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Plakatmotiv: Lindbergh – Mein Flug über den Ozean (1957)
Eine sympathische Heldengeschichte
aus der amerikanischen Provinz
Titel Lindbergh – Mein Flug über den Ozean
(The Spirit of St. Louis)
Drehbuch Billy Wilder + Wendell Mayes + Charles Lederer
nach dem gleichnamigen autobiographischen Buch von Charles A. Lindbergh
Regie Billy Wilder, USA 1957
Darsteller James Stewart, Murray Hamilton, Patricia Smith, Bartlett Robinson, Marc Connelly, Arthur Space, Charles Watt u.a.
Genre Abenteuer, Biografie
Filmlänge 135 Minuten
Deutschlandstart
24. Mai 1957
Inhalt

Der Film schildert das Abenteuer der ersten Alleinüberquerung des Atlantiks von New York nach Paris ohne Zwischenlandung durch den berühmten Flieger Charles Lindbergh. Die Handlung beginnt am 20. Mai 1927, dem Abend vor dem Start. Lindbergh denkt in Rückblicken über seine bisherige fliegerische Laufbahn als Farmflieger und Armeepilot, als Fluglehrer und Postflieger sowie über die Schwierigkeiten beim Bau und der Finanzierung seines Flugzeuges für den Abenteuerflug über den Atlantik nach.

Schließlich hebt er nach einem schwierigen Start auf dem Roosevelt Field in Long Island ab und ist fortan über viele Stunden ganz allein in der winzigen Flugzeugkabine der „Spirit of St. Louis“. Immer wieder muss er in der Einsamkeit über wichtige Ereignisse in seinem Leben nachdenken. Schließlich entdeckt er eine Fliege im Cockpit, die als einziges Lebewesen mit ihm an Bord ist, und beginnt sich mit ihr zu unterhalten.

Unterwegs schläft er schließlich ein und verliert die Orientierung. Die Maschine vereist und droht abzustürzen …

Was zu sagen wäre

Wenn Gott gewollt hätte, dass wir fliegen, hätte er unsere Knochen so hohl gemacht wie unseren Kopf!“, zitiert Flugzeugkonstrukteur Bud Gurney seinen Vater und beschreibt damit anschaulich, auf welchem Level Fliegen damals gedacht wurde. Billy Wilder erzählt von Pionieren, von Unternehmern, die eine Idee hatten und diese umsetzen wollten, gegen alle Widerstände. Er singt ein Loblied auf die Provinz, wo diese Geschichte ihren Ausgang nimmt – in St Louis, Missouri, wo Männer mit Idealen – Bankiers, Verleger, Bürgermeister – sich für eine Idee begeistern, die im fernen New York sofort in ihre wirtschaftlichen Bestandteile zerlegt und belächelt wird.

Als Lindbergh im kalifornische San Diego eintrifft, brutzelt der Entwicklungschef für das beauftragte Flugzeug im Hangar Fisch. Es geht hemdsärmelig zu – anders als im bürokratisierten New York, soll das signalisieren – Pilot, Konstrukteure und Arbeiter freunden sich schnell an, arbeiten Hand in Hand; hier feiert Wilder, der gebürtige Wiener, der vor den Nazis in die USA floh, den amerikanischen Unternehmergeist: Alle haben gemeinsam ein Ziel und weil es Konkurrenten gibt, sind alle bereit, ohne weitere Bemerkungen, hart zu arbeiten, Stolz in das selbst Gefertigte zu investieren; alle sind mit großem Herz bei der Sache, die Musik schlägt Purzelbäume, wir erleben die Konstruktion eines Flugzeugs im Schnelldurchlauf und in allem mittendrin der ungemein sympathische James Stewart, der dem Film mit seiner einfachen Begeisterung Seele gibt.

Dieser Held ist ein optimistischer Jedermann, einer, der sicher ist, alles erreichen zu können, auch den Flug zu schaffen, weil er sich als Junge, damals war er der Kleinste, auch schon vorgenommen hatte, mal 1,87 groß zu werden und das habe er schließlich auch geschafft „plus 2 cm“. Lindbergh konnte nur werden, was er wurde, weil er seiner eigenen Idee folgte und sich auch nicht vom großartigen US-Militär einnorden ließ. James Stewart, obwohl in seiner Paraderolle als Everybody's Darling, ist nicht die Idealbesetzung – Lindbergh machte seinen Flug im Alter von 25 Jahren, Stewart ist Ende 40 (ursprünglich war James Dean für die Rolle vorgesehen. Er wäre genau im richtigen Alter gewesen, starb aber vorher bei einem Autounfall).

Seit Reporter des Satans (1951) lässt sich an Billy Wilder eine kritische Haltung zum Yellow-Press-Journalismus erkennen. Die baut er auch in diesen Film ein, wenn sie im Hotel lungern, darauf wartend, dass der Pilot endlich sein Flugzeug besteigt und fliegt und solange er das nicht tut, Stimmungsberichte in ihre Schreibmaschinen hämmern, die den Piloten im Hotelzimnmer darüber nicht schlafen lassen: „Vor einer Woche wussten sie nicht, dass ich existiere. Und heute bin ich in vier unterschiedlichen Städten geboren. Plötzlich bin ich der Einsame Adler, der Fliegende Narr.“ Unten schreiben sie derweil, der Mann, der wegen des Geklappers nicht schalfen kann, schlafe den Schlaf der Gerechten.

Hier beginnt der Film, schwierig zu werden: Einerseits wissen wir, das Lindbergh damals heil in Paris angekommen ist. Andererseits sitzt Lindbergh fast zwei Tage ununterbrochen im engen Cockpit. Das ist wenig für einen Kinofilm in Cinémascope. Billy Wilder löst das geschickt, in dem er eine lineare Erzählung – und dann und dann und dann – durch Rückblenden ersetzt, die er in die fortschreitende Handlung – Warten auf bessseres Wetter, Vorbereitung, der Flug – montiert. Außerdem spielt Wilder mit der Tonspur sowie einer Stubenfliege.

Nachdem Lindbergh in New York abgehoben hat, kommt die schönste, weil einfühlsamste Szene des Films: Wie erklärt man Drama? Wie macht man klar, dass eine Nation fiebert? Klar, man kann Schlagzeilen kreiseln lassen wie damals in den 30er Jahren üblich. Wilder macht das so: Nachdem der sehr lange Startvorgang nur mit Originalton, Dialogen aber ohne Musik gezeigt wurde, packt nach dem Start nun Linberghs Freund und Cheftechniker Ben Mahoney im Hotelzimmer alles zusammen und telefoniert mit Chefkonstrukteur Donald Hall, der vor Freude ein Kissen zerreißt und in fröhlich tänzelnden Daunen badet; in Lindberghs Flughafen-Cafeteria kontrolliert der Koch anhand einer aufgemalten roten Linie an einer Wand mit Astloch (das wir ganz am Anfang schon mal als Paris erklärt bekommen haben) die zurückgelegte Strecke; im Zug sitzt ein Mädchen, das dem Piloten einen dringend benötigten Schminkspiegel geschenkt hat, will sich schminken, als ihr auffällt, dass sie ja keinen Spiegel mehr hat, Richtung Himmel schaut, lächelt, und halt einen Wandspiegel nimmt, der im Zug angebracht ist, während ein Hosenträger-Vertreter vorbei geht (den wir zu Beginn des Films schonmal gesehen haben), der eine Zeitung mit der Schlagzeile „Lindy is off!“ liest – dies alles zeigt Wilder nach der musiklosen Startsequenz nun ohne Originalton, nur mit Musik. Der Effekt auf die Stimmung, auf die Haltung ist immens! Helden-Kino auf den Punkt. Tränen, Gänsehaut, Pathos, aber ohne dröhnenden Schwulst. Ganz Amerika ist ganz bei seinem Pionier und dabei so bescheiden wie die sympathischen Menschen aus der Provinz.

Dann gibt es da noch eine Stubenfliege: Wilder erhöht die Unterhaltung, indem er Lindbergh mit einer Stubenfliege reden lässt und dabei die Frage diskutiert, wie sich das Gewicht eines Flugzeugs verändert, wenn eine Fliege irgendwo sitzt oder wenn sie fliegt. Damit gibt er dem Zuschauer anschauliches Physikwissen, das für die Pioniere dieser Zeit überlebenswichtig war. Lindbergh spricht viel mit sich selbst in der zweiten Hälfte des Films. Möglich, dass die Sätze aus der dem Film zugrunde liegenden Autobiografie übernommen sind, vor allem aber hilfft der innere Monolog dem Zuschauer bei der Einordnung des Geschehens – und außerdem ist es sehr wahrscheinlich, dass der Pionier in seiner zweitägigen, riskanten Einsamkeit das Gespräch mit sich selbst als Ablenkung gesucht hat.

Es passt zu diesem bescheiden auftretenden Heldengesang, dass das Finale sehr zurückgenommen ist. Statt Fanfaren, Feuerwerk, Umarmungen, Gratulationen gibt es eine begeisterte Menschenmasse in Paris und dann noch kurz Wochenschaumaterial einer Konfettiparade in New York. Das war's. Obwohl doch so viel mehr war.

Wertung: 4 von 6 D-Mark
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