IMDB

Plakatmotiv: Napoleon (2023)

Ein langweiliger Film
mit visueller Wucht

Titel Napoleon
(Napoleon)
Drehbuch David Scarpa
Regie Ridley Scott, USA, UK 2023
Darsteller

Joaquin Phoenix, Vanessa Kirby, Tahar Rahim, Rupert Everett, Mark Bonnar, Paul Rhys, Ben Miles, Riana Duce, Ludivine Sagnier, Edouard Philipponnat, Miles Jupp, Scott Handy, Youssef Kerkour, John Hollingworth, Abubakar Salim, Thom Ashley, Jannis Niewöhner, Julian Rhind-Tutt u.a.

Genre Abenteuer, Biografie
Filmlänge 158 Minuten
Deutschlandstart
23. November 2023
Inhalt

Es ist eine Zeit des Umbruchs: Im Chaos der Französischen Revolution verlieren Marie-Antoinette und viele andere einflussreiche Personen des französischen Hochadels auf der Guillotine ihren Kopf. In diesem Vakuum strebt der korsische Artillerie-Kommandant Napoleon Bonaparte in der neuen Französischen Republik nach Macht.

Nach einigen geschickten Militär-Diensten, darunter etwa die Rückeroberung von Toulon im Jahr 1793 sowie dem brutalen Niederschlagen des royalistischen Aufstandes im Jahr 1795, steigt der junge Napoleon in der Gunst und wird erst zum General und später dann zum Anführer seiner eigenen Armee.

Doch neben dem Krieg gibt es für den aufstrebenden Feldherrn noch eine weitere Leidenschaft. Er verliebt sich in Joséphine de Beauharnais, deren erster Ehemann in den Nachwehen der Revolution hingerichtet wurde. Doch auch wenn ihre Beziehung leidenschaftlich geführt wird, kommt es immer wieder zu heftigen Auseinandersetzungen.

Diese destruktive Beziehung und der nicht enden wollende Kampf um gesellschaftliche und politische Anerkennung bringen Napoleon an den Rand der Zerstörung …

Was zu sagen wäre

Ridley Scott führt das Kino mit seinem "Napoleon" zurück zu den Anfängen des Lichtspiels. Als Ende des 19. Jahrhunderts die ersten Bilder flimmerten, bekamen die Zuschauer keine Geschichten vorgeführt; es waren einzelne Einstellungen eines Geschehens – eine Tänzerin tanzt, ein Zug rollt in den Bahnhof, solche Sachen. Damals reichte das, um die Zuschauer in Verzückung (Tänzerin) oder Panik (Zug) zu versetzen. Der Film "Napoleon" erzählt auch keine Geschichte. Er ist ein aufwändig bebildertes Geschichtsbuch.

Das Marketing des Films  betont, dass vier historische Schlachten bebildert wurden (Toulon, Austerlitz, Borodino und Waterloo), wo andere Napoleonfilme sich lediglich auf Waterloo ("Waterloo" – 1970) oder den verlustreichen Russland-Feldzug (Krieg und Frieden – 1956) konzentrierten. Diese Schlachten zeigt uns der Film mit Reiterhorden in phänomenalen Totalen und Zwischenschnitten, in denen Bayonette Brustbeine aufspießen, Köpfe von Kugeln zerfetzt, Infanteriesoldaten von Pferdehufen in den Dreck gestampft und Menschen von Kanonenkugeln zerrissen werden. Plakatmotiv: Napoleon (2023) Das sind Bilder, die wir seit Braveheart (1995) aus dem Cinemascope-Kino kennen – bis vielleicht auf die ausführlich gezeigte Wirkung von Kanonenkugeln auf den menschlichen Körper – und über deren demonstrative Brutalität niemand mehr groß spricht. Krieg in der Ukraine, Krieg in Gaza – die Nachrichtenbilder des aktuellen Lebens lassen für die Grausamkeiten der Mann gegen Mann gefochtenen Schlachten vergangener Zeiten keinen Platz im Gemüt. Die Schlachtenbilder nehmen viel Raum ein in diesem zweieinhalbstündigen Film, bisweilen unterlegt mit Liebesbriefgesäusel zwischen Napoleon und seiner Joséphine.

Verschiedenen Quellen zufolge sitzt Ridley Scott seit der Filmpremiere am 14. November 2023 in Paris an dem Director's Cut, der dann viereinhalb Stunden dauern und deutlicher auf die Liebe zwischen Napoleon und Joséphine eingehen. Zur Vorbereitung hätten er und sein Drehbuchautor David Scarpa Napoleons Liebesbriefe an Joséphine gelesen. Für Scott steht diese Beziehung im Zentrum der historischen Figur. Es muss eine frühe Amor fou gewesen sein: Die beiden lernen sich kennen, heiraten bald und als er die Ehe nach 15 Jahren auflöst, weil Joséphine ihm keinen Erben gebiert, hören Liebe und Liebesbriefe nicht auf und man hätte zu gerne erfahren, was denn eigentlich die beiden so aneinander bindet. Beide lachen in keiner Szene miteinander, der Sex ist zeitgemäß eine höchst freudlose, einseitige Angelegenheit, miteinander sprechen tun sie auch wenig; er hat seine Mätressen und empört sich über ihre Liebschaften, die allerdings bald auch Thema in englischen Zeitungen sind, die den großen Franzosen lächerlich machen wollen. Er bricht sogar seinen Feldzug in Ägypten ab, um seine Frau in Paris zur Rede zu stellen – eine der vielen historischen Ungenauigkeiten, die sich Sir Ridley für seinen Film erlaubt und die Historiker in den Tagen seit Filmstart in Schnappatmung verfallen lassen.

Historiker nennen den Film „rein historisch“ eine „absolute Katastrophe“, ein „Hollywood-Fantasy-Märchen von reinstem Wasser“. Das geht los bei Napoleons Geburtsdatum, das im Film nicht korrekt genannt wird und endet noch nicht bei Waterloo, wo die Männer sich nicht auf einer saftigen grünen Wiese abgemetzelt hätten, wie das der Film zeigt, sondern auf Weizenfeldern. Die Liebenden hätten sich auch nicht auf einem "Ball der Überlebenden" kennengelernt, von dem in den historischen Dokumenten gar keine Rede sei, und außerdem 15 Monate später als im Film behauptet. Stellt sich die Frage, warum Ridley Scott einen Film über einen weltbekannten Feldherrn dreht und dann an den historischen Fakten schraubt. Aber ich sitze nicht in einem historischen Seminar, sondern in einem Kinosessel. Und da erlebe ich vieles von dem, was ich von einem Ridley-Scott-Film erwarte (s.u.).

Mit seinem Kameramann Dariusz Wolski, der seit Prometheus – Dunkle Zeichen (2012) alle seine Filme fotografiert, entwirft Scott einen großartigen Bilderbogen des Paris um 1800, das keine Postkartenansichten zu bieten hat, aber funkelnde Säle, große Massenszenen, detailverwebtes Interieur sowie stinkend Gassen, blutige Guillotinen und, entsprechend seiner revolutionär aufgepeitschten Gesellschaft, entsättigte Farben, die die Trostlosigkeit jener Zeit unterstreichen. Plakatmotiv: Napoleon (2023) Erst hungerten die Menschen, dann, 1789, revoltierten sie, es rollten zehntausende Köpfe, die einfachen Menschen hungerten weiterhin und die Revolutionäre errichteten eine Schreckensherrschaft gegen alles und jeden. Dann brach Napoleon die englische Belagerung der Hafenstadt Toulon und gab dem Volk damit sowas wie Hoffnung. Der Film erzählt nicht, welche Art Hoffnung das gewesen sein könnte. Napoleon kommt, sieht und siegt und hat schon bald den halben Kontinent erobert, was vor allem die Engländer, Russen und Österreicher in immer neuen Koalitionen gegen ihn zu Felde ziehen lässt; das meiste davon geschieht nur in Dialogen – bis auf die vier erwähnten Schlachten.

Was ihn politisch antreibt, lässt der Film im Dunkeln. Ebenso bleibt unklar, was die Menschen so für diesen Typen eingenommen haben soll. Joaquin Phoenix (Joker – 2019; Irrational Man – 2015; Inherent Vice – Natürliche Mängel – 2014; Her – 2013; Walk the Line – 2005; The Village – 2004; Signs – Zeichen – 2002; Gladiator – 2000; The Yards – Im Hinterhof der Macht – 2000; Für das Leben eines Freundes – 1998; U-Turn – Kein Weg zurück – 1997) stellt ihn als einen ununterbrochen schlecht gelaunten Typ mit Hang zum Blutrausch dar, der sich in eine Reihe stellt mit Caesar und Alexander dem Großen. Es gibt eine Szene, in der er spöttisch grinst, aber vornehmlich guckt er sauertöpfisch in die Welt und wirkt kontaktscheu. Angesichts seiner vielen militärischen Erfolge scheint er ein versierter Stratege gewesen zu sein. Reichte das Anfang des 19. Jahrhunderts, um für ihn laut Hurra schreiend in die Schlacht und den Tod zu rennen? Nicht, dass die realen Soldaten damals eine Wahl gehabt hätten. Im Film wirkt es aber wie Satire, als er nach seiner Rückkehr aus dem Exil auf Elba vor seinen ehemaligen Soldaten steht (die ihn eigentlich verhaften sollen), was von Frankreich, Vaterlandsliebe und „ich habe Euch vermisst“ murmelt und die Soldaten prompt in laute Freudenrufe ausbrechen. Dieser Napoleon hat null Charisma, aber die Soldaten lieben ihn?

Auch die begehrte, heißgeliebte Joséphine gebricht es an Lebendigkeit. Vanessa Kirby, die sie spielt, ist eine schöne Frau, die man gerne anschaut (Mission: Impossible – Dead Reckoning Teil Eins – 2023; Fast & Furious: Hobbs & Shaw – 2019; Mission: Impossible – Fallout – 2018; Jupiter Ascending – 2015; Alles eine Frage der Zeit – 2013). Aber wenn dann in ihrem schönen Gesicht statt Charisma nichts weiter leuchtet, als Langeweile, Weltschmerz und gelegentliche sexuelle Gier, ist es mit der charmanten Erscheinung – jedenfalls im Kinosessel – schnell dahin. Was hat sie, das Napoleon so magnetisiert, ihn selbst noch auf dem Schlachtfeld ablenkt? Die Frage bleibt offen. Napoleons letzten Worte sollen gewesen sein: „Frankreich. Armee. Joséphine.“ Scott selbst sagt, er empfinde die dem Filmprojekt zugrundeliegenden Liebesbriefe als „manchmal fast kindlich in ihrer Sentimentalität und Sexualität, er war wie ein Schuljunge, der an seine erste Freundin schreibt“. Vielleicht wirkt diese historisch große Liebesgeschichte bei Ridley Scott deshalb so kindisch.

"Napoleon" ist ein langweiliger Film, dem ich gerne zugeschaut habe. Scott bringt auch hier großartige Visionen auf die Leinwand. Mögen einige der digital erzeugten Stadt- und Schlachtfeldlandschaften aussehen, wie Mattepaintings aus den 80er Jahren, geschenkt. Der Brite unterstreicht seinen Ruf als kompromissloser Streiter für das Visuelle, das in einer – beinah – 1:1-Kopie des berühmten Gemäldes von Jacques-Louis David, "Die Krönung Napoleons", gipfelt. Geschichtsbuch bebildern gelingt Ridley Scott super, die Geschichte dahinter zu erzählen in diesem Fall eher nicht.

Wertung: 3 von 8 €uro
IMDB