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Plakatmotiv: Der Mann, der niemals lebte (2008)

Ein zynischer Blick auf die US-Politik, der
sich romantische Steine in den Weg legen

Titel Der Mann, der niemals lebte
(Body of Lies)
Drehbuch William Monahan
nach dem gleichnamigen Roman von David Ignatius
Regie Ridley Scott, USA, UK 2008
Darsteller

Leonardo DiCaprio, Russell Crowe, Mark Strong, Golshifteh Farahani, Oscar Isaac, Ali Suliman, Alon Aboutboul, Vince Colosimo, Simon McBurney, Mehdi Nebbou, Michael Gaston, Kais Nashif, Jameel Khoury, Lubna Azabal, Ghali Benlafkih u.a.

Genre Acton, Drama
Filmlänge 128 Minuten
Deutschlandstart
20. November 2008
Inhalt

Der CIA-Agent Roger Ferris arbeitet undercover im Nahen Osten. Seine Aufgabe ist es, den USA wichtige Informationen im Kampf gegen den Terrorismus zu verschaffen. Dabei wird er von seinem Verbindungsoffizier Ed Hoffman von Langley aus mit Instruktionen versorgt. Mit dem Mobiltelefon am Ohr und den Augen auf dem Satellitenschirm, der jede Bewegungen von Ferris erfasst, ist Hoffman stets live mit dabei.

Als Europa von mehreren schweren Bombenanschlägen erschüttert wird, soll Ferris die Urheber aufspüren. Er versucht, das Netzwerk des Terrorchefs Al-Saleem zu infiltrieren, jedoch ohne einen entscheidenden Schritt voranzukommen. In Jordanien sucht er deswegen die Zusammenarbeit mit Hani Salaam, dem zwielichtigen Chef des jordanischen Geheimdienstes.

Ferris muss Salaam vertrauen, um an Ergebnisse zu kommen. Doch sein Vorgesetzter Hoffman hat andere Pläne für die Operation …

Was zu sagen wäre

In napoleonischen Kriegen sind Heerscharen verfeindeter Mächte aufeinander zugerannt und haben sich die Köpfe eingeschlagen, Körper zerhackt, aufgespießt. Im ersten Weltkrieg haben sie den Feind mit Giftgas malträtiert, im Zweiten Weltkrieg sorgten Panzer für den Geländegewinn. Dann kam die Atombombe und ordnete die Gewaltenteilung der Welt neu. Und dann kam 9/11: Arabische Terroristen steuern zwei Linienmaschinen in die Zwillingstürme des World Trade Center und die USA, selbstbewusste Weltmacht, wissen keine Antwort darauf.

Heute geht Kriegführung so: In seinem schnuckligen Einfamilienhaus draußen vor den Toren Washingtons hilft ein leicht übergewichtiger Bürokrat seinem kleinen Jungen dabei, im Stehen zu pinkeln und dabei die Schüssel zu treffen, während er über ein Headset seinen Agenten im Irak Mordaufträge erteilt. Mit 9/11 kam der Begriff der Asymmetrischen Kriegführung in die Welt. Kurz gesagt: Der Weltmacht USA mit ihren Atombombern, Flugzeugträgern, Spionagesatelliten und ferngesteuerten Drohnen stellen sich scheinbar unsortierte Kämpfer in den Weg, die sich an kein von der UNO eingefordertes Kriegsrecht halten, keinen Krieg erklären und nicht auf einem Schlachtfeld zuschlagen, sondern im Alltagsleben des Feindes; und in einer kleinteiligen Beweglichkeit, mit der die große Hightech-Armada der US Army überfordert ist.

Ridley Scott (s.u.) hat sich in Black Hawk Down schon mit dem Thema der ungleichen Kombattanten beschäftigt. aber richtig durchdringen tut er das Thema erst mit "Body of Lies". Der Feind in diesem Film, arabische Terroristen, die überall in der westlichen Welt Terroranschläge verüben oder androhen, nutzen keine Handys mehr, schreiben keine E-Mails, verweigern sich komplett der modernen Kommunikationsmöglichkeiten. Sie übergeben Informationen nur noch von Mund zu Ohr und von einem Vertrauten zum nächsten Vertrauten; sie verhalten sich gegenüber der High-Tech-Armee der Amerikaner wie Steinzeitmenschen, die von den Radarsystemen einfach nicht erfasst werden – noch asymmetrischer geht nicht. Hier kommt Roger Ferris ins Spiel.

Ferris ist der US-Agent vor Ort im arabischen Raum. Er soll Kontakte herstellen, Informanten briefen, Brauchbares finden in einer Region, in der er jederzeit als Fremder, Ungläubiger und potenzieller Feind erkannt wird. Ferris wird mit pechschwarzem Haar von Leonardo DiCaprio verkörpert, der mit dieser Rolle ein deutliches Stoppschild gegen sein Image als Everybody's Darling setzt ("Blood Diamond" – 2006; Departed – Unter Feinden – 2006; Aviator – 2004; Catch Me If You Can – 2002; Gangs of New York – 2002; The Beach – 2000; Celebrity – Schön, reich, berühmt – 1998; Titanic – 1997; William Shakespeares Romeo & Julia – 1996; Gilbert Grape – Irgendwo in Iowa – 1993). Gesteuert wird er aus zig Kilometern Höhe mittels einer Drohne, die Techniker im fernen Langley, US-Bundesstaat Virginia, lenken. Vor den Monitoren sitzt jener leicht übergewichtige Bürokrat, der nicht an regionalen Eigenheiten interessiert ist, sondern an für die CIA verwertbaren Ergebnissen. Russell Crowe, der sich gerade als so etwas wie Ridley Scotts Lieblingsschauspieler etabliert (American Gangster – 2007; Todeszug nach Yuma – 2007; Ein gutes Jahr – 2006; Master and Commander – Bis ans Ende der Welt – 2003; A Beautiful Mind – 2001; Lebenszeichen – Proof of Life – 2000; Gladiator – 2000; Insider – 1999; L.A. Confidential – 1997), spielt diesen leicht übergewichtigen Beamten als die personifizierte Arroganz und Ignoranz der US-amerikanischen Außenpolitik und unterstreicht seine Wandlungsfähigkeit als Schauspieler. Plakatmotiv: Der Mann, der niemals lebte (2008) Während er seinen Sohn zum Fußball kutschiert, seine Tochter beim Wochenendeinkauf auf den Kindersitz schnallt, mischt sich Agent Hoffman in politische Zusammenhänge ein, die weder er noch sonst jemand in der US-Außenpolitik begreifen. Der Brite Ridley Scott karikiert in diesem Film die US-Administration als eine moderne Pippi Langstrumpf, die sich die Welt gestaltet, wie sie ihr gefällt, wie sie nach ihrer Ansicht gut funktionieren müsste und also zu funktionieren hat. Der US-Administration à la Ridley Scott ist es egal, ob die Welt auch so sein möchte, wie die USA sich das vorstellen.

Hier kommt der jordanische Geheimdienst ins Spiel, der im Film die Rollen der berechtigten Parteinahme, des stolzen Arabers, des Kenners der Region einnimmt; Mark Strong ("Babylon A.D." – 2008; "Syriana" – 2005) übernimmt das als Hani Salaam, Chef des jordanischen Geheimdienstes. Der ist grundsätzlich auf Seiten der USA, kann seine Abneigung für deren welterklärende Arroganz allerdings nur schwer verbergen. Strong laviert wunderbar zweideutig durch diesen Part. Auch wir im Zuschauersessel wissen nie, ob wir diesen freundlichen Hundeaugen trauen können, deren Besitzer eben noch erklärt hat, Folter sei für die Informationsbeschaffung kontraproduktiv und dann einen Delinquenten übel verprügeln lässt und das „Bestrafung“ nennt. Scotts Film lebt von diesen Widersprüchen, in denen sich der westlich geprägte Zuschauer verheddert und sich irgendwann also fragt, ob das alles so richtig sein kann. Dieses "das" ist die aktuelle Weltpolitik.

Ähnlich wie in Black Hawk Down betrachtet Ridley Scott auch in "Body of Lies" die arabische Welt als eine, von der der Westen sich besser fernnhalten sollte. Er ist ja überhaupt ein Künstler, der der Nichteinmischung in fremde Organismen das Wort redet. In Alien mutet sich eine Unternehmenssoftware zu viel zu, in Legende stolpert eine naive Prinzessin in den empfindlichen Kreislauf der Natur, in Black Rain lernt ein NYPD-Cop, dass der American Way of Life in Japan – wenn überhaupt –  eine untergeordnete Rolle spielt. Immer wieder stellt Scott in seinen Filmen fest, dass es nicht gut endet, wenn wir in fremdartige Organismen eindringen. Seine Haltung ist nicht fremdenfeindlich (von wegen, alles Fremde ist mörderisch). Im Gegenteil: Seine Filme appellieren an den Respekt für das Andere, das Fremde. Und dieser Appell wird immer drängender, je weiter die Technik fortschreitet.

1992 verfilmte Phillip Noyce den Jack-Ryan-Roman Stunde der Patrioten. Damals hielten wir im Kinosessel den Atem an, während wir Zeuge wurden, wie der US-Geheimdienst aus einem Bunker nahe Washington per ferngesteuerter Drohne ein Terroristencamp im Nahen Osten angriff. 16 Jahre später wirkt diese Kriegstechnik veraltet, heute ist der US-Geheimdienst immer dabei, egal wohin sich das Objekt seiner Neugier bewegt; er beobachtet, kann aber auch „chirurgisch“ Aggressoren entfernen.

"Body of Lies", der so auffällig die Fehler der westlichen Kriegspolitik offenlegt, der ein Plädoyer für Differenzierung im Feindbild ist, weil Araber nicht gleich Araber ist, hätte ein Aufruf für Völkerverständigung werden können (aber das wäre vielleicht doch zu sehr 90er geworden). In diesem Film spielen nicht nur die Amerikaner doppeltes und dreifaches Spiel, auch der jordanische Geheimdienst spielt dann doppeltes Spiel, sodass man etwas angewidert das Kino mit dem Gedanken verlässt, wie scheiße die Weltpolitik ist. Plakatmotiv: Der Mann, der niemals lebte (2008) Die Sicherheit der Welt hängt nämlich am seidenen Faden. Der spießige, übergewichtige CIA-Führungsoffizier im Wochenend-Einkaufsmodus und sein engagierter, in der Krisenregion persönlich involvierter Agent sind die beiden Charaktere, die hier über Leben und Tod entscheiden; alle arabischen Parteien entpuppen sich im Fall der Fälle als längst unterwandert.

"Body of Lies" hätte ein elegant inszenierter, böser Filmkommentar zur Weltlage werden können; ein beeindruckender Ridley-Scott-Film mit großartigen Bildern. Aber ein reiner Männertfilm. Ohne Romantik, einfach nur Kerle, die sich gegenseitig austricksen. Irgendwer muss gerufen haben: Wir brauchen eine Frau, eine Liebesgeschichte! Und so verliebt sich der erfahrene, mit allen Wassern gewaschene Außenagent, der einen gewissen Hang zur einheimischen Bevölkerung hat erkennen lassen, in eine freundliche Krankenschwester. Dem Zuschauer ist klar, dass er das nicht tun sollte und dem Agenten sollte das auch klar sein, weil er seine Mission kompromitieren kann und erpressbar wird.

Okay: Hier ist der Filmkonsument auf Zeitungswissen angewiesen, heißt: Ich habe keine Ahnung, wie sich ein Außenagent im Außeneinsatz zu bewegen hat. Aber die Hitchcockformel, wonach es völlig egal ist, was die Realität vorschreiben würde, Hauptsache, die Spannung innerhalb des Films bliebe bestehen, zieht nicht: Ein Typ wie der Roger Ferris, den wir zu Beginn durchaus als einen kennenlernen, der zu seinen Informanten eine persönliche Beziehung aufbaut, würde niemals eine Frau, die er ansatzweise sympathisch findet, der diffusen Gefahr dieser Region zwischen Geheimdiensten, Terroristen und Gegenspionage aussetzen. Er würde die Idee, sie zu daten, sofort aus seinem Tagesablauf verbannen – ein Typ wie er ist ohnehin in zwei Wochen schon wieder in einer anderen Region. Aber dann nimmt diese Beziehungsgeschichte eine sehr zentrale Handlungsebene im Film ein, die dann nur sehr unbefriedigend aufgelöst wird.

Im Finale überwiegt der politische Zynismus der Autoren; da bleibt die Botschaft an den Kinogänger eindeutig.

Wertung: 5 von 7 €uro
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