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Kinoplakat: J. Edgar

Ein bisschen nervtötend, all die großen
Namen, die ohne Back-Up agieren

Titel J. Edgar
(J. Edgar)
Drehbuch Dustin Lance Black
Regie Clint Eastwood, USA 2011
Darsteller

Leonardo DiCaprio, Naomi Watts, Armie Hammer, Josh Hamilton, Judi Dench, Geoff Pierson, Cheryl Lawson, Kaitlyn Dever, Brady Matthews, Gunner Wright, David A. Cooper, Ed Westwick, Kelly Lester, Jack Donner, Dylan Burns, Jordan Bridges u.a.

Genre Drama, Biografie
Filmlänge 137 Minuten
Deutschlandstart
19. Januar 2012
Inhalt

Der Film zeigt in Rückblenden das öffentliche und private Leben J. Edgar Hoovers, des Gründers und langjährigen Direktors des FBI. In den 1960er-Jahren diktiert FBI-Direktor J. Edgar Hoover seine Memoiren.

1919 ist Hoover Mitarbeiter im Justizministerium und Untergebener von A. Mitchell Palmer. Auf diesen verüben Anarchisten enen Bombenanschlag. Scharf kritisiert Hoover die Aufklärungsarbeit der Polizei. Als Chef einer neu gegründeten Einheit gegen Radikale setzt Hoover seine Abneigung gegen Anarchisten, Kommunisten und jeden, den er dafür hält, in die Tat um.

Von seiner streng religiösen Mutter geprägt, bittet er die Sekretärin Helen Gandy vorschnell um ihre Hand. Obwohl diese ablehnt, stellt er sie als persönliche Assistentin ein, die ihm jahrzehntelang als rechte Hand dient. Der öffentlich scharf schwulenfeindlich auftretende Hoover engagiert den athletischen Clyde Tolson, mit dem er tägliche Mahlzeiten sowie gemeinsame Urlaube verbringt. Mit diesem pflegt er eine tragische, Jahrzehnte dauernde homosexuelle Beziehung, die gegenüber der Öffentlichkeit jedoch geheim gehalten werden muss.

Bei der Entführung des Lindbergh-Babys kann Hoover 1932 den Einfluss seines Ermittlungsbüros nach spektakulären Erfolgen endgültig ausbauen. Im Prozess um die Entführung des Lindbergh-Babys wird der wahrscheinlich unschuldige, deutschstämmige Bruno Richard Hauptmann zum Tode verurteilt. Hoover setzt hohe Anforderungen an die Qualifikation für das FBI um und fördert die wissenschaftliche kriminalistische Arbeitsweise. Er wird als jemand geschildert, der nicht viel von Bürgerrechten hält und ständig daran arbeitet, die Machtbefugnisse gegenüber den Freiheitsrechten auszubauen.

Zu den Kennedy-Brüdern John und Robert hat er ein sehr angespanntes Verhältnis. Auch mit Präsident Nixon ist das Verhältnis sehr angespannt. In den 1960er Jahren unterstellt er der Bürgerrechtsbewegung um Martin Luther King, Jr., den Kommunismus zu fördern. Er plant eine illegale Intrige gegen diesen zu initiieren, was er jedoch nicht in die Tat umsetzt.

Nach seinem Tod vernichtet Gandy seine Geheimarchive, damit sie Nixon nicht in die Hände fallen …

Was zu sagen wäre

Die Bilder sehen aus, wie sie sich gehören in einem BioPic über einer der großen Männer der Leder-Ohrensessel-Ära. Die Schauspieler sind mit solcher Selbstverständlichkeit dabei, dass man den Schweiß vermeint noch zu riechen, den es gekostet hat, in einem Film von Clint Eastwood spielen zu dürfen. Handwerklich ein großes Werk. Aber es ist eben auch ein BioPic.

BioPics leiden oft an ihren lebenden Vorbildern, so auch hier. Der Kniff dieses handwerklich ordentlich gemachten Films ist es, die Figur des Gründers und langjährigen Chefs, J. Edgar Hoover, den Präsidenten fürchteten, als schwules Muttersöhnchen zu portraitieren, dem man erotische Neigungen zu seinem Beamtenapparat nachsagt, was schließlich in einem (verbotenen) eheähnlichen Zusammenleben mit seinem Vizedirektor mündet – „In guten wie in schlechten Tagen“, sagt der Vize, frisch berufen. „Mittag- und Abendessen nehmen wir gemeinsam.“ „Ich würde es nicht anders haben wollen!“ – der aber mit Finesse und Skrupellosigkeit den Apparat kleinlicher Beamten in Washington aufmischt, um seinen Apparat ans Laufen zu bekommen. Das nun immerhin ist ein Thema, bei dem Clint Eastwood sich sehr zu Hause fühlt. Historisch einen Rahmen gibt die Entführung des Kindes von Charles Lindbergh. In diese hinein gebettet werden wir Zeuge, wie all die kleinen Rädchen, die Hoover fordert und dann anschubst, schließlich ineinandergreifen und Täter allein anhand von Indizien überführen – eine kriminalistische Revolution.

Aber ein Spannungsbogen? Fehlanzeige.

Stattdessen werden uns Politiker-Typen vorgestellt: eitle Politiker, korrupte Politiker, skrupellose Politiker, wir erleben einen FBI-Boss, der alles tut, um sich und seine Behörde im Regierungsapparat unterschiedlicher Präsidenten unentbehrlich zu machen. Dazu kommt, im US-Kino immer eine Baustein für schräge Biografien, eine dominante Mutter – die spielt Judi Dench (James Bond 007 – Ein Quantum Trost – 1995), auch so eine herausragende Schauspielerin, die in diesem Film keine Überraschung platzieren kann. Es ist die Story innerhalb der Historie, die fehlt.

Das Problem mit diesem BioPic ist, dass wir das, was da alles erzählt wird, längst wissen; und das, was wir nicht wissen, wissen wir nur deshalb nicht, weil wir an dem Tag gerade keine Nachrichten gelesen haben; das lockt auch keinen Hund hinterm Sitz im Zuschauerraum hervor. Es ist der Film eines alten Mannes über das Vermächtnis eines umstrittenen alten Mannes. Ohne die historischen Fakten zu vernachlässigen, fahndet Clint Eastwood nach dem Menschen hinter der äußeren Fassade. Er findet eine Figur, die er, faszinierend findet, über die er sich aber kein moralisches Urteil erlaubt.

Hoover war ein Mann, der gegen Anarchisten, Kommunisten, Ku Klux Clan und Schwule gleichermaßen rigoros vorging und dabei selbst mit einem Mann zusammenlebte. Und der – Armie Hammer (the social network – 2010) liefert hier eine achtbare Leistung – ist der einzige, der sich wagt, Hoover vom selbst errichteten Sockel in die Realität zu stoßen, was notwenig ist, um den Zuschauer die Ambivalenz dieser Figur deutlich zu machen.

Dieses Portrait kennzeichnen weder Verachtung noch Bewunderung, sondern die Faszination für eine schillernde Persönlichkeit, die zur Durchsetzung ihrer Ziele Dossiers anlegt von jeder einflussreichen Persönlichkeit in Washington, weil sie anders ihr großes Ziel einer unabhängig agierenden Bundesbehörde nicht durchgesetzt bekommt (aber das wusste wir auch schon). Damit scheitert das Filmprojekt – wozu schließlich über zwei Stunden einer Spielfilmfigur zuschauen, wenn die mir nicht etwas mitzuteilen hat, was mir zahlreiche TV-Dokumentationen und Biografien noch nicht mitgeteilt haben?

Hervorragend in Fotografie und Darstellung. Aber brauche ich in meiner Kinolust einen Leonardo DiCaprio, der unter zentimeterdickem Gerontokraten-MakeUp verzweifelt Pass me the Oscar! ruft? Nein. Ja, Di Caprio ist okay (Inception – 2010; Shutter Island – 2010; Der Mann, der niemals lebte – 2008; Departed – Unter Feinden – 2006; Aviator – 2004; Catch Me If You Can – 2002; Gangs of New York – 2002; The Beach – 2000; Celebrity – Schön, reich, berühmt – 1998; Titanic – 1997; William Shakespeares Romeo & Julia – 1996; Gilbert Grape – Irgendwo in Iowa – 1993), aber ich finde, er könnte seinen Huch-plötzlich-bin-ja-grässlich-populär-Titanic-Schock nun langsam mal ablegen und Rollen spielen, die sein Alter widerspiegeln.

Wertung: 4 von 7 €uro
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