Paul Biegler, der langjährige Bezirksstaatsanwalt einer kleinen Gemeinde in Michigan, hat kürzlich seinen Posten an seinen Konkurrenten Mitch Lodwick verloren. Seitdem widmet er sich hauptsächlich seinen Leidenschaften Fischen und Jazzmusik. Er nimmt nur nur kleine Fälle an, um sich über Wasser zu halten, und philosophiert ansonsten mit seinem Freund Parnell Emmett McCarthy, ebenfalls ein versierter Jurist, der aber dem Alkohol verfallen ist, über theoretische Rechtsfragen.
Da fällt ihm plötzlich ein interessanter Fall zu. Frederick Manion, Leutnant in der örtlichen Garnison, hat den Barbesitzer Barney Quill erschossen, weil der seine Frau Laura in einem abgelegenen Waldstück vergewaltigt haben soll. Bieglers Gegner in dem Verfahren, Bezirksstaatsanwalt Mitch Lodwick, holt sich den erfahrenen Ankläger Claude Dancer aus der Hauptstadt Lansing zu Hilfe. Paul Biegler bittet seinen Freund Parnell, ihn zu unterstützen, allerdings muss dieser ihm versprechen, dem Alkohol zu entsagen.
An der Täterschaft von Lt. Manion bestehen zwar keine Zweifel, aber Anwalt Biegler will mit Hilfe seines Freundes nachweisen, dass er aufgrund der Vergewaltigung seiner Frau in einem emotionalen Ausnahmezustand war, der die Tat entschuldbar macht. Die Ankläger ziehen jedoch in Zweifel, ob Lt. Manions Ehefrau tatsächlich vergewaltigt wurde. Da es ihnen nicht gelingt, diesen Sachverhalt aus der Verhandlung herauszuhalten, wollen sie im Laufe der Verhandlung bei den Geschworenen den Eindruck erwecken, dass die Frau dem Barbesitzer im Vorfeld der Tat Avancen gemacht oder gar eine Affäre mit ihm hatte und Lt. Manion ihn deshalb aus Eifersucht erschoss …
Zwei Stunden, vierzig Minuten. Den Titel trägt dieser Film zurecht. Es ist die Anatomie eines Mordes, die Otto Preminger ("Der Mann mit dem goldenen Arm" – 1955; Fluss ohne Wiederkehr – 1954) in allen Details durchspielt bis zum Urteilsspruch. Er geriert sich dabei nicht als neutraler Beobachter, nicht als 13. Geschworener; die Sympathien sind klar verteilt. Hier Paul Biegler, der sympathische Anwalt, der seine Ambitionen abgelegt hat, gerne abends in Jazzkneipen mit Duke Ellington (der hier Pie Eye heißt) am Klavier sitzt und den seine mütterliche Sekretärin so schätzt, dass sie auch ohne regelmäßige Bezahlung für ihn arbeitet. Dort Claude Dancer, der scharfe Oberstaatsanwalt aus der großen Kreisstadt, dessen Ruf eines brillanten, aber scharfzüngigen Juristen ihm vorauseilt – sein Kollege Mitch Lodwick, der Paul Biegler seinen Stuhl in der Staatsanwaltschaft genommen hat, ist eine zu vernachlässigende Größe in diesem juristischen Spiel, er ist dem Fall offensichtlich nicht gewachsen.
Es stehen sich also gegenüber: James Stewart (s.u.) und der versierte TV-Akteur George C. Scott, der hier in seiner erst zweiten Kinorolle auftritt. Es ist ein Fest, den beiden zuzuschauen, wie sie die heißblütigen, spitzfindigen Dialoge spielen, die Wendell Mayes ihnen geschrieben hat und die Preminger mit ruhiger, unauffälliger Hand und zurückkhaltender Kamera inszeniert.
Sie verhandeln über einen heißblütigen, impulsiven Mann in Uniform, dessen Frau auffäliig die Nähe der Männer um sie herum sucht; das macht sie verdächtig – auch dem Zuschauer. Wenn aber Staatsanwalt Dancer der Frau nach allen Regeln männlicher Überheblichkeit frivoles Verhalten unterstellt, angeblich aufreizende Gesten als Einladung an Männer interpretiert, sie nach Gusto „zu nehmen“, wird dem Zuschauer schnell klar, dass er sich hat aufs Glatteis führen lassen. Ja, Lee Remick (Der lange heiße Sommer – 1958) spielt diese Ehefrau aufreizend und immer zum Flirt bereit. Ja, und? Und Ben Gazzera als ihr angeklagter Ehemann hat sie schon geprügelt. Darf er deshalb nicht ausrasten, nachdem, was seiner Frau angetan wurde? Das Buch liefert uns auf der Anklagebank – anders in Verteidigung und Staatsanwaltschaft – keine klaren Gut-Böse-Schablonen und überlässt es dem Zuschauer, sich seine Meinung zu bilden – als jener 13. Geschworene.
Zwischen diese vier Pfeiler seines Films hat Otto Preminger charmante Ruhepole gesetzt: Eve Arden spielt die loyale Sekretärin mit dem mütterlichen Touch. Sie würde niemals so auftreten wie die Frau des Angeklagten, steht dafür aber mit beiden Beinen im Leben. Arthur O'Connell spielt den alten, dem Alkohol zuneigenden Partner von James Stewart, der zu gleichen Teilen Pflegekind wie Ersatzvater für den unverheirateten Paul ist. Und dann ist da Joseph N. Welch, dem die in Gerichtsfilmen immer spezielle Rolle des Richters zufällt, der streng, gütig, borniert, gelangweilt, ermahnend – aber immer fair – die Streihähne im Zaum halten muss.
Sie alle spielen ihre schwierigen Parts in diesem Dialogfilm mit Bravour. Sie sind präsent, beherrschen ihre Rolle und liefern in ihren Szenen viele schöne Miniaturen.
Der Film war 1960 in sieben Kategorien für den Oscar nominiert, wurde aber in keiner Kategorie ausgezeichnet:
- Film: Otto Preminger
- Hauptdarsteller: James Stewart
- Nebendarsteller: Arthur O'Connell
- Nebendarsteller: George C. Scott
- Drehbuch (adaptiert): Wendell Mayes
- Kamera (s/w): Sam Leavitt
- Filmschnitt: Louis R. Loeffler
Kleine Beobachtung am Rande: In dem Hotel, in dem der erschossene Barbesitzer gewohnt hat, vertreibt sich ein Nachtportier die Zeit, indem er Leon Uris' Roman "Exodus" liest. Nach "Anatomie eines Mordes" hat Otto Preminger als nächstes Projekt 1960 eben dieses Buch verfilmt – mit Paul Newman (Der lange heiße Sommer – 1958; Die Katze auf dem heißen Blechdach – 1958) und Eva Marie Saint (Der unsichtbare Dritte – 1959) in den Hauptrollen.
James Stewart im Kino
James „Jimmy“ Maitland Stewart (* 20. Mai 1908 in Indiana, Pennsylvania; † 2. Juli 1997 in Beverly Hills, Kalifornien) war ein US-amerikanischer Schauspieler, der als einer der populärsten und erfolgreichsten Stars der Filmgeschichte gilt. Zwischen 1934 und 1991 hatte Stewart fast 100 Film- und Fernsehauftritte.
Seinen Durchbruch erreichte er Ende der 1930er-Jahre durch Frank Capras Komödien „Lebenskünstler“ und „Mr. Smith geht nach Washington“. Stewart verkörperte meistens den leicht unsicheren, bodenständigen und oftmals idealistischen Durchschnitts-Amerikaner. Ab den 1950er-Jahren spielte er zunehmend auch Charakterrollen mit düsteren Facetten, darunter in den Western von Anthony Mann und John Ford. Mit Alfred Hitchcock drehte Stewart einige der bedeutendsten Kriminalfilme der Filmgeschichte. 1941 gewann er den Oscar als bester Hauptdarsteller für die Screwball-Komödie „Die Nacht vor der Hochzeit“, außerdem erhielt er 1985 einen Ehrenoscar. Er wurde ebenfalls unter anderem mit zwei Golden Globes, dem Goldenen Ehrenbären sowie der Presidential Medal of Freedom ausgezeichnet.
- Der Mann für Mord (The Murder Man, 1935)
- Rose-Marie (1936)
- Next Time We Love (1936)
- Seine Sekretärin (Wife vs. Secretary, 1936)
- Kleinstadtmädel (Small Town Girl, 1936)
- Speed (1936)
- The Gorgeous Hussy (1936)
- Zum Tanzen geboren (Born to Dance, 1936)
- Dünner Mann, 2. Fall (After the Thin Man, 1936)
- Im siebenten Himmel (Seventh Heaven, 1937)
- Der letzte Gangster (The Last Gangster, 1937)
- Seekadetten (Navy Blue and Gold, 1937)
- Of Human Hearts (1938)
- Vivacious Lady (1938)
- Engel aus zweiter Hand (The Shopworn Angel, 1938)
- Lebenskünstler (You Can’t Take It with You, 1938)
- Ein ideales Paar (Made for Each Other, 1939)
- Tanz auf dem Eis (The Ice Follies of 1939, 1939)
- Mr. Smith geht nach Washington (Mr. Smith Goes to Washington, 1939)
- Drunter und drüber (It’s a Wonderful World, 1939)
- Der große Bluff (Destry Rides Again, 1939)
- Rendezvous nach Ladenschluss (The Shop Around the Corner, 1949)
- Tödlicher Sturm (The Mortal Storm, 1940)
- Keine Zeit für Komödie (No Time for Comedy, 1940)
- Die Nacht vor der Hochzeit (The Philadelphia Story, 1940)
- Komm, bleib bei mir (Come Live with Me, 1941)
- Pot o’ Gold (1941)
- Mädchen im Rampenlicht (Ziegfeld Girl, 1941)
- Winning Your Wings (1942)
- Ist das Leben nicht schön? (It’s a Wonderful Life, 1946)
- Fremde Stadt (Magic Town, 1947)
- Kennwort 777 (Call Northside 777, 1948)
- On Our Merry Way (1948)
- Cocktail für eine Leiche (Rope, 1948)
- Isle of Fury (1936)
- Startbahn ins Glück (You Gotta Stay Happy, 1948)
- Malaya (1949)
- The Stratton Story (1949)
- Mein Freund Harvey (Harvey, 1950)
- Der gebrochene Pfeil (Broken Arrow, 1950)
- Winchester '73 (1950)
- Abenteuer eines Pechvogels (The Jackpot, 1950)
- Die Reise ins Ungewisse (No Highway in the Sky, 1951)
- Die größte Schau der Welt (The Greatest Show on Earth, 1952)
- Meuterei am Schlangenfluss (Bend of the River, 1952)
- Stärker als Ketten (Carbine Williams, 1952)
- Nackte Gewalt (The Naked Spur, 1953)
- Die Todesbucht von Louisiana (Thunder Bay, 1953)
- Die Glenn Miller Story (The Glenn Miller Story, 1954)
- Über den Todespass (The Far Country, 1954)
- Das Fenster zum Hof (Rear Window, 1954)
- In geheimer Kommandosache (Strategic Air Command, 1955)
- Der Mann aus Laramie (The Man from Laramie, 1955)
- Der Mann, der zuviel wusste (The Man Who Knew Too Much, 1956)
- Die Uhr ist abgelaufen (Night Passage, 1957)
- Lindbergh – Mein Flug über den Ozean (The Spirit of St. Louis, 1957)
- Vertigo – Aus dem Reich der Toten (Vertigo, 1958)
- Meine Braut ist übersinnlich (Bell, Book And Candle, 1958)
- Anatomie eines Mordes (Anatomy of a Murder, 1959)
- Geheimagent des FBI (The FBI Story, 1959)
- Der Kommandant (The Mountain Road, 1960)
- Zwei ritten zusammen (Two Rode Together, 1961)
- Der Mann, der Liberty Valance erschoss (The Man Who Shot Liberty Valance, 1962)
- Mr. Hobbs macht Ferien (Mr. Hobbs Takes a Vacation, 1962)
- Das war der Wilde Westen (How the West Was Won, 1962)
- In Liebe eine 1 (Take Her, She’s Mine, 1963)
- Cheyenne (Cheyenne Autumn, 1964)
- Geliebte Brigitte (Dear Brigitte, 1965)
- Der Mann vom großen Fluss (Shenandoah, 1965)
- Der Flug des Phoenix (The Flight of the Phoenix, 1965)
- Rancho River (The Rare Breed, 1966)
- Die fünf Vogelfreien (Firecreek, 1968)
- Bandolero! (1968)
- Geschossen wird ab Mitternacht (The Cheyenne Social Club, 1970)
- Die Gnadenlosen (Fool’s Parade, 1971)
- The Shootist – Der letzte Scharfschütze (The Shootist, 1976)
- Verschollen im Bermuda-Dreieck (Airport ’77, 1977)
- Unsere Lassie (The Magic of Lassie, 1978)
- Der Fremde im Regenwald (Afurika monogatari, 1980)