Norman Steele ("Sonny") war eine große Nummer beim Rodeo. Fünf Mal war er Weltmeister. Das ist lange her. Er ist so oft abgeworfen worden, hat sich so oft etwas gebrochen, dass Wettkämpfe schon lange nicht infrage kommen. Aber er hat sich finanziell gut in die Zeit danach gerettet. Heute ist er Werbeikone einer Marke für Frühstücksflocken. Dabei trägt er dann eine mit zahlreichen Glühlampen bedeckte Cowboy-Kluft.
Und er trinkt zu viel. Und ist geschieden. Sein Leben als Frühstücksflockenvorschmecker, wo er doch viel lieber Speck, Bohnen und Eier frühstückt, ergibt für ihn schon lange keinen Sinn mehr. Seine Ex-Frau sagt, er laufe doch nur noch durch die Gegend, um sich die Begräbniskosten zu sparen.
Vor einem wichtigen Werbeauftritt in Las Vegas bemerkt er, dass dem wertvollen Hengst Rising Star Beruhigungsmittel verabreicht werden. Sonny schnappt sich das Pferd und galoppiert davon. Die Fernsehreporterin "Hallie" Martin verfolgt seine Spur, um über die Geschichte zu berichten. Konzernchef Hunt Sears seinerseits, der gerade vor dem Abschluss eines Millionendeals steht und es da überhaupt nicht gebrauchen kann, dass ihm jemand öffentlich Tierquälerei unterstellt, schickt seine Leute los, um den Millionen Dollar teuren Hengst zu finden – und Sonny möglichst zu diskreditieren.
Auf der Flucht vor den Verfolgern und der Polizei (auf dem Weg nach Utah, wo Sonny das Pferd freilassen möchte), entwickelt sich zwischen ihm und der Reporterin, die Sonny aufgespürt und sich ihm schließlich angeschlossen hat, eine Romanze …
„Ein Mann suchte Amerika, doch er konnte es nirgends mehr finden“, hieß die pessimistische Prämisse zu Dennis Hoppers und Peter Fondas Easy Rider (1969). Zehn Jahre später – der Vietnamkrieg ist vorbei, der Watergate-Skandal nicht verarbeitet, aber gründlich analysiert – schickt Sydney Pollack den "Elektrischen Reiter" als Angebot an die Amerika-Sucher. Auch dieser Reiter sucht seine Heimat und findet sie lange nur im Whisky. Dann findet er Amerika da, wohin die Sehnsucht vor 100 Jahren die Pioniere schickte: in der Weite und Schönheit des Kontinents. Anders als bei Fonda/Hopper obsiegen bei Pollack nicht mehr die ultrarechten Rednecks, aber der moderne Großstädter gewinnt auch bei ihm keinen Blumentopf. Die avantgardistische Frau macht am Ende Karriere in einem kühlen, engen TV-Studio, in dem sie vor der Live-Kamera gerade noch einen Dank an den Cowboy formulieren kann, während der konservative Verfechter der alten Werte nochmal die großartigen Weiten des amerikanischen Mittelwestens erobert. Der Film macht kein Geheimnis, wem seine Sympathien gelten.
Mit einem unglaublichen Kameraflug verabschiedet sich Pollack ("Bobby Deerfield" – 1977; Die 3 Tage des Condor – 1975; "Yakuza" – 1974; Jeremiah Johnson – 1972; "Nur Pferden gibt man den Gnadenschuss" – 1969) von diesem lonesome Cowboy, der hitchhikend die Landstraßen entlang wandert, während die Kamera sich entfernt, abhebt und in einem grandiosen Panorama des mittleren Westens endet. Auch diese letzte Sequenz ist ein Zitat der Schlusssequenz aus Easy Rider.
Dieses neue Amerika pendelt zwischen Konsumrausch und Naturverbundenheit, zwischen High Tech und Lagerfeuer, personifiziert in Jane Fonda (Das China-Syndrom – 1979; "Coming Home" – 1978; "Klute" – 1971; "Nur Pferden gibt man den Gnadenschuss" – 1969; Barbarella – 1968; Ein Mann wird gejagt – 1966; "Cat Ballou" – 1965) und Robert Redford, die ihre stimmige Chemie schon vor 12 Jahren in Barfuß im Park ausspielen konnten. Die beiden bilden ein interessantes, modernes Paar, das einander findet, dann aber feststellt, dass ihre beider Leben, sozusagen die beiden Amerika-Entwürfe nicht zueinander passen.
Natürlich ist das Konsumrausch-Amerika das böse Amerika, da wimmelt es von tierquälenden, dunkelhaarigen, dunkeläugigen, dunkelanzugigen Männern, die nur an Geld denken und natürlich kann so eine Geschichte nur im potemkischen Neon-Dorf Las Vegas spielen. John Saxon ("10.000 PS – Vollgasrausch im Grenzbereich" – 1979; "Die Gewalt bin ich" – 1977; "Cop Hunter" – 1976) spielt mal wieder den aalglatten Kühlschrank. Pollack beweist auch in diesem Film seine große Klasse als filmischer Erzähler. In schnell geschnittene Sequenzen während des Titelvorspanns zeichnet er er das Leben des erfolgreichen Rodeo-Weltmeisters nach, der nach zahlreichen Stürzen heute eine Existenz als der kleinste Namen unten rechts auf den Plakaten irgendwelcher Showveranstaltungen fristet. Später, wenn Sonny das Pferd gestohlen und der Multikonzern die Diffamierungskampagne angeworfen hat, die das Land gegen den Pferdedieb aufbringt – für Pferdediebstahl wurde man vor 100 Jahren noch gehenkt – reichen Pollack ein paar Höreranrufe beim Radio auf der Tonspur seines Films („Der Mann hat das Pferd gerettet!“ „Kein Konzern hat das Recht, ein Tier mit Medikanenten vollzupumpen!“), um zu bebildern, dass sich die Stimmung im Land zugunsten des Cowboys gedreht hat.
Dieser Kniff mit den Anrufen ermöglichst es Pollack, bei seinem flüchtenden Paar zu bleiben, ohne komplizierte Storywendungen mit begeisterten Bürgern zu erfinden (in einem Diner zum Beispiel), die der Glaubwürdigkeit der Geschichte schaden, die Polizei auf ihre Fährte brächte und unnötig Zeit kosten würde. In Persona taucht der Stimmungsumschwung lediglich in Wilford Brimley auf ("Das China-Syndrom" – 1979), der einen Kurzauftritt als Farmer im Niemandsland mit großem Truck hat. Seine sympathische Brummeligkeit überspielt die Deus-ex-Machina-Funktion, die seine Rolle eigentlich ist
"The Electric Horseman" ist bestes Americana; glänzend gespieltes, gut aufgelegtes Kino, das die großartigen Panoramen amerikanischer Landschaften feiert, ein Neo-Western, der – untermalt von romantischen Country-and-Western-Balladen – noch einmal vom Leben in unberührter Natur und einem Amerika ohne Kommerz träumt.
Die Kinofilme mit Robert Redford
- Hinter feindlichen Linien (1962)
- Lage hoffnungslos - aber nicht ernst (1965)
- Verdammte süße Welt (1965)
- Ein Mann wird gejagt (1966)
- Dieses Mädchen ist für alle (1966)
- Barfuß im Park (1967)
- Butch Cassidy und Sundance Kid (1969)
- Schussfahrt (1969)
- Blutige Spur (1969)
- Stromer der Landstraße (1970)
- Vier schräge Vögel (1972)
- Jeremiah Johnson (1972)
- Bill McKay – Der Kandidat (1972)
- Cherie Bitter / So wie wir waren (1973)
- Der Clou (1973)
- Der große Gatsby (1974)
- Tollkühne Flieger (1975)
- Die drei Tage des Condor (1975)
- Die Unbestechlichen (1976)
- Die Brücke von Arnheim (1977)
- Der elektrische Reiter (1979)
- Brubaker (1980)
- Der Unbeugsame (1984)
- Jenseits von Afrika (Out of Africa, 1985)
- Staatsanwälte küsst man nicht (1986)
- Havanna (1990)
- Sneakers – Die Lautlosen (1992)
- Ein unmoralisches Angebot (1993)
- Aus nächster Nähe (1996)
- Der Pferdeflüsterer (1998)
- Die letzte Festung (2001)
- Spy Game – Der finale Countdown (2001)
- Anatomie einer Entführung (2004)
- Ein ungezähmtes Leben (2005)
- Von Löwen und Lämmern (2007)
- The Company You Keep – Die Akte Grant (2012)
- All Is Lost (2013)
- Captain America: The Winter Soldier (2014)
- Picknick mit Bären (2015)
- Der Moment der Wahrheit (2015)
- Elliot, der Drache (2016)
- The Discovery (2017)
- Unsere Seelen bei Nacht (2017)
- Ein Gauner & Gentleman (2018)
- Avengers: Endgame (2019)
Die Regiearbeiten von Robert Redford fürs Kino
- Eine ganz normale Familie (1980)
- Milagro – Der Krieg im Bohnenfeld – (1988)
- Aus der Mitte entspringt ein Fluss (1992)
- Quiz Show (1994)
- Der Pferdeflüsterer (1998)
- Die Legende von Bagger Vance (2000)
- Von Löwen und Lämmern (2007)
- Die Lincoln Verschwörung (2010)
- The Company You Keep – Die Akte Grant (2012)
Die Kinofilme von Regisseur Sydney Pollack
Sydney Irwin Pollack (* 1. Juli 1934 in Lafayette, Indiana; † 26. Mai 2008 in Los Angeles) war ein US-amerikanischer Filmregisseur, -produzent und Schauspieler sowie mehrfacher Oscar- und Golden-Globe-Preisträger.
Sein Leinwanddebüt als Filmschauspieler gab er 1962 mit dem Kriegsfilm "Hinter feindlichen Linien", bei dem auch Robert Redford debütierte. Seitdem waren beide befreundet und Redford war in zahlreichen Filmen Pollacks Hauptdarsteller, nachdem Pollack hinter die Kamera gewechselt hatte. Pollack gehört neben John Frankenheimer, der ihm den Wechsel ins Regiefach nahelegte, Franklin J. Schaffner, George Roy Hill und Martin Ritt, zu den Filmemachern, die Anfang der 1960er Jahre vom Fernsehen ins Kino drängten und dort für frischen Wind sorgten. 1985 erreichte er mit dem mit insgesamt sieben Oscars ausgezeichneten Liebesdrama Jenseits von Afrika den Höhepunkt seines Schaffens. 1973 war Sydney Pollack Mitglied der Jury beim Filmfestival in Cannes und 1986 Präsident der Jury.
Pollack galt als einer der intelligentesten Regisseure und war vor allem bei Schauspielern sehr beliebt. Er beherrschte viele Genres und gilt als einer der erfolgreichsten Vertreter der konservativen Hollywood-Ästhetik,
- Stimme am Telefon (The Slender Thread, 1965)
- Dieses Mädchen ist für alle (This Property Is Condemned, 1966)
- Mit eisernen Fäusten (The Scalphunters, 1968)
- Der Schwimmer (The Swimmer, 1968)
- Das Schloss in den Ardennen (Castle Keep, 1969)
- Nur Pferden gibt man den Gnadenschuss (They Shoot Horses, Don't They?, 1969)
- Jeremiah Johnson (1972)
- So wie wir waren – Cherie Bitter (The Way we were, 1973)
- Yakuza (The Yakuza, 1974)
- Die 3 Tage des Condor (The three Days of the Condor, 1975)
- Bobby Deerfield (1977)
- Der elektrische Reiter (The Electric Horseman, 1979)
- Die Sensationsreporterin (Absence of MAlice, 1981)
- Tootsie (1982)
- Jenseits von Afrika (Out of Africa, 1985)
- Havanna (1990)
- Die Firma (The Firm, 1993)
- Sabrina (1995)
- Begegnung des Schicksals (Random Hearts, 1999)
- Die Dolmetscherin (The Interpreter, 2005)
- 2005: Sketches of Frank Gehry (Dokumentarfilm, 2005)
- Amazing Grace (Dokumentarfilm, 2015)
<Nachtrag 2016> Das Frauenbild, das Sydney Pollack im "Elektrischen Reiter" zeichnet, würde heute zu Protesten vor den Kinos und und Shitstorms bewegter Frauen in den Sozialen Medien führen. Heute würden Produzenten ein solches Frauenbild in einem A-Picture wie diesem gar nicht mehr durchgehen lassen. Da würde die TV-Reporterin entweder die müßige Karriere an den Nagel hängen, wahrscheinlicher aber wäre, dass sie bei einem Live-Report von den französischen Präsidentschaftswahlen (von dem sie in Pollacks Film erzählt) vor dem Eiffelturm-Panorama stehen und irgendeine Weisheit in ihre Reportage einbauen, die sie durch den Cowboy gelernt hat – um den besonderen amerikanischen Bezug zu behalten würde sie vielleicht sogar vor dem Panorama des Kapitols in Washington über den Wahlausgang in den USA berichten.
Beide Möglichkeiten würden die einzigartige Stimmung des Films zerstören. "Der elektrische Reiter" ist ein Kind seiner Zeit, 1979 – einer Zeit, in der der Kampf um Gleichberechtigung noch lange nicht so weit ausgefochten war, wie er das in der zweiten Dekade des 21. Jahrhunderts ist. Die kalten Konzerninteressen, der Kampf um das Pferd, der Medienrummel, all das könnte man heute noch genauso erzählen – natürlich mit digital aufgeppten, in satten Farben strahlenden Panoramen. Die von Pollack großartig inszenierte und geschnittene Verfolgung des gallopierenden Reiters durch mehrere Polizeifahrzeuge würde heute noch wilder und krachiger. Aber am Ende bliebe dann noch einer dieser Filme, die man bei Zu-Bett-gehen schon wieder vergessen hat.
In gewisser Weise thematisiert der "Reiter" schon, was heute zur Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten führte: die Unvereinbarkeit von Küstenvolk und Country-Volk.</Nachtrag 2016>