Los Angeles 2019: Künstliche Menschen, „Replikanten“, sind unerlaubt auf die Erde zurückgekehrt. Diese besondere Spezies verfügt über die mehrfache Kraft und Intelligenz eines Menschen und ist von ihm kaum zu unterscheiden. Die Replikanten müssen ausgeschaltet werden. Für die Polizei gibt es nur einen, der für diesen Job in Frage kommt. Einen, der seinen Dienst lange quittiert hat: Deckard! Ein „Jäger“. Deckard ist ausgebildet, Replikanten zu erkennen, sie zu jagen und sie zu erledigen. Bei seinen Ermittlungen lernt er Rachel kennen. Sie ist Replikantin. Aber sie weiß es nicht. Sie ist ein Modell der neuesten Generation.
Ausgestattet mit künstlichen Erinnerungen an ihre Kindheit geht Rachel davon aus, ein Mensch zu sein. Und sie ist es – fast. Deckard verliebt sich in sie. Der Replikanten-Jäger gerät in einen Interessenskonflikt, während er die entflohenen Replikanten einen nach dem anderen erledigt.
Bis nur noch Batty übrig ist. Ihr Anführer. Stark. Gerissen und auch – fast - ein Mensch …
Die Welt der Zukunft ist keine schöne Welt. Sie besteht aus Stahlbeton, ewiger Dunkelheit, es regnet dauernd und die Menschen leben von der Hand in den Mund, sofern sie nicht für den mächtigen Tyrell-Konzern arbeiten und Augen designen. Ridley Scott, der schon in Alien (1979) Menschen in unmenschlichen Welten hatte hausen lassen, hat hier eigentlich nur den Schausplatz gewechselt und das Monster weggelassen. Die Architektur seines Los Angeles 2019 ist ebenso unmemnschlich, wie das Interieur der Sulaco. Die Arbeit verrichten Maschinenmenschen als moderne Sklaven. Ihre Lebensdauer ist auf vier Jahre begrenzt, damit sie nicht aus Versehen zu menschlich werden und womöglich merken, was sie sind und was sie können – nämlich ihren Schöpfer, den Menschen, ganz leicht ausschalten.
"Blade Runner" wird als Thriller mit Action verkauft. Dabei ist er nichts weniger als das. Er ist irgendwie ein Drama, das nicht recht vom Fleck kommt. Bis Deckard mal beginnt, seinen Job zu erledigen, also die sechs Replikanten auszuschalten, vergeht viel Zeit. Zeit, in der uns Ridley Scott seine Stadt der Zukunft zeigt. Und die hat es in sich. Das Design ist entfernt angelehnt an Fritz Langs Metropolis (1927), es ist visionär und mit großer Kunstfertigkeit entworfen. Da fällt es kaum auf, dass die Handlung sich nur langsam entwickelt.
Also ließen die Produzenten Scott (nach seinem Welterfolg Alien) freie Hand, erschraken angesichts seiner philosophischen Vision und legten Hand an den Final Cut. Sie ließen Deckard aus dem Off seine Geschichte kommentieren und machten daraus einen Detektivfilm, der an Noir-Krimis wie Tote schlafen fest oder Der Malteser Falke erinnerte. Ans Ende klebten sie Szenen, die Stanley Kubrick für The Shining nicht verwendet hatte und schickten damit den rauen Detektiv in eine Romanze in freier Natur – in eine Welt mit blauem Himmel und ganz viel Wald, die sofort die Frage aufkommen ließ, warum die Menschen nicht eigentlich alle da raus ziehen.
Weil es diese Welt in Ridley Scotts Urfassung eben gar nicht gab. Erst Anfang der 90er Jahre konnte Ridley Scott seine ursprüngliche Version vorlegen: Der Off-Kommentar verschwand ebenso wie die heile Waldwelt. Dafür erhielt der Film eine Szene zurück, die der bisher bekannten Geschichte einen Twist gibt, ohne den er einfach nur ein sehr guter Film ist. Diese eine Szene hat den Film in den Kanon der Must-see-Filme katapultiert. Davor bestach der Film allein durch seine Ausstattung, durch sein Design; das Schicksal der Maschinensklaven ist tragisch, aber Maschinen, die menschlicher sind als die Menschen, hatte das Kino auch vor "Blade Runner" schon gezeigt.
Harrison Ford, der auch hier ordentlich physisch austeilen muss, zeigt sich von einer neuen Seite, offenbart schauspielerische Qualitäten, die man einem durchschnittlichen Actionhelden sonst kaum zutraut. Allerdings bleibt er nur zweiter Sieger, sobald sein Kontrahent die Leinwand betritt, Replikanten Roy Batty. Den spielt der Niederländer Rutger Hauer (Nachtfalken – 1981; "Türkische Früchte" – 1973) zum fürchten sympathisch. Kalt und tödlich, aber im entscheidenden Moment von einer lyrischen Klarheit beseelt, dass ich weinen könnte. Als Replikantin Pris taucht Daryl Hannah auf, die zuvor einen kleinen Auftritt in Brian De Palmas Teufelskreis Alpha (1978) hatte. Sie hat nicht viele Momente in Scotts Film, aber die nutzt sie so, dass ich neugierig auf weitere Filme mit ihr werde.
"Blade Runner" geht der Frage nach, wann eine Erinnerung eine Erinnerung ist und welche Rolle sie im Menschsein spielt. Müssen Erinnerungen selbst erlebt sein? Oder gelten auch impllantierte Erinnerungen, die den Replikanten vorgaukeln sollen, echte Menschen zu sein, als Erlebtes, weil der (oder die) Erinnernde sie schließlich erlebt zu haben glaubt und daraus eigenständige Lehren gezogen hat? Sieht man den Film als das, was er ist, nämlich eine intelligente Auseinandersetzung mit philosophischen fragen über das Menschsein, ist er gar nicht mehr langsam und handlungsarm. Im Gegenteil.
Mit "Blade Runner – Director's Cut" überrollt ein neuer Begriff die Kinoszene: Director's Cut. In der öffentlichen Wahrnehmung galten sie anfangs als Ausdruck künstlerischen Rebellentums durch Robin Hoods des Gutfilms – schließlich hatte hier der Regisseur (der gute Künstler) sein Recht erkämpfen können gegen die Studios – die bösen, geldgierigen Erbsenzähler. In wenigen Fällen hält diese Robin-Hood-Attitüde der Realität stand. Mit dem Kürzel "DC" kommen seither Filme wieder in die Kinos (oder in der modernen Variante auf DVD und Blu-ray heraus), deren Erstaufführung schon wenig hergegeben hatte und deren (meist) sehr viel längere DC-Version auch nichts zu deren Erhellung beitrugen.
Prominente Vertreter des Director's Cut sind James Cameron, dessen Terminator 2 (1991) auf DVD ebenso um 20 Minuten länger wurde, wie Camerons Fortsetzung Aliens – Die Rückkehr (1986) und George Lucas, der ein Jahr vor Krieg der Sterne – Episode I: Die Dunkle Bedrohung seinen Trilogie-Klassiker restauriert wieder auf die Leinwand brachte. Während Camerons DCs seinen Filmen durchaus verloren gegangene Charakterzüge zurückgab, brachte Lucas' Star Wars-Relaunch wenig neues Erhellendes, aber die Special Effects waren zeitgemäß aufgepeppt.
<Nachtrag 2014>Schaut man sich Scotts Final Cut heute an, wünscht man dem Film fast eine weitere Version – diesmal eine à la Lucas. Im Produktionsjahr von "Blade Runner", 1982, reichten die Visionen noch nicht an Flachbildschirme und Smartphones heran; so etwas gab es nur in Raumschiffen der Föderation, aber wohl nicht auf der Erde. Heute stören aber die winzigen Röhrengeräte, mit denen die Leute in Scotts Zukunftsvision an menschengeichen Robotern arbeiten, weil diese Geräte im Hier und Jetzt – fünf Jahre vor „Los Angeles 2019“ – längst Vergangenheit sind. Ohne dramaturgisch etwas zu verändern, könnte man die Geräte vielleicht digital in futuristische, immer noch speckige Monitore verwandeln, um dem modernen zuschauer die Irritation zu nehmen?</Nachtrag 2014>
"Blade Runner" basiert auf der Kurzgeschichte "Träumen Roboter von elektrischen Schafen" von Philip K. Dick, dessen Story "We can remember it for You Wholesale" 1990 die Vorlage für den Schwarzenegger-Film Die totale Erinnerung lieferte.
2017 drehte Regisseur Denis Villeneuve eine Fortsetzung des Films: Blade Runner 2049.
Regisseur Ridley Scott auf der Leinwand
Sir Ridley Scott (* 30. November 1937 in South Shields, England) ist ein britischer Filmregisseur und Filmproduzent. Er gilt als einer der renommiertesten und einflussreichsten Regisseure und hat die Erzählweisen mehrerer Filmgenres geprägt.
Scott ist Eigentümer der 1995 gegründeten Filmproduktionsfirma Scott Free Productions.
- Die Duellisten (The Duellists, 1977)
- Alien – Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt (Alien, 1979)
- Blade Runner (Blade Runner, 1982)
- Legende (Legend, 1985)
- Der Mann im Hintergrund (Someone to Watch Over Me, 1987)
- Black Rain (Black Rain, 1989)
- Thelma & Louise (Thelma & Louise, 1991)
- 1492 – Die Eroberung des Paradieses – (1492 – Conquest of Paradise, 1992)
- White Squall – Reißende Strömung (White Squall, 1996)
- Die Akte Jane (G.I. Jane, 1997)
- Gladiator (Gladiator, 2000)
- Hannibal (Hannibal, 2001)
- Black Hawk Down (Black Hawk Down, 2001)
- "Tricks" (Matchstick Men, 2003)
- Königreich der Himmel (Kingdom of Heaven, 2005)
- Ein gutes Jahr (A good Year, 2006)
- American Gangster (American Gangster, 2007)
- Der Mann, der niemals lebte (Body of Lies, 2008)
- Robin Hood (Robin Hood, 2010)
- Prometheus – Dunkle Zeichen (Prometheus, 2012)
- The Counselor (The Counselor, 2013)
- Exodus: Götter und Könige (Exodus: Gods and Kings, 2014)
- Der Marsianer (The Martian, 2015)
- Alien: Covenant (Alien: Covenant, 2017)
- Alles Geld der Welt (All the Money in the World, 2017)
- The last Duel (The last Duel, 2021)
- House of Gucci (House of Gucci, 2021)
- Napoleon (Napoleon, 2023)