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Plakatmotiv: Eine ganz normale Familie (1992)

Eine Familie erstickt an ihrem Schweigen.
Großes Regiedebüt von Robert Redford

Titel Eine ganz normale Familie
(Ordinary People)
Drehbuch Alvin Sargent
nach dem gleichnamigen Roman von Judith Guest
Regie Robert Redford, USA 1980
Darsteller

Donald Sutherland, Mary Tyler, Judd Hirsch, Timothy Hutton, M. Emmet Walsh, Elizabeth McGovern, Dinah Manoff, Fredric Lehne, James Sikking, Basil Hoffman, Quinn K. Redeker, Mariclare Costello, Meg Mundy, Elizabeth Hubbard, Adam Baldwin u.a.

Genre Drama
Filmlänge 124 Minuten
Deutschlandstart
6. März 1981
Inhalt

Die wohlhabende Familie Jarrett lebt in einer Villa in einem gepflegten Vorort. Die Eltern spielen gerne Golf, der Sohn ist Mitglied im Schwimm-Team seiner Schule – ganz normale Menschen möchte man meinen, wenn nicht der Tod des ältesten Sohnes Buck wie ein Fluch auf der Familie lasten würde.

Bei einem Segeltörn gerieten er und sein jüngerer Bruder Conrad in einen Sturm. Das kleine Segelschiff kenterte und nur Conrad überlebte das Unglück. Seitdem hat Conrad Schuldgefühle, die durch das Verhalten seiner Mutter noch verstärkt werden: Beth Jarrett, die ihren erstgeborenen Sohn über alles liebte und immer dem jüngeren vorzog, versucht, den inneren Schmerz über den Verlust ihres Lieblingskindes durch äußerliche Gefasstheit und Gefühlskälte zu überspielen, und gibt insgeheim Conrad die Schuld an dem Unglück, der nach einem Selbstmordversuch aus der Klinik entlassen wieder nach Hause kommt.

Auch von ihrem Ehemann Calvin entfremdet sich Beth immer mehr. Während Conrad Gehör bei Dr. Berger, einem Psychiater, findet und seiner unterdrückten Angst und Wut allmählich freien Lauf lässt, will Beth weiterhin die Fassade der ganz normalen Familie aufrechterhalten und versucht, jeden Konflikt zu vermeiden …

Was zu sagen wäre

Robert Redford hat sich für sein Regiedebüt einen ordentlichen Brocken vorgenommen: die Verfilmung eines Romas mit giftigen Dialogen, aber wenig Figurenzeichnung. Mehr als zwei Jahre sollen er und sein Drehbuchautor Alvin Sargent in das Script investiert haben. Es hat sich gelohnt.

Redford portraitiert eine Familie mit Geschichte. Das erfährt man erst mit der Zeit. Wenn wir die Familie Jarrett kennenlernen, ist da nichts, was nicht in jeder Familie, die wir kennen, nicht auch so oder ähnlich stattfindet. Väter, die auf Kumpel machen. Mütter, die auf das Bild der Familie in der Nachbarschaft achten. Jungs, die über die Stränge schlagen. Das heißt: Hier ist es nur ein Junge. Der andere ist tot. Die genauen Umstände schälen sich nach und nach hervor, während wir dieser Familie dabei zusehen, wie sie aneinander vorbei lebt.

Denn die heile Fassade ist so heile gar nicht. Es hat einen Unfall mit dem Segelboot gegeben. Die beiden Jungs waren allein unterwegs, haben nicht aufgepasst, das Boot kenterte, der ältere ertrinkt. Seitdem verharrt die Familie in so einer Art Schockstarre, sperrt Gefühle aus, spielt Normalität. Die drei – Mutter, Vater, Sohn – sprechen nicht miteinander. Sie reden aneinander vorbei, aber nie miteinander. Der überlebende Bruder schneidet sich lieber die Pulsadern auf, als sich den Eltern zu öffnen. Redford, den die Romanvorlage gereizt hat, weil sie ihn an seine Kindheit erinnert, nimmt die Perspektive dieses gequälten Jungen, Conrad, ein, der sich nicht nur für den Tod des Bruders verantwortlich fühlt sondern auch für das harsche, Gefühle verbergende auftreten der Mutter. Der junge Timothy Hutton ist eine Entdeckung. Aus sich heraus kommt er nur bei Karen, einer Freundin, die wie er einen Suizidversuch hinter sich hat, und bei Dr. Berger, einem Psychiater, der dem Jungen zumutet, was der nicht kennt: Er hört zu und bringt Conrad dazu, sich und seine Schuldgefühle zu hinterfragen.

Robert Redford nimmt sich zwei Stunden Zeit für sein stilles Drama, das ohne viel Musik auskommt, und entblättert nach und nach die kaputten Gefühlswelten der Familie. Mary Tyler Moore spielt Mutter Beth immer beherrscht mit einem Vibrieren um den Mund, dass die hohe Konzentration andeutet, die es benötigt, nicht zu auffällig die Zähne zusammenzubeißen, denn das könnte ja den Nachbarn auffallen; großartig, wie Tyler Moore die Fassade der fröhlichen Nachbarin aufrecht hält, der alles leicht von der Hand geht – was sie alle Kraft kostet. Ihr Mann Calvin hingegen ist ein Grübler, der seinen Sohn nicht erreicht und nicht merkt, dass ihm seine Ehe entgleitet. Ihn spielt Donald Sutherland rührend linkisch mit akkurat gezogenem Scheitel ("Bäreninsel in der Hölle der Arktis" – 1979; "Die Körperfresser kommen" – 1978; Ich glaub', mich tritt ein Pferd – 1978; Kentucky Fried Movie – 1977; Der Adler ist gelandet – 1976; "Fellinis Casanova" – 1976; 1900 – 1976; "Der Tag der Heuschrecke" – 1975; Wenn die Gondeln Trauer tragen – 1973; "Klute" – 1971; Stoßtrupp Gold – 1970; M.A.S.H. – 1970; Das dreckige Dutzend – 1967).

"Ordinary People" ein ein außergewöhnlicher Film in dieser Zeit, die im Kino von Raumschiffen und Märchengestalten beherrscht wird. Plötzlich werden wir mit einem Zerrbild unserer selbst konfrontiert, souverän inszeniert von einem Mann, der vor der Kamera das Image des Sonnyboys auch in ernsthaften Rollen nicht abstreifen kann. Auf dem Regiestuhl erweist er sich als präziser Beobachter und feingliedriger Erzähler.

Wertung: 7 von 9 D-Mark
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