Dem kleinen Hercules wurde ein Weltreich in die Wiege gelegt. Als Sohn des mächtigen Zeus standen ihm alle Wege offen. Blöderweise passte der niedliche Hosenmatz nicht in die Pläne des Hades, dem Herrscher der Unterwelt, der endlich zurück ans Tageslicht will und daher jede Möglichkeit, Zeus durch Intrigen zu vertreiben, gerne wahrnimmt.
Und jetzt hat Zeus einen regulären Erben … Hades ist sauer. Also schickt er seine Handlanger, dem kleinen Herculeslein die Unsterblichkeit zu nehmen. Das klappt nur zum Teil, denn schon der Windeltragende Hercules ist ein Kraftprotz. Immerhin: Hades' Plan geht soweit in Erfüllung, dass Hercules nicht länger ein Gott ist, sondern auf Erden von einem griechischen Bauern großgezogen werden muss.
Er trifft auf Philoctetes, genannt Phil, von Beruf Heldentrainer. Der hält von Hercules‘ ungestümer Tollpatschigkeit nicht so viel; weil es aber kanpp ist an Helden zurzeit, nimmt er sich des Teenagers an und der macht schnelle Fortschritte.
Um endgültig zum Helden zu reifen, sagt Phil, müsse Hercules nach Theben, die „Big Olive“ jener Tage – „Wenn Du es dort schaffst“, sagt er, „schaffst Du es überall“. Und tatsächlich: Nachdem Hercules die böse Hydra besiegen konnte, ist er schnell der Liebling der Massen. Der erste Megastar.
Hades ist wieder sauer. Aber er hat eine Geheimwaffe gegen den Pubertierenden: Die schöne Megara soll ihm endgültig und für alle Zeiten den Kopf verdrehen …
Hercules Superstar. Warum soll es in der Antike so viel anders zugegangen sein, als heutzutage? Der neue Trickfilm aus den Disney-Studios erzählt keinen historischen Stoff; passend umgeben von einem griechischen Chor, der die Ereignisse in Abständen einordnet, fleddert er mit viel Witz die Legende eines griechischen Halbgottes, um sich über die Sehnsucht des modernen Menschen nach Rampenlicht und Heldenverehrung lustig zu machen. Aus New York, dem „Big Apple“ wird Theben, die „Big Olive“, das (wie New York) von lauter Leuten bevölkert ist, die voneinander gelangweilt sind und die sich ungerne aus der Ruhe bringen lassen – da muss schon Hydra kommen; und Hercules.
Ein Halbgott nur auf dem Papier
Mit dem historischen – besser dem mythologischen – Hercules, der eigentlich Herakles heißt (zu Hercules wurde er erst bei den Römern) hat die Disney-Produktion außer dem Namen und ein paar Schauplätzen nichts zu tun. Das geht schon damit los, dass Disneys Hercules zwar als Halbgot bezeichnet wird, aber Sohn des Zeus und seiner Hera ist. Dass der Göttervater im Original fremd geht und Hercules mit der sterblichen Alkmene zeugt, dass Hera ihren Stiefsohn umbringen möchte, das wollte Disney der jungen Zielgruppe dann doch nicht erklären müssen.
Der Titelheld ist sympathisch, bisweilen etwas nervtötend in seiner vollkommenen Naivität – als wollte Disney seinen juvenilen Zuschauern keinen Helden zumuten, der stark ist und intelligent. Sein Spiegelbild, Philoctetes, der Trainer, ist ein kleinwüchsiger, dicklicher Satyr, der im Original vom baugleichen Danny DeVito (L.A. Confidential – 1997; Junior – 1994; Batmans Rückkehr – 1992; Twins – 1988; Auf der Jagd nach dem Juwel vom Nil – 1985; Auf der Jagd nach dem grünen Diamanten – 1984) synchronisiert wird – der ist intelligent, ist aber nicht kräftig, ist aber dennoch so etwas wie ein Bundestrainer.
Hades ist großartig
Großartig und das eigentliche Zentrum des Films ist – einmal mehr – der Schurke im Stück. Unterweltboss Hades ist wunderbar animiert und hat die schönsten Dialogzeilen. Dazu ist er mit viel Liebe synchronisiert; in der Originalfassung tut das James Woods mit fistelndem Bass (Das Attentat – 1996; Nixon – 1995; Casino – 1995; Es war einmal in Amerika – 1984), in der deutschen Fassung Arne Elsholtz, der im Alltag Tom Hanks, Bill Murray, Kevin Kline oder Jeff Goldblum synchronisiert.
Auch Hades wurde Ziel Disney'scher Freiheiten. Der Gott der Unterwelt ist eigentlich ja gar kein Teufel, kein Feind des Zeus. Er ist einfach nur ein Gott, der seinen Job macht – da unten.
Megara, die klassische Eva am Baum der Versuchung
Hades‘ Gehilfen, Pain & Panic (deutsch: Pech & Schwefel), sind die komischen Figuren des Stücks, die alles falsch machen, ständig hässlich bestraft werden und dadurch Mitleid erregende, drollige Knirpse bleiben. Hier toben sich in der Synchronfassung herrlich die Comedians Stefan Jürgens und Mirco Nontschew aus.
Und dann ist da Megara, modisch „Meg“ abgekürzt, die Nemesis, die unschuldig in Not geratene Frau, die jung war und das Geld brauchte und also vom Baum der Versuchung genascht hat und Hercules verrät und von ihm (nach dem Abspann) zum Altar geführt wird. Sie ist die vom Drachen bewachte Prinzessin, die gerettet werden will. Sie ist Disney-Durchschnitt. Das beeindruckenste an dieser Megara ist ihre Frisur, eine statisch unmögliche Konstruktion, die aber griechisch anmutet.
Die Disney-Studios bleiben ihrer modernen Linie treu, wechseln mit ihren jährlichen Produktionen zwischen Elegisch und Gagreich. Vor dem Gagfeuerwerk um den griechischen Halbgott wurden mit Der Glöckner von Notre Dame (1996) die Freunde des romantischen Dramas, mit Pocahontas (1995) die der Mystik, mit König der Löwen (1994) die der geheimnisvollen Natur angesprochen. Davor hatte zuletzt Aladdin (1992) mit seinen schnellen Punchlines die Comedyfreunde bedient, die bei der großen Oper um Die Schönen und das Biest (1991) leer ausgegangen waren.
Kinoproduktionen aus der Reihe "Disneys Meisterwerke" ("Disney‘s Classics")
- Schneewittchen und die sieben Zwerge (1937)
- Pinocchio (1940)
- Fantasia (1940)
- Dumbo (1941)
- Bambi (1942)
- Saludos Amigos (1943)
- Drei Caballeros (1944)
- Make Mine Music (1946)
- Fröhlich, Frei, Spaß dabei (1947)
- Musik, Tanz und Rhythmus (1948)
- Die Abenteuer von Ichabod und Taddäus Kröte (1949)
- Cinderella (1950)
- Alice im Wunderland (1951)
- Peter Pan (1953)
- Susi und Strolch (1955)
- Dornröschen (1959)
- 101 Dalmatiner (1961)
- Die Hexe und der Zauberer (1963)
- Das Dschungelbuch (1967)
- Aristocats (1970)
- Robin Hood (1973)
- Die vielen Abenteuer von Winnie Puuh (1977)
- Bernard und Bianca – Die Mäusepolizei (1977)
- Cap und Capper (1981)
- Taran und der Zauberkessel (1985)
- Basil, der große Mäusedetektiv (1986)
- Oliver & Co. (1988)
- Arielle, die Meerjungfrau (1989)
- Bernard und Bianca im Känguruland (1990)
- Die Schöne und das Biest (1991)
- Aladdin (1992)
- Der König der Löwen (1994)
- Pocahontas (1995)
- Der Glöckner von Notre Dame (1996)
- Hercules (1997)
- Mulan (1998)
- Tarzan (1999)
- Fantasia 2000 (1999)
- Dinosaurier (2000)
- Ein Königreich für ein Lama (2000)
- Atlantis – Das Geheimnis der verlorenen Stadt (2001)
- Lilo & Stitch (2002)
- Der Schatzplanet (2002)
- Bärenbrüder (2003)
- Die Kühe sind los (2004)
- Himmel und Huhn (2005)
- Triff die Robinsons (2007)
- Bolt – Ein Hund für alle Fälle (2008)
- Küss den Frosch (2009)
- Rapunzel – Neu verföhnt (2010)
- Winnie Puuh (2011)
- Ralph reichts (2012)
- Die Eiskönigin – Völlig unverfroren (2013)
- Baymax – Riesiges Robowabohu (2014)
- Zoomania (2016)
- Vaiana – Das Paradies hat einen Haken (2016)
- Chaos im Netz (2018)
- Die Eiskönigin II (2019)
- Raya und der letzte Drache (2021)
- Encanto (2021)
- Strange World (2022)
- Wish (2023)