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Plakatmotiv: Don't Look Up (2021)

Mit zwei Menschen und vielen Klischees
entblößt der Film menschlichen Irrsinn

Titel Don't Look Up
(Don't Look Up)
Drehbuch Adam McKay & David Sirota
Regie Adam McKay, USA 2021
Darsteller

Leonardo DiCaprio, Jennifer Lawrence, Meryl Streep, Cate Blanchett, Rob Morgan, Jonah Hill, Mark Rylance, Tyler Perry, Timothée Chalamet, Ron Perlman, Ariana Grande, Kid Cudi, Himesh Patel, Melanie Lynskey, Michael Chiklis, Tomer Sisley, Paul Guilfoyle, Robert Joy u.a.

Genre Komödie, Drama
Filmlänge 148 Minuten
Deutschlandstart
24. Dezember 2021 (Streaming)
Inhalt

Ein riesiger Asteroid rast auf die Erde zu, groß genug, die Bevölkerung restlos auszulöschen. So lauten zumindest die Warnungen der beiden Astronomen Kate und Randall, die sich mit ihren bahnbrechenden Erkenntnissen an die Öffentlichkeit wagen und eine Katastrophe vermeiden wollen.

Doch niemand interessiert sich für die Behauptungen der beiden Wissenschaftler, deren Belege und Thesen als unbestätigte Randnotiz verhallen.

Um sich dennoch Gehör zu verschaffen, begeben sich Randall und Kate auf große Medientour. Selbst Präsidentin Orlean steht auf der Liste der Wissenschaftler. Das ungewöhnliche Duo gibt sich redlich Mühe, die Erdbevölkerung auf das drohende Unheil aufmerksam zu machen. Aber sind ihre zahlreichen Berechnungen und Prognosen wirklich korrekt oder jagen sie nur einer Katastrophe hinterher, die sie selbst kreieren wollen …

Was zu sagen wäre

Die Bedrohung für den Planeten Erde trifft auf eine US-Präsidentin, die armen Menschen rät, einfach bessere Lottozahlen zu tippen, wenn sie nicht weiter arm sein wollen. Die Rettung der Menschheit hängt von Menschen ab, die erst noch die merkantilen Chancen dieser Bedrohung für sich nutzen wollen, bevor sie einfach so zerstört wird. Die Sportpresse zeigt auf ihrem Hochglanztitel einen gigantischen Football, der als Komet in die Atmosphäre der Erde eindringt und fragt sorgenvoll, ob es wohl einen Super Bowl wird geben können.

Anders ausgedrückt: Das Ende der Menschheit ist nahe und die Menschen tun, was sie am besten können: Supermärkte plündern, weil man schließlich Lebensmittel braucht, bevor die Infrastruktur zum Teufel geht, und gegen die Diktatur der Wissenschaft wettern, weil die einem das Feierabendbier versaut.

Regie führt Adam McKay, der in seinen bisherigen Filmen gezeigt hat, dass er großen Spaß daran hat, den menschlichen Charakter in all seinen Fehlbarkeiten zu sezieren, im Guten wie im Schlechten (Vice: Der zweite Mann (2018); The Big Short – 2015; "Die etwas anderen Cops" – 2010; "Stiefbrüder" – 2008; "Der Anchorman" – 2004). Es wäre so einfach zu sagen: Ein Komet bedroht die Erde? Okay, lasst uns global zusammenstehen und Maßnahmen ergreifen, die den Einschlag verhindern! Und wir haben das ja im Kino, wo auch diese Geschichte erzählt wird, schon erlebt, dass schließlich Bruce Willis auf dem Kometen die Bombe zündet, sein Leben gibt, auf dass der Komet in tausend Stücke zerteilt an der Erde vorbei zischt. Hier übernimmt Ron Perlman den Part dieses Helden, der in ein Space Shuttle steigt (Nightmare Alley – 2021; Monster Hunter – 2020; Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind – 2016; Pacific Rim – 2013; Drive – 2011; Der letzte Tempelritter – 2011; Hellboy 2 – Die goldene Armee – 2008; "Schwerter des Königs – Dungeon Siege" – 2007; Hellboy – 2004; "Absolon" – 2003; Star Trek: Nemesis – 2002; Blade II – 2002; Duell – Enemy at the Gates – 2001; Alien – Die Wiedergeburt – 1997; "Die Stadt der verlorenen Kinder" – 1995), und mit ein paar Atomraketen in den Orbit steigt, um den Kometen … undsoweiterundsofort.

In Adam McKays Kosmos scheitert die Weltgemeinschaft dann schon am global zusammenstehen. Und das ist gar nicht einer Dummheit, einer Unbelehrbarkeit der Weltgemeinschaft geschuldet. sondern politischen und wirtschaftlichen Interessen im Weißen Haus. Die US-Präsidentin steht vor schwierigen Zwischenwahlen, hat einen Sexskandal am Hals und ihr größter Einzelspender ist ein Jeff-Bezoz-Elon-Musk-artiger Großindustrieller, der den Kometen mit seinen wertvollen Rohstoffen erst wirtschaftlich ausschlachten will, um ihn anschließend in viele harmlose Kometchen zu zerstückeln. Ein irrer Plan, höchst volatil. Aber der Mann ist der größte Geldgeber der Regierung im Weißen Haus, also wird die Bruce-Willis-artige Lösung kurz nach dem erfolgreichen Start zurückgepfiffen und der Öffentlichkeit der Komet als Chance auf viele neue Arbeitsplätze verkauft, als Chance, „den Hunger und die Armut in der Welt zu bekämpfen und zu besiegen“.

Erzählt wird dieses Drama nicht akademisch aus zynischer Von Oben herab-Künstlersicht. Erzählt wird an zwei Menschen entlang, Wissenschaftlern: Kate Dibiasky, eine Doktorandin in Astronomie an der Michigan State University, entdeckt den Kometen. Ihr Professor, Dr. Randall Mindy, berechnet, dass er die Erde und die Weltbevölkerung in einem halben Jahr zerstören wird. Sie geraten in die Mühlen des Weißen Hauses und damit der Politik, wo sie zunächst nicht ernst genommen werden („Michigan State? Im Ernst? Ich bitte Sie!“). Kate ist bald darauf ihren Freund quitt, einen mittelmäßigen Blogger, der seine Klickzahlen rauf bringt mit der Überschrift „Die Kleine, die behauptet, dass wir alle sterben werden? Ich habe mit ihr geschlafen!“ Jetzt schreibt er an einem Buch über die Beziehung. Der Weltuntergang ist auch für ihn nur ein weiteres Thema, das die Medien verkaufen, er hat nichts mit der Realität seines Alltags zu tun – eine Haltung, die uns in diesem Film noch mehrfach über den Weg läuft. Kate wird gespielt von Jennifer Lawrence, die mit dieser Rolle ihre zweijährige Babypause beendet hat (X-Men: Dark Phoenix – 2021; "Red Sparrow" – 2018; Mother! – 2017; Passengers – 2016; X-Men: Apocalypse – 2016; Joy: Alles außer gewöhnlich – 2015; Die Tribute von Panem – Mockingjay – 2014; Serena – 2014; American Hustle – 2013; House at the End of the Street – 2012; Silver Linings – 2012; Die Tribute von Panem – 2012; Winter's Bone – 2010). Lawrence spielt die eine von zwei echten menschlichen Figuren, die mit der Kometen-Entdeckung hadern, die ihr eigenes Leben beeinflusst. Die Doktorandin ist fassungslos ob der bräsigen Gleichgültigkeit, auf die ihre Entdeckung in der Öffentlichkeit trifft und zieht sich alsbald aus der Welt zurück und arbeitet wieder als Kassiererin im heimischen Supermarkt. Der andere echte Mensch ist der weitgehend unbekannte Astronom Dr. Randall Mindy, der schüchtern in seiner Forschung aufgeht, aber jetzt schnell Freundschaft schließt mit der unverhofften, ihn feiernden Öffentlichkeit und der attraktiven Morning-Show-Moderatorin Brie, die sich ihm an den Hals wirft. Mit dieser Rolle kommt Leonardo DiCaprio – auch nach zwei Jahren Pause – zurück. Der Schauspieler engagiert sich in Umweltthemen und geht hier ganz in der Rolle des unsicher stotternden Kometenforschers mit fettigem Haar auf. Eine der schönsten und gleichzeitig unscheinbarsten Rollen, die DiCaprio in seiner Karriere gespielt hat (Once upon a Time in Hollywood – 2019; The Revenant – Der Rückkehrer – 2015; The Wolf of Wall Street – 2013; Der große Gatsby – 2013; Django Unchained – 2012; J.Edgar – 2011; Inception – 2010; Shutter Island – 2010; "Zeiten des Aufruhrs" – 2008; Der Mann, der niemals lebte – 2008; "Blood Diamond" – 2006; Departed – Unter Feinden – 2006; Aviator – 2004; Catch Me If You Can – 2002; Gangs of New York – 2002; The Beach – 2000; Celebrity – Schön, reich, berühmt – 1998; Titanic – 1997; William Shakespeares Romeo & Julia – 1996; Gilbert Grape – Irgendwo in Iowa – 1993).

Der übrige Cast, brillant besetzt mit SchauspielerInnen wie Meryl Streep, Cate Blanchett, Jonah Hill, Mark Rylance oder Timothée Chalamet und mit Popsternchen wie Ariana Grande, bietet wunderbare Hingucker, bleibt aber notwendiger Stichwortgeber. Meryl Streep (Little Women – 2019; Mary Poppins' Rückkehr – 2018; Die Verlegerin – 2017) gibt als auf Wahlergebnisse schielende, die Realität verachtende Präsidentin einen Donald Trump mit Titten. Cate Blanchet spielt nuanciert die blonde, kaltherzige TV-Anchor mit Hang zur spiegelnden Oberfläche (Song to Song – 2017; Carol – 2015; Der Hobbit – Die Schlacht der fünf Heere – 2014; Monuments Men – 2014; Der Hobbit – Smaugs Einöde – 2013; Blue Jasmine – 2013; Der Hobbit – Eine unerwartete Reise – 2012; Wer ist Hanna? – 2011; Robin Hood – 2010; Der seltsame Fall des Benjamin Button – 2008; Indiana Jones und das Königreich des Kristallschädels – 2008; Elizabeth – Das goldene Königreich – 2007; Aviator – 2004; Der Herr der Ringe – Die Rückkehr des Königs – 2003; Der Herr der Ringe – Die zwei Türme – 2002; Heaven – 2002; Schiffsmeldungen – 2001; Der Herr der Ringe – Die Gefährten – 2001; Banditen! – 2001; The Gift – 2000; Der talentierte Mr. Ripley – 1999; Elizabeth – 1998). Timothée Chalamet, derzeit gehypter Herzbube mit sanftem Lockenschopf, traut sich ein wenig raus aus seiner typischen Rollenauswahl (Don't look Up – 2021; Dune – 2021; Little Women – 2019; A Rainy Day in New York – 2019; Feinde – Hostiles – 2017; Lady Bird – 2017; "Call Me by Your Name" – 2017; Interstellar – 2014; #Zeitgeist – 2014) und spielt einen No-Future-Apologeten, der seine Weltanschauung auf dem Skateboard spazieren fährt und viel betet. Aber diesen Charakteren bleiben Scharnierfunktionen, die die beiden Hauptfiguren durch das apokalyptische Drama tragen. Individuelle Glanzpunkte über die perfekte Klischee-Verkörperung hinaus können die Schauspieler hier nicht anbieten.

Befeuert wird die Auseinandersetzung um die sinnvollste Behandlung des Kometen-Problems durch die US-Medien, in denen sich Talkshow-Moderatoren und News-Anchor über die Sexyness des einen Professors und die scharfe Deutlichkeit der anderen Doktorandin streiten und daraus Rückschlüsse auf die Glaubwürdigkeit von deren Forschungsergebnissen ziehen. Den Rest erledigen die hysterischen Blasen der Social Media – das Erschreckende im Zuschauersessel ist dann, dass man die Social-Media-Blase längst als alltäglichen Teilnehmer am gesellschaftlichen Diskurs verinnerlicht hat, weil auch sich seriös gebende Medienhäuser ihre Nachrichten längst auf Twitter, TikTok oder Instagram in klickträchtige Headlines und SEO-optimiert zurecht gestutzt unters Volk jagen – Clickbait First, Genauigkeit Second.

Ein Film, passend zur Zeit der Corona-Pandemie, in der wissenschaftliche Fakten zur Diskussion gestellt und Regeln zum Schutz der Bevölkerung von Teilen dieser mit dem Ausdruck empörter Verachtung zurückgewiesen werden? Wie lustig, dass sie die Bedrohung durch mikroskopisch kleine Viren durch einen gigantischen Kometen ersetzt haben? Nicht wirklich. Die Planung zu diesem Film begann im Jahr 2019, als von Corona noch keine Rede war. Tatsächlich behandelt "Don't Look Up" jede Krise, die potenziell die Menschheit bedroht. Aktuell ist das gar nicht das Virus, das irgendwann eingehegt werden wird. Der Asteroid, der da in fernen, aber auch gar nicht so fernen sechs Monaten und 14 Tagen auf die Erde krachen soll, symbolisiert eher die Klimakrise, die irgendwann mal die Lebensgrundlagen des Planeten verändern soll – und das inzwischen aber auch dauernd schon tut in Form von Wirbelstürmen, Flutkatastrophen und Vulkanausbrüchen. Als dann die Pandemie und ihre medialen Auswüchse über die laufende Filmproduktion hereinbrachen, befeuerte das Regisseur, Autoren und Schauspieler, ihre Story an den Kanten noch ein bisschen schärfer zu gestalten.

Adam McKay verkauft den Film als Komödie mit dramatischem Grundton und dieser Komödie kann man auch etwa eine Stunde gut folgen. Aber dann erstirbt das zuckende Lachen zusehends. Irgendwann ist das alles gar nicht mehr komisch, weil wir in der Pandemie den Irrsinn jeden Abend im ZDFheute-journal sehen. Und das heute-journal darf nicht mit der satirischen heute-show auf demselben Sender verwechselt werden. Das klaut mir als Zuschauer das wohlig ironisierende Distanz-Gefühl. Andererseits beschreibt "Don't Look Up" einfach entblößend genau den alltäglichen Irrsinn menschlichen Seins.

Wertung: 7 von 8 €uro
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