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Plakatmotiv: All is lost (2013)

Die Einsamkeit des sterbenden Seefahrers.
Robert Redford macht sich unentbehrlich

Titel All is lost
(All is Lost)
Drehbuch J.C. Chandor
Regie J.C. Chandor, USA 2013
Darsteller

Robert Redford

Genre Drama
Filmlänge 106 Minuten
Deutschlandstart
9. Januar 2014
Website all-is-lost.de
Inhalt

Mitten auf dem indischen Ozean wird ein Mann aus dem Schlaf gerissen. Seine zwölf Meter lange Segelyacht hat einen im offenen Meer treibenden Schiffscontainer gerammt. Sein Navigations-Equipment und sein Funkgerät versagen in der Folge den Dienst und er treibt mitten in einen gewaltigen Sturm hinein.

Der Mann kann das Leck in seinem Boot notdürftig flicken. Den Sturm überlebt er dank seiner seemännischen Intuition und Erfahrung. Aber das Boot ist Schrott, der Mast gebrochen, läuft es langsam voll. Praktisch manövrierunfähig treibt der Mann auf offener See. Seine letzte Hoffnung ist es, von der Strömung in eine der großen Schiffahrtsstrecken getrieben zu werden.

Unter der unerbittlich sengenden Sonne, sieht sich der sonst so selbstbewusste und erfahrene Segler mit seiner eigenen Sterblichkeit konfrontiert und kämpft einen verzweifelten Kampf ums Überleben …

Was zu sagen wäre

„All is Lost“, schreibt der namenlose Mann zu Beginn in einem kurzen Brief an … wen auch immer, wir wissen es nicht. Wir erfahren es auch nicht. Der Mann und seine Welt bleiben namenlos, entscheidend ist nur das Hier und Jetzt. Das Drama beginnt sechs Tage früher und der Film geht in eine Rückblende. Gesprochen wird nicht mehr viel. einmal schreit „Our Man“ seine ganze Verzweiflung in die See mit einem lauten „Fffffuuuuuuck!“ Das Drehbuch soll nur 30 Seiten umfasst haben. Kein Wunder.

Robert Redford sitzt mit vielen seiner Rollen im Boot

J.C. Chandor (Margin Call – 2011) schönt nichts, metaphert nichts, er guckt bloß. Und er kann das tun, weil er Robert Redford hat (Die Akte Grant – The Company You Keep – 2012; Spy Game – 2001; Die letzte Festung – 2001; Der Pferdeflüsterer – 1998; Aus nächster Nähe – 1996; Sneakers - Die Lautlosen – 1992; Havanna – 1990; Staatsanwälte küsst man nicht – 1986; Brubaker – 1980; Bill McKay – Der Kandidat – 1972). Ohne ihn und seine eigene sehr lebendige, engagierte Vita würde der Film wahrscheinlich gar nicht funktionieren – es gibt vielleicht drei vier andere Hollywood-Männer, denen man freiwillig 100 Minuten beim stummen Kampf gegen die Elemente zusehen würde – Eastwood vielleicht, De Niro eventuell … wir brauchen dieses Wissen über Redford und seine Filme. Wo wir nichts wissen über den Mann auf dem Boot, außer, dass er offenbar ein harter Mann ist, der seine möglicherweise letzten Zeilen an die Menschheit mit „I am sorry“ einleitet, und dass er gute nautische und handwerkliche Fähigkeiten hat, gepaart mit einem klaren, wachen Verstand, der ihn jeweils tun lässt, was jetzt getan werden muss, füllen wir die stummen Szenen des Mannes mit dem, was wir über ihn (zu) wissen (glauben) und plötzlich sitzt da Jeremiah Johnson im Boot, der einsame Trapper, den Redford 1972 gespielt hat – ähnlich einsam. Bob Woodward sitzt im Boot, der verbissene Rechercheur gegen Nixon (1976), Der elektrische Reiter (1979) in seinem verzweifelten Kampf wider den Ausverkauf des Westens und Joseph Turner, der junge Agent in den 3 Tagen des Condor (1975).

Viele Redford-Figuren begleiten uns durch die Einsamkeit auf hoher See und Robert Redford, der große Mann des Independent Kinos, der große Charming Boy des 70er-Jahre Kinos, liefert als Verlorener auf hoher See eine phantastische Kür; die aber nur gelingen kann, weil wir von der Integrität dieses unbekannten Mannes im Boot von vorneherein überzeugt sind, wir uns seine Aufrichtigkeit einbilden, die er in all diesen Filmen gezeigt hat und deshalb können wir mit „Our Man“ (so heißt er im Abspann) mitfiebern, an ihn glauben, um ihn bangen. Er ist ja schließlich Redford. Brad Pitt zum Beispiel, in den 1990er Jahren so eine Art Alter Ego Redfords, könnte man noch nicht auf so einen Trip schicken: zu jung, zu unscharf die Rollenauswahl, zu unscharf dadurch der Charakter. Redford zeigt auch – das darf man, glaube ich, ohne böse zu sein erwähnen – den Verfall seines 77 Jahre alten, einstigen Strahlekörpers, zeigt die Anstrengungen, die es diesen Körper kostet, auch scheinbar einfache Dinge wie das Erklettern von Hindernissen zu bewerkstelligen, zeigt aber auch, wie dieser Körper noch den Mast hochklettert. Respekt!

Es ist ernüchternd, wenn nach diesem Ein-Personen-Film der Abspann nach fünf Minuten noch immer nicht zu Ende ist und zweite und dritte Assistenten in den verschiedenen Gewerken genannt werden, wo 100 Minuten die perfekte Illusion herrschte: Da sind Redford, der Regisseur und zwei Kameraleute am Set … mehr nicht. Denkste. Dabei sind nur die erwähnenswert plus Pete Beaudreau, der den Film geschnitten hat und viel dazu beiträgt, dass uns im Kino nicht langweilig wird. Beaudreaus Schnitt ist nicht hektisch, aber flott. Lange Einstellungen gibt es nicht, das wäre bei John P. Goldsmiths Bildern, die notgedrungen sehr wacklig sind, auch schwierig.

Ein packender Film mit Ärgernissen

„All is Lost“ ist ein packender Film. Die Studie eines Mannes, der einen zähen Kampf ums Überleben führt, einbricht, verzweifelt, weiter kämpft, nicht aufgibt. Sehr ruhig. Und nicht immer stimmig. Ich brauche nicht jede Wendung des Mannes auf dem Boot, zwei drei Anekdoten seines Könnens weniger würden nicht auffallen und der Film hätte erträglichere 90 Minuten. Ich verstehe nicht, wieso die Kamera immer wieder unter Wasser taucht und uns das Boot von unten zeigt. Da hat sie nicht zu suchen, das ergibt in dieser subjektiven Erzählweise keinen Sinn. Ein andermal schwebt die Kamera plötzlich weit in den Himmel und zeigt uns das einsame Boot auf dem Ozean aus der Vogelperspektive. Einfach mal so als dramaturgischer Trenner. Das sind kleine Ärgernisse in einem sonst ausgezeichneten Film, der in der letzten halben Stunde sicher am schönsten ist, wenn „Our Man“ die Schiffahrtsstraße kreuzt und mehrere gigantische Tanker achtlos stumm an ihm vorbei fahren – seelenlose Stahlgiganten, ferngesteuerte Blutkörperchen in den Lebensadern der globalisierten Gesellschaft. Da ist der Film ganz bei sich, wird die Einsamkeit des Mannes erst wirklich spürbar.

Es ist der zweite Film innerhalb von nur ein paar Monaten, der die Einsamkeit thematisiert. Der andere, Gravity, spielte oben im ähnlich leeren Weltraum, in dem Trümmer die katastrophe auslösen. Da ist eine kleine Gegenbewegung zum Hollywood des Action-FX-Films, in deren Filmen nach zehn effektreichen Minuten die Welt untergegangen ist und es dann so richtig los geht. Wir schreiben das Jahr 2014, die Filmindustrie steckt seit Jahren in einem Dilemma, das mit dem der 70er Jahre vergleichbar ist, in denen Erfolgsrezepte zu Tode gedreht wurden und alles auf the next big thing wartete, was dann Scorsese, Coppola, Lucas und Spielberg erschufen. Die 150-Millionen-Dollar-Movies aus dem Sommer 2013 („After Earth“, OblivionElysium, Lone Ranger, White House Down usw.) sind an der Kinokasse allesamt gescheitert. Und sicher werden es nicht Filme über einsame Männer auf großer See sein, die die ausbleibenden Millionen bringen; der vorliegende soll etwa 9 Millionen Dollar gekostet haben, hatte am 18. Oktober 2013 seinen US-Start und bis Mitte März 2014 erst 6,3 Millionen Dollar weltweit eingespielt.

Aber deren Macher bringen frischen Wind nach Hollywood und kehren hoffentlich mal ordentlich durch.

Wertung: 5 von 7 €uro
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