) Feueratem. Und es geht von vorne los: Niemand kennt das Monster, es unterzieht sich mehrerer Metamorphosen, bevor es aussieht wie good old Godzilla; aber die Zeiten des Schauspielers im Gummikostüm sind vorbei. Was aus dem jüngsten Goldzillafilm verschwunden ist, ist die Technikbegeisterung, der naive Glaube, die Regierung werde schon Laserwaffen oder Ähnliches im Köcher haben, mit der die Japaner in früheren Godziallfilmen dann auf Monsterjagd gingen. Nach Fukushima wissen die Japaner: Die Regierung hat nicht nur keine Wunderlaserwaffe; sie hat auch längst nicht immer einen Plan. „Herr Minister!“, sagt schließlich Rando Yaguchi, ein desillusionierter Beamter entnervt, „weil sich die japanischen Armee im Zweiten Weltkrieg an theoretische Luftschlösser und an die Vorstellung geklammert hat, dass alles so sein würde, wie man es gerne hätte, gab es am Ende drei Millionen Opfer. Haltloser Optimismus verbietet sich hier von selbst!“
Die Behörden wissen sich schließlich nur zu helfen, indem sie alle eingeübten demokratischen Prozesse ausschalten. Der tapfere Rando Yaguchi kann schließlich ein Team zusammenstellen, dem die Arbeit folgendermaßen schmackhaft gemacht wird: „In diesem Gremium hat nichts, was Sie tun, Einfluss auf Ihre Personalbeurteilung. Vergessen Sie jede Hierarchie nach Amt, Alter oder Behörde. Sprechen Sie hier alles aus, was Sie denken!“ Das klingt wie Helmut Schmitt, als der als Kanzler im Heißen Herbst 1977 seinem Krisenstab auftrug, alles zu sagen, auch das Unaussprechliche. „Ich mache mal weiter“, sagt ein weiterer direkt in die Kamera: „Hier sind lauter Leute versammelt, die niemals bei der Regierung Karriere machen werden: Außenseiter, einsame Wölfe, Ekelpakete, Nervensägen und wissenschaftliche Nonkonformisten. Folgen Sie nur Ihrem Instinkt!“
Das Schachern um politische Posten zieht sich durch diesen Film wie eine Wespe, die sich nicht vertreiben lässt. Es fällt schwer, dem mit einem Naja-so-stimmt-das-ja-alles-nicht gegenüberzusitzen. Es stimmt ja so eben doch. Irgendwann fragt man sich dann, wer die größere Katastrophe ist: Godzilla, oder die entfesselten USA? Japan zieht Godzillas Zerstörung weiter Teile Tokios einer atomaren US-Streitmacht jedenfalls vor. Das Vertrauen in die gewachsenen Strukturen ist wohl weg.
So politisch, so global, so endgültig war Godzilla noch nie!
Shin ist japanischer Herkunft. Mit dem Kanji-Zeichen 真 geschrieben bedeutet er Wahrheit, Wirklichkeit.
Godzilla, Gamera, Gappa & Co. – Japans Monster-Kino
- Godzilla (1954)
- Godzilla kehrt zurück (1955)
- Die fliegenden Monster von Osaka (1956)
- Die Rückkehr des King Kong (1962)
- Godzilla und die Urweltraupen (1964)
- Frankensteins Monster im Kampf gegen Ghidorah (1964)
- Frankenstein – Der Schrecken mit dem Affengesicht (1965)
- Gamera – Frankensteins Monster aus dem Eis (1965)
- Befehl aus dem Dunkel (1965)
Frankenstein und die Ungeheuer aus dem Meer (1966)
- Frankenstein – Zweikampf der Giganten (1966)
- Gamera gegen Barugon (1966)
- Frankensteins Monster jagen Godzillas Sohn (1967)
- Gamera gegen Gaos (1967)
- King-Kong, Frankensteins Sohn (1967)
- Gappa: Frankensteins fliegende Monster (1967)
- Frankenstein und die Monster aus dem All (1968)
- Gamera gegen Viras (1968)
- Godzilla – Attack all Monsters (1969)
- Gamera gegen Guiron (1969)
- Monster des Grauens greifen an (1970)
- Gamera gegen Jiggar (1970)
- Frankensteins Kampf gegen die Teufelsmonster (1971)
- Gamera gegen Zigra (1971)
- Frankensteins Höllenbrut (1972)
- King Kong – Dämonen aus dem Weltall (1973)
- King Kong gegen Godzilla (1974)
- Die Brut des Teufels (1975)
- Der Koloss von Konga (1977)
- Gamera Super Monster (1980)
- Godzilla – Die Rückkehr des Monsters (1984)
- Godzilla – Der Urgigant (1989)
- Godzilla – Duell der Megasaurier (1991)
- Godzilla – Kampf der Sauriermutanten (1992)
- Godzilla gegen MechaGodzilla II (1993)
- Godzilla gegen SpaceGodzilla (1994)
- Gamera – The Guardian of the Universe (1995)
- Godzilla gegen Destoroyah (1995)
- Gamera – Attack of the Legion (1996)
- Godzilla (1998)
- Godzilla 2000: Millennium (1999)
- Gamera – Revenge of Iris (1999)
- Godzilla vs. Megaguirus (2000)
- Godzilla, Mothra and King Ghidorah (2001)
- Godzilla against MechaGodzilla (2002)
- Godzilla: Tokyo SOS (2003)
- Godzilla: Final Wars (2004)
- Gamera the Brave (2006)
- Godzilla (2014)
- Shin Godzilla (2016)
- Godzilla II – King of the Monsters (2019)
- Godzilla vs. Kong (2021)
Die schwarz markierten Filme gehören nicht zur Monster-Serie aus den Toho-Studios