Der weltbekannte Filmstar und Mythos Fedora ist tot. Der unabhängige Filmproduzent Barry Detweiler reist zu dem für die Öffentlichkeit aufgebahrten Leichnam und erinnert sich der vorangegangenen zwei Wochen: Detweiler suchte die völlig zurückgezogen lebende Diva auf einer kleinen Insel bei Korfu in der Villa Kalypso auf, um sie für einen Film zu gewinnen. Obwohl sie eine ältere Dame von 67 Jahren sein müsste, tritt sie ihm jugendfrisch konserviert gegenüber, ebenso schön wie 1947, als sich beide zum ersten Mal bei Dreharbeiten begegnet sind und zusammen eine Liebesnacht am Strand verbracht haben.
Ihr kleiner Kreis von Vertrauten, die im Rollstuhl sitzende Gräfin Sobryansky, die argwöhnische Krankenschwester Miss Balfour und der bizarr auftretende plastische Chirurg Dr. Vando, tun alles, um Fedora vor Fremden abzuschirmen, und kontrollieren dabei jeden ihrer Schritte. Detweiler kann sich nur wundern, dass offenbar auch Fedoras Seelenleben und Liebesbedürfnisse auf dem Stand einer sehr viel jüngeren Frau stehengeblieben sind. Außerdem soll sie drogenabhängig sein.
Detweiler gelingt es, allein zu ihr vorzudringen und sein Angebot zu unterbreiten. Fedora schöpft daraufhin Hoffnung, ihrem Exil und der Überwachung auf Korfu entfliehen zu können. Als sie von ihrer Entourage aber nach Paris verschleppt wird, endet ihr Leben auf einem Vorortbahnhof, wo sie sich vor einen einfahrenden Zug wirft. Für die Fans und die Presse wird die Beerdigung des Stars von der Gräfin in ihrem Palais in Paris nach allen Regeln der Kunst inszeniert.
Detweiler erfährt in einem letzten Gespräch mit der Gräfin schließlich Fedoras wahre Geschichte …
Das Filmgewerbe lebt vom Schein, vom Glanz der Oberfläche. Gräfin Sobryansky nennt dass „stets bereit zu sein für die Großaufnahme“. Niemand will die dunklen Winkel kennen. „Das Publikum hatte es satt, was man ihm da als Unterhaltung anbot. Cinema Verité, die nackte Wahrheit, je hässlicher umso besser. Sie wollten wieder Glamour. Und wer war ich, sie zu enttäuschen?“, fragt Fedora.
Billy Wilder hat so eine Art Sunset Boulevard (1950) auf links gedreht inszeniert. Schon damals ließ er William Holden (Network – 1976; Flammendes Inferno – 1974; The Wild Bunch – 1969; Casino Royale – 1967; Der letzte Befehl – 1959; Die Brücke am Kwai – 1957; Sabrina – 1954) in den Bann einer alten Diva stolpern. Wilders Norma Desmond war damals altersmäßig nicht mehr vermittelbar und im Wahn „bereit für die Großaufnahme“.
Für die heutige Fedora ist die letzte Großaufnahme die entscheidende. Dafür tut sie alles. Hollywood ist 28 Jahre später weiter: Wenn die Legende gewahrt werden soll, geh' zum Schönheitschirurgen. Wir kennen den Satz leicht abgewandelt aus John Fords Western Der Mann, der Liberty Vallance erschoss (1962): „Wenn die Legende zur Wahrheit wird, druck die Legende!“ „Ich werde Ihnen sagen, was eine Legende am besten kleidet“, ätzt Fedora. „Sich selbst nicht zu überleben. Die Monroe und die Harlow, die waren glücklicher dran.“
In diesem Satz steckt Marlene Dietrich, Greta Garbo; in diesem Satz steckt das gesamte Studiosystem aus den alten Schwarz-Weiß-Zeiten, das sich nach außen ein so rührend familientaugliches, moralisch einwandfreies Image verpasste und im Inneren verkommen und korrupt war. „Wie nannte man das damals? Moralische Verworfenheit. Man konnte sechs Ehemänner haben, aber bloß kein uneheliches Kind. Heute kann man sechs Kinder haben, aber keinen Ehemann. Wen schert's?“
Wilders Boulevard der Dämmerung rechnete mit dem Studiosystem ab, das Menschen aussortierte, wenn sie nicht mehr der Erwartungshaltung des Publikums entsprachen. Am Ende seiner Karriere nun rechnet Billy Wilder mit dem Nachfolger ab, dem System Hollywood. Genauso gnadenlos. Noch kälter. Es geht über Leichen, um den Schein zu wahren.
Erzählt wird die Geschichte in Rückblenden. Der lakonische Tonfall William Holdens aus dem Off erinnert an den von Humphrey Bogart in Die barfüßige Gräfin (1954), der ähnlich zynisch mit dem Filmgeschäft umging. Da steht am Anfang immer die geldwerte Idee, dass Menschen Sehnsucht nach Stars haben, weil Alltag haben sie daheim schon genug. Auch in den drei A Star is Born-Varianten, die für das Kino schon gedreht worden sind, ist das ja Thema. Angeblich wollen die Menschen die Sterne am Himmel glänzen sehen. Also zeigen die Studios ihnen die funkelndsten, makellosesten Sterne. Daraus formt sich eine enorme Eitelkeit bei diesen Sternen, weil sie vom Nektar der Bravorufe gar nicht genug bekommen – in A Star is Born geht dafür schließlich jemand ins Wasser, die barfüßige Gräfin hält dem Druck irgendwann nicht mehr stand und Fedora wird deshalb zum Monster. Marlene Dietrich, der Wilder die Rolle der Gräfin Sobryansky auch angeboten hat, zog sich, ebenso wie Greta Garbo ab einem gewissen Zeitpunkt ganz aus der Öffentlichkeit in Wohnungen mit zugezogenen Vorhängen zurück. Und natürlich feuern die Studios die Eitelkeit an und werden damit stinkreich.
Wäre der Film als Anklage gegen dieses System erzählt, wäre er fehl am Platz. Alle arbeiten freiwillig in diesem System, niemand muss sich dem aussetzen. Und natürlich nähren sich Billy Wilder, William Holden, Marthe Keller, Hildegard Knef (Die Sünderin – 1951; Die Mörder sind unter uns – 1946), Henry Fonda (Mein Name ist Nobody – 1973; Sie möchten Giganten sein – 1971; Nur noch 72 Stunden – 1968; Spiel mir das Lied vom Tod – 1967; Höchster Einsatz in Laredo – 1966; Die Panzerschlacht in den Ardennen – 1965; Das war der Wilde Westen – 1962; Der längste Tag – 1962; Sturm über Washington – 1962; Der Stern des Gesetzes – 1957; Die 12 Geschworenen – 1957; Der falsche Mann – 1956; Krieg und Frieden – 1956; Faustrecht der Prärie – 1946; Ritt zum Ox-Bow – 1942; Rache für Jesse James – 1940; Früchte des Zorns – 1940; Trommeln am Mohawk – 1939; Der junge Mr. Lincoln – 1939; Jesse James – Mann ohne Gesetz – 1939), Mario Adorf und die anderen an diesem Film Beteiligten ganz bis sehr gut von diesem System.
Statt dessen blickt Billy Wilder nüchtern auf seine Figuren und erzählt mit schönen Bildern im sonnigen Griechenland eine zunehmend düsterer und kälter werdende Geschichte. Das wirkt zu Beginn, wenn wir noch nicht wissen, wohin sich der Film entwickelt, beinah zäh, weil wir natürlich glauben, alles schon gesehen zu haben und also Bescheid zu wissen. Die erste halbe Stunde schauen wir großen Stars im sonnigen Griechenland zu. Auch nicht so schlecht. Für den mittlerweile 72-jährigen Billy Wilder ist dieser Abgesang auf Hollywood, auf das Kino alter Schule, also auch auf sein Kino ein souveränes Alterswerk, das er zwischen Satire und Grusel schweben lässt.
Die Figur der Fedora in der Original-Kurzgeschichte von Tom Tryon scheint auf Elementen der Biografien und Karrieren von Marlene Dietrich, Greta Garbo, Gloria Swanson und Corinne Griffith zu beruhen. Billy Wilder verlegte den zeitlichen Rahmen der Geschichte um mehrere Jahrzehnte. Tryons Fedora beginnt ihre Karriere in den frühen 1910er Jahren, in Billy Wilders Film ist die jüngere Fedora ein großer Star zur Zeit des Zweiten Weltkriegs. Ursprünglich war Faye Dunaway die Rolle der Fedora angeboten worden. Die Rolle ging schließlich an Marthe Keller, die sowohl die junge als auch die alte Fedora spielen sollte. Da dies nicht möglich war, weil eine Kopfverletzung beim Anbringen von speziellen Make-up-Teilen starke Schmerzen auslöste, beschloss Billy Wilder, die Rolle der alten Fedora getrennt zu besetzen. Hierfür wurde Hildegard Knef engagiert. Auch Marlene Dietrich soll gefragt worden sein, die Gräfin Sobryansky zu spielen.
In der deutschen Synchronfassung wird die junge Fedora nicht von der deutschsprachigen Marthe Keller (sie ist Schweizerin), sondern ebenfalls von Hildegard Knef gesprochen.
Sowohl Buch als auch Film sind mit zahlreichen Anspielungen auf die technische Seite der diversen Verjüngungsprozeduren gespickt: Professor Serge Voronoff und seine Affenhoden-Implantate werden ebenso erwähnt, wie es auch Hinweise auf die Frischzellen-Therapie nach Paul Niehans und seine Klinik La Prairie gibt.
Regisseur Billy Wilder auf der Leinwand
Billy Wilder (* 22. Juni 1906 als Samuel Wilder in Sucha, Galizien, damals Österreich-Ungarn, heute Sucha Beskidzka, Polen; † 27. März 2002 in Los Angeles, Kalifornien) war ein US-amerikanischer Drehbuchautor, Filmregisseur und Filmproduzent österreichischer Herkunft.
Wilder wirkte stilbildend für die Genres Filmkomödie und -drama. Sein Werk umfasst mehr als 60 Filme, die in einem Zeitraum von über 50 Jahren entstanden sind. Er wurde als Autor, Produzent und Regisseur 21-mal für einen Oscar nominiert und sechsmal ausgezeichnet. Allein bei der Oscarverleihung 1961 wurde er als Produzent, Drehbuchautor und Regisseur für den Film Das Appartement dreifach ausgezeichnet, was bis heute nur insgesamt sieben Regisseuren widerfahren ist.
- Böse Brut (Mauvaise graine, 1934)
- Der Major und das Mädchen (The Major and the Minor, 1942)
- Fünf Gräber bis Kairo (Five Graves to Cairo, 1943)
- Frau ohne Gewissen (Double Indemnity, 1944)
- Das verlorene Wochenende (The Lost Weekend, 1945)
- Die Todesmühlen (Death Mills, 1945)
- Ich küsse Ihre Hand, Madame (The Emperor Waltz, 1948)
- Eine auswärtige Affäre (A Foreign Affair, 1948)
- Boulevard der Dämmerung (Sunset Boulevard, 1950)
- Reporter des Satans (Ace in the Hole, 1951)
- Stalag 17 (1953)
- Sabrina (1954)
- Das verflixte 7. Jahr (The Seven Year Itch, 1955)
- Lindbergh – Mein Flug über den Ozean (The Spirit of St. Louis, 1957)
- Ariane – Liebe am Nachmittag (Love in the Afternoon, 1957)
- Zeugin der Anklage (Witness for the Prosecution, 1957)
- Manche mögen’s heiß (Some Like It Hot, 1959)
- Das Appartement (The Apartment, 1960)
- Eins, Zwei, Drei (One, Two, Three, 1961)
- Das Mädchen Irma la Douce (Irma la Douce, 1963)
- Küss mich, Dummkopf (Kiss Me, Stupid, 1964)
- Der Glückspilz (The Fortune Cookie, 1966)
- Das Privatleben des Sherlock Holmes (The Private Life of Sherlock Holmes, 1970)
- Avanti, Avanti! (Avanti!, 1972)
- Extrablatt (The Front Page, 1974)
- Fedora (1978)
- Buddy Buddy (1981)