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Plakatmotiv: Strange World (2022)

Die Disney-Studios verzetteln sich
im Bemühen, alles richtig zu machen

Titel Strange World
(Strange World)
Drehbuch Qui Nguyen
Regie Don Hall + Qui Nguyen, USA 2022
Stimmen

Jake Gyllenhaal, Marius Clarén, Dennis Quaid, Matti Klemm, Jaboukie Young-White, Marco Eßer, Gabrielle Union, Dennenesch Zoudé, Lucy Liu, Anna Carlsson, Karan Soni, Manuel Straube, Francesca Reale, Lara Noodt, Adelina Anthony, Katy Karrenbauer, Jonathan Melo, Tom Raczko, Alan Tudyk, Axel Malzacher u.a.

aufgeführt sind US-amerikanische und deutsche Synchronstimmen

Genre Trickfilm, Abenteuer
Filmlänge 102 Minuten
Deutschlandstart
24. November 2022
Inhalt

Komplett umschlossen von einem unüberwindbaren Gebirge fristet das Land Avalonia ein abgeschiedenes Dasein. Doch der legendäre Abenteurer Jaeger Clade ist fest entschlossen, herauszufinden, was hinter den schneebedeckten Gipfeln liegt. Er schleppt sogar seinen Sohn Searcher mit auf die gefährliche Expedition, obwohl sich dieser mehr für die Landwirtschaft als für gefährliche Unternehmungen interessiert. Als Searcher tief in den Bergen eine Elektrizität erzeugende Pflanze findet, kommt es zum Zwist: Jaeger will weiter über die Berge, Searcher die Entdeckung zurückbringen.

25 Jahre später floriert Avalonia dank der Energie der zurückgebrachten Pflanze. Searcher arbeitet als Farmer mit seiner Frau Meridian, übersieht dabei aber, dass sein Sohn Ethan nicht in seine Fußstapfen treten will. Als die Energie-Pflanzen von einer mysteriösen Seuche befallen werden und zu verrotten drohen, bittet Bürgermeisterin Callisto Mal die Familie, tief ins Erdinnere zu reisen und dort nach der Ursache zu suchen.

Dort finden die Clades eine in wundersamen Farben leuchtende, von verschiedensten Kreaturen bevölkerte Welt, in der wirklich alles zu leben scheint …

Was zu sagen wäre

Es ist wahrlich eine fremde Welt, die uns "Strange World" präsentiert. Eigentlich sogar zwei fremde Welten. Sie sind prachtvoll, abwechslungsreich, voller wundersamer Kreaturen und halbwegs gefährlicher Monster. Als hätte Disney die Welt Pandora aus Avatar für Kinder nochmal neu erzählt. Tatsächlich gibt es sehr viel zu gucken auf der Leinwand und wäre ich in einem Museum, käme ich aus dem Staunen kaum mehr heraus. Das war 2009 bei Avatar ähnlich, als ganz viele Bilder und fremde Welten von einer ordentlichen Story zusammengehalten wurden.

Die ordentliche Story fällt in "Strange World" weg.

"Strange World" ist der jährliche Film für die ganze Familie aus dem Hause Disney, also die Produktion, in der einst Bambi, Das Dschungelbuch oder Der König der Löwen veröffentlich wurden. Es geht auch in "Strange World" um einen Vater-Sohn-Konflikt, und den in doppelt. Hier müssen sich Vater und Sohn an ihren Enttäuschungen und Erwartungen abarbeiten und der Sohn des Sohnes mit dem Sohn, vulgo seinem Vater; und dass der Sohn des Sohnes, vulgo Enkel eher nach seinem Großvater schlägt, macht die Sache für den Sohn und Vater nicht eben leichter. Diese Familienkonflikte löst der Film erwartbar im Verlauf seiner 90 Minuten (an die sich ein ungefähr 15-minütiger Abspann anschließt), Vater, Sohn, Enkel bekommen genügend Zeit und Gefahren, um sich gegenseitig einander zu beweisen. Die Mutter sowie die anderen Frauen fliegen unhandliche Schiffe, sind Bürgermeisterin oder Kämpferin und stehen vor allem der Handlung nicht im Wege. Auch die unvermeidliche Lovestory im Film findet diesmal zwischen zwei Jungs statt – die Disney-Studios sind mit "Strange World" in Fragen der Diversität ganz vorne dran. Und es gibt da noch etwas anderes, was der Film seinen Zuschauern vermitteln will.

In der Schlüsselszene des Films sitzen Vater Jaeger, Sohn Searcher und Enkel Ethan um einen Tisch und spielen ein Siedler- und Abenteuerspiel. Da machen Jaeger und Searcher keinen Punkt, weil sie in allem Fremden, was dieses Spiel anbietet, Monster und also Feinde erkennen, die es zu töten gelte. Teenager Ethan hingegen macht Punkt um Punkt, weil er sich die Monster anschaut und sich offenbar fragt, warum es diese in dieser Welt gibt (die Natur denkt sich ja immer was bei ihren Kreationen). Und während sich Jaeger und Searcher dann aufregen, dass es in diesem Spiel keine richtigen Bösewichte gibt („Das ist schlechtes Storytelling!“) und wie man denn da dann gewinnen können soll, erklärt Ethan die beiden Erwachsenen zu den wahren Bösewichten – schließlich fällt denen bei den Monstern der mysteriösen Welt, durch die sie da gerade reisen, auch erst mal nur das Töten ein. Was sich als kapitaler Fehler erweisen soll.

Die Grenzen der Welt, die Großvater Jaeger so dringend durchbrechen und erweitern möchte und die Welt, die Searcher und Ethan entdecken, als sie versuchen, die Energiequelle zu retten, mit der Searcher vor 25 Jahren seine Heimat technologisch in die Zukunft katapultierte, hängen zusammen, bedingen einander: Die Pflanzenenergie, die das Leben für Searchers Landsleute so bequem macht, zerstört den Planeten. Wenn also Searcher seine Energiequelle rettet, wird seine Welt sterben. Drehbuchautor Qui Nguyen schafft es, die aktuelle Klimakrisendebatte für Kinder in einem bunten Abenteuerfilm aufzubereiten.

Man kann dem Film nicht böse sein. Er macht alles hochprozentig richtig, spricht Hetero- und Homosexuelle an, verbindet Menschen unterschiedlicher Hautfarbe miteinander, wirft einen mahnenden Blick auf die Umwelthematik und entwirft wunderschöne Welten. Das einzige, was fehlt, ist Spannung. Die Storyline ist dünn, das Abenteuer von begrenzter Faszination. Plakatmotiv: Strange World (2022) Der Vater-Sohn-Konflikt löst sich auf – wie immer. Damit rechnen wir von Beginn an, hoffen auf Überraschungen auf dem Weg dahin, aber die bleiben aus. Das ist das Dilemma dieses Films: Er versucht, alle Überraschungen, die ja immer auch Unebenheiten im geraden Verlauf bedeuten, zu vermeiden, um nur ja niemanden zu brüskieren.

Das Problem dieses Films lautet "Wokeness". Teenager Ethan ist verliebt. Im Film gibt es eine lange Szene, in der wir das erfahren. Da trifft er auf seine Kumpels, die vom neuesten Spiel schwärmen, das gerade in den Handel gekommen ist – ein Abenteuerkartenspiel, nichts elektronisches – und es wird klar, dass Ethan in einen dieser Kumpels verliebt ist – und der augenscheinlich auch in ihn. Nur können sich das die beiden noch nicht eingestehen. So weit so gut, alle, selbst der 25 Jahre in der Wildnis verschollene Großvater, finden das völlig okay und im Kinosessel nehmen wir die Information "X liebt Y" halt mit; sie wird schon im Verlauf des Films eine Rolle spielen. Das haben wir gelernt: Jede gezeigte Szene in einem Film wird gezeigt, weil sie für den Film insgesamt noch eine Rolle spielen wird, sonst würde sie als überflüssiger Aufmerksamkeitsfresser aus dem Film geschnitten. Aus der beschriebenen Szene spielt das Abenteuerkartenspiel später nochmal eine Rolle, die homosexuelle Liebesgeschichte hingegen nicht. Warum also wird sie so hervorgehoben? In Schneewittchen (1937) war der Prinz, so fragwürdig uns das heute erscheinen mag, in Liebe für die alabsterfarbene tote Schönheit in diesem Glassarg entflammt. Deshalb küsste er sie. Und sie erwachte zu neuem, rosigen Leben. Aschenputtel (1950) wurde aus ihrem Sklavendasein erlöst, weil der Prinz in sie verliebt war. Kurz: In diesen Geschichten war die Liebe eine entscheidende oder sogar die zentrale Motivation. Im vorliegenden Film ist Ethan halt verliebt. Das ist nicht überraschend, Teenager sind häufiger verliebt, auch mal in jemanden gleichen Geschlechts. Die romantische Liebe in diesem Film erlöst aber niemanden, führt nirgendwo hin, erklärt niemandes Charakter und ist für die Erzählung völlig egal – beinhaltet aber eben zwei Jungs. Der milliardenschwere Konzern aus Kalifornien will offenbar und nicht nur an dieser Stelle ein Häkchen bei der Political Correctness setzen, anstatt einfach eine gute Geschichte zu erzählen.

Vielleicht ist diese Zeit einfach vorbei, aber der alte weiße Mann im Kinosessel trauert doch der Erhabenheit, der Eleganz, der Spannung nach, die die Disney-Studios in ihren – früher als "Meisterwerke" etikettierten – Filmen transportierten.

Wertung: 4 von 8 €uro
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