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Plakatmotiv: Die 12 Geschworenen (1957)

Treffsicher geschriebene Dialoge
mit brillanten Schauspielern

Titel Die 12 Geschworenen
(12 Angry Men)
Drehbuch Reginald Rose
Regie Sidney Lumet, USA 1957
Darsteller

Henry Fonda, Lee J. Cobb, Martin Balsam, John Fiedler, E.G. Marshall, Jack Klugman, Edward Binns, Jack Warden, Joseph Sweeney, Ed Begley, George Voskovec, Robert Webber, Rudy Bond, Tom Gorman, James Kelly, Billy Nelson, John Savoca, Walter Stocker u.a.

Genre Drama, Krimi
Filmlänge 96 Minuten
Deutschlandstart
14. August 1957
Inhalt

Die Beweisaufnahme ist beendet, der Gerichtssaal leert sich, der wegen Vatermordes angeklagte junge Mann wird in seine Zelle zurückgebracht. Nun ist es an den zwölf Geschworenen, in ihrem Beratungszimmer über das Schicksal des Angeklagten zu entscheiden. Aufgrund der Beweislage scheint der Fall klar. Alle Zeugen belasten den jungen Mann, der seine Unschuld beteuert: Ein alter Mann, der in der Wohnung unter dem Opfer wohnt, will den Fall eines schweren Körpers gehört haben; eine andere Zeugin behauptet sogar, den Mord von der gegenüberliegenden Straßenseite aus beobachtet zu haben. Trotzdem stimmen nur elf der Geschworenen sofort für das Urteil "schuldig".

Der Geschworene Nr. 8 nämlich ist ganz und gar nicht von der Täterschaft des Angeklagten überzeugt. Und er ist nicht bereit, im Zweifelsfall gegen einen Menschen zu entscheiden, wenn dabei dessen Leben auf dem Spiel steht. Er verlangt, dass man den Fall noch einmal in Ruhe diskutiert. Es kommt zu einer hitzigen Debatte, in deren Verlauf sich immer mehr Geschworene der Haltung von Nr. 8 anschließen. Allerdings hat jeder der Geschworenen ganz eigene Gründe dafür, seine Meinung zu ändern. Nr. 9 zum Beispiel schließt sich Nr. 8 an, weil ihm dessen Haltung imponiert. Nr. 7 und Nr. 10 lassen sich von den schlüssigen Argumenten ihres Mitgeschworenen überzeugen, wieder ein anderer will schlichtweg die langwierige Diskussion verkürzen, aus Angst sein Baseballspiel zu verpassen.

Nur einer der Männer, der Geschworene Nr. 3, bleibt eisern bei seiner Meinung, dass der Angeklagte schuldig gesprochen werden müsse …

Was zu sagen wäre

Zwölf Männer. Ein enger Raum. Ein aufziehendes Gewitter. Ein Frage auf Leben und Tod. Das Gewitter, das vor den Fenstern des stickigen Raumes heraufzieht und die explosive, sich steigernde Dramatik der Situation im Raum symbolisiert, hat für Regisseur Sidney Lumet einen visuellen Nebeneffekt. Sein Kameramann lässt den Raum zunehmend dunkler werden. Äußerlich erklärt sich das durch die aufziehenden Gewitterwolken, innerlich lässt das die räumliche Situation enger erscheinen, klaustrophobisch. Die Kamera rückt den Männern auf den Pelz. Lumet ist ein versierter Regisseur bei Fernsehfilmen, der hier seine erste Kinoregie vorlegt. Hauptdarsteller und Co-Produzent Henry Fonda hatte innausgewählt, weil Lumet in dem Ruf steht, sich an Budget und Drehzeit zu halten. Nach umfangreichen Proben konnte der Film dann in 21 Drehtagen fertiggestellt werden.

Der Film entfesselt ein Gesellschaftspanorama. Vordergründig geht es um einen nur zweifelhaft geklärten Mord in einer billigen Gegend, für den sich kaum einer der Protagonisten wirklich interessiert. Plakatmotiv: Die 12 Geschworenen (1957) Es ist heiß. Es ist spät. Ein Baseballspiel wartet. Eigentlich wollen alle nach Hause – weiß man doch, dass Typen in so einer Gegend, so einer wie der Angeklagte, gerne mal ihren Vater ermorden, diese halbstarken Flegel! Unter den zwölf Geschworenen gibt es die Wortführer, die Krakeler, die Mitläufer, die ängstlich Schweigsamen, Vorverurteilen und die Bürokraten, die erst einmal für die korrekte Sitzordnung sorgen. Als dann in die allgemeine Euphorie über den zu erwartenden Schuldspruch der Mit-Geschworenen der Geschworene Nummer 8 seine Zweifel anmeldet, da fordern die anderen nicht etwa ihn auf, zu erklären, worin diese bestehen. Nein, die Elf setzen sich hin und erklären dem Abweichler, was wirklich passiert sei und was die Beweise ja auch eindeutig belegen würden. Hier spiegelt das Drama, das Reginald Rose für ein einstündiges Live-Fernsehspiel geschrieben und für diesen Film um eine halbe Stunde verlängert hat, die Realität draußen vor der Tür: Wer anderer Meinung ist, wird von der herrschenden Meinung rasch niedergebrüllt. Nummer 8 legt aber betont gar keinen Wert darauf, Recht zu haben. Das betont er immer wieder und schlägt so eine Schneise der Unsicherheit in die Phalanx der lautstarken und Wortführer. Nummer 8 legt lediglich Wert auf die Feststellung, dass er einen „begründeten Zweifel“ hege und diesen auszuräumen oder zu bestätigen sei seine Aufgabe und die der Kollegen im Raum.

Es ist in der Tat erschreckend, was für gesammelte Zweifel der schnell nicht mehr einsame Geschworene Nummer 8 aufzählt. Es scheint, dass der Pflichtverteidiger des Angeklagten, über dessen Schicksal die Geschworenen zu befinden haben, seine Arbeit noch lustloser angegangen ist, als die anderen elf Geschworenen. Nach einem kurzen Prolog im Gerichtssaal verlässt der Film nicht ein einziges Mal den Raum der zwölf Geschworenen. Dennoch bekommt der Zuschauer ein sehr plastisches Bild der Mordnacht mit all den fragwürdigen Zeugenaussagen und Unstimmigkeiten quer über eine Hochbahn hinweg. Laufend kommen neue Entlastungszweifel auf den Tisch. Am Ende aber lässt der Film offen, ob der Angeklagte, gerade 18 Jahre alt, nun ein Mörder ist oder nicht. Diese Frage stellt der Film nicht. Es geht lediglich um Wissen und Gewissen von Geschworenen – wenn sie einen berechtigten Zweifel haben, dürfen sie einen Angeklagten nicht schuldig sprechen.

Im Raum versammelt ist eine Riege großartiger Schauspieler. Als große Kontrahenten stehen sich Henry Fonda als smarter Zweifler – Nummer 8 – und Lee J. Cobb als knurriger Prügelvater – Nummer 3 – gegenüber. Cobb spielt den zornigen, vom Leben verbitterten Mann mit der ganzen Erfahrung seiner 20-jährigen Karriere (Die Faust im Nacken – 1954). Wenn er mit zusammengepressten Lippen berichtet, wie er seinen Sohn mit Schlägen erzogen hat, ahnt man, wie er zu dem 18-jährigen Angeklagten steht: „Ich habe einen Mann aus ihm gemacht! Mit 16 ist er abgehauen. Ich habe ihn seit zwei Jahren nicht mehr gesehen.Plakatmotiv: Die 12 Geschworenen (1957) Henry Fonda glänzt in seiner Paraderolle als Zweifler, der durch diese Zweifel zu guten Amerikaner wird (Der falsche Mann – 1956; Krieg und Frieden – 1956; "Bis zum letzten Mann" – 1948; Faustrecht der Prärie – 1946; Ritt zum Ox-Bow – 1942; Rache für Jesse James – 1940; Früchte des Zorns – 1940; Trommeln am Mohawk – 1939; Der junge Mr. Lincoln – 1939; Jesse James – Mann ohne Gesetz – 1939). Nummer 8 will, dass wir genau hinsehen, bevor wir ein Urteil fällen. Er trifft auf lauter Amerikaner, die sich für die wahren Pioniere halten, weil sie glauben zu wissen, wie es zugeht in der Welt – der Garagenbesitzer, der Jungs wie den Angeklagten alle paar Wochen rausschmeißt, weil die nicht spuren. Der charmante Schwätzer, dem das Schicksal eines Einzelnen völlig egal ist, solange er rechtzeitig ins Stadion kommt. Der ordentliche Büromann, der doch alle Beweise gesehen und gehört hat. Immer wieder gut die Kamera ganz nah ran an die Gesichter, filmt sie mit langer Brennweite, was in der Enge des Raumes dazu führt, dass die bildfüllend angeschnittenen Gesichter mit der vertäfelten Wand im Hintergrund zu verschmelzen scheinen. Ein visueller Effekt, der einzelne Sätze betont und Gedanken sichtbar macht.

90 Minuten stecken wir zusammen mit den Geschworenen in dem brütend heißen, stickigen Raum und wollen dennoch keine Minute früher raus. Zu spannend sind all die Zweifel, die uns Henry Fonda vorlegt, zu aufregend sind die treffsicher geschriebenen Wortgefechte der brillant inszenierten Zwölf. Sidney Lumet hat gleich mit seinem ersten Kinofilm ein Meisterstück abgeliefert, das für drei Oscars nominiert war (Film, Regie, Drehbuch) und später in seiner Karriere gezeigt, dass seine hier gezeigte Kunst kein Strohfeuer war ("Angriffsziel Moskau" – 1964; "Der Anderson Clan" – 1971; "Sein Leben in meiner Gewalt" – 1973; Serpico – 1973; Mord im Orient-Express – 1974; Hundstage – 1975; Network – 1976; "Equus – Blinde Pferde" – 1977; "Prince of the City" – 1981; "The Verdict – Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit" – 1982; Family Business – 1989; Tödliche Fragen – 1990; Gloria – 1999; Find Me Guilty – Der Mafiaprozess – 2006;).

Wertung: 7 von 7 D-Mark
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