Thelma Dickinson ist eine Hausfrau, deren Devise lautet: „Nur nicht die Übersicht verlieren!“ Leider ist sie etwas chaotisch. Ihren selbstgefälligen Gatten und ihr Hausfrauendasein hat sie gründlich satt.
Louise Sawyer ist Kellnerin und ihre Philosophie lautet: „Von allein geht gar nix.“ Sie hat genug von ihrem Job und der Tatsache, dass ihr Freund Jimmy sich einfach nicht festlegen will. Thelma und Louise entschließen sich, ein Wochenende abseits vom Alltag zu verbringen, um der Einöde ihrer Existenz ein Schnippchen zu schlagen. Aber in einer Tingeltangel-Bar irgendwo im Niemandsland gerät Thelma in die Hände eines angetrunkenen Fernfahrers. Der Trucker will sie gleich auf dem Parkplatz vernaschen. Thelmas verzweifelte Versuche, der drohenden Vergewaltigung zu entgehen, bleiben ohne Erfolg. Bis ein Schuss fällt: Louise erschießt den Trucker.
Jetzt sind sie Outlaws: Wer würde ihnen ihre Geschichte der Vergewaltigung abnehmen? Nachdem Thelma dem Toten zuvor auch noch schöne Augen gemacht hatte! Auf ihrer Flucht Richtung mexikanischer Grenze rauben sich die Frauen ihren Lebensunterhalt zusammen und haben schnell die Polizei am Hacken.
Die Hausfrauen, die längst keine Hausfrauen mehr sind, und auch gar nicht mehr sein wollen, machen aus ihrer verfahrenen Situation das Beste …
Irgendwann auf ihrer Flucht fahren die beiden Frauen durch das nachtschwarze Monument Valley in Arizona. Die Atom ist runtergedimmt, aus den Boxen klingt Marianne Faithfull "The Ballad of Lucy Jordan": At the age of thirty seven / She realized she'd never ride / Through Paris in a sports car / With the warm wind in her hair. Da ist der Film bei sich und seiner Geschichte angelangt. Es ist die schönste Szene des Films, der voller schöner, beeindruckender Szenen ist. Es ist das Ende des zweiten Akts. Es geht zu ende. Das spürt man im Kinosessel deutlich, auch wenn man es nicht glauben mag.
„Wie oft sollen die beiden noch beschissen werden!“ schreit der mitfühlende Cop Hal Slocumb seine Kollegen an, die mit entsicherten Gewehren die beiden Frauen im Fadenkreuz haben. Slocomb ist der einzige Mann mit Sprechrolle im Film, für den man sich als Mann nicht schämen muss. Die anderen Männer sind gewalttätige Liebhaber, Vergewaltiger und trinkende Ehemänner, denen die Polizei erklärt „Sagen Sie Ihr, dass Sie sie lieben. Frauen stehen auf so'n Scheiß!“ Und dann lachen sich alle Cops im Raum schlapp. Im Kinosessel sitzt man da und fragt sich, ob einem das eigentlich nie aufgefallen ist, all die Kellnerinnen, die das Hollywoodkino bevölkern und von Typen wie Clint Eastwood, Paul Newman oder Bruce Willis klein gehalten oder erst gar nicht beachtet werden.
Nun jedenfalls schlagen die Kellnerinnen zurück. Und nehmen alle anderen Frauen gleich mit. Klar, im Kino gab es schon in den 30er und 40er Jahren Frauen wie Bette Davis, Lauren Bacall, Barbara Stanwyck und und und, die das Attribut "stark" an sich kleben hatten. Aber diese Stärke war dann eher Verschlagenheit, „mit den Waffen einer Frau“ eben. Thelma und Louise, die Kellnerinnen, Freundinnen, schlagen mit den Waffen der Männer zu – zumindest mit denen der Hollwoodmänner. Sie töten, weil Männer sie beleidigen. Sie bringen Tanklaster zur Explosion, weil der Fahrer ihnen obszöne Gesten zuwirft. Sie rauben kleine Läden aus, weil Männer sie bestohlen haben. Und Ridley Scott hält sich und sie nicht lange mit der Frage nach der Moral auf.
Sie haben recht – sagen wir im Kinosessel. Sie sind im Unrecht – sagt das Gesetz und all die zahllosen Männer in Polizeiuniform. Stellvertretend für all die Arschlöcher mit Stern machen die beiden Frauen wenigstens einen von ihnen, schick ausstaffiert mit gebügelter Uniform, dieser klassischen Cop-Sonnenbrille und der ganzen Arroganz seines Amtes, zur kleinen wimmernden Schnecke; und die Sonnenbrille nimmt Louise ihm auch noch weg. Es ist eine zunehmende Freude, den beiden zuzuschauen, wie sie schnurstracks alle Konventionen über Bord werfen und feststellen, dass es ein anderes Leben da draußen gibt, abseits der prügelnden und fremdgehenden Männer, eines, in dem sie mit Mitte 30 im offenen Wagen fahren und der warme Wind ihnen durchs Haar bläst.
Von den Frauen, die beide eine Veränderung durchmachen, ist Thelma die beeindruckendere. Louise, die am Anfang die taffe Bescheidwisserin ist, wird im Laufe des Films lernen, dass sie relativ wenig unter Kontrolle hat, dafür Thelma um so mehr, die wir als Haushaltshäschen kennenlernen, die Angst vor ihrem Mann hat und sich kaum traut, ihn anzusprechen. Je weiter sie sich von ihm entfernt, desto deutlicher wird ihr, dass sie gar kein Leben gelebt hat. Dass sie dann ein Leben nur als Outlaw findet, ist die Tragik in der Geschichte.
Aber gespielt wird diese Geschichte dann von Gene Davis, von der man kaum ahnen konnte, was diese 1,90-Meter große Schauspielerin wirklich drauf hat, trotz ihres Oscars für die Nebenrolle in "Die Reisen des Mr. Leary" (1988), wo sie eine Frau spielt, die einem familienwunden Mann neuen Lebenssinn gibt. Sonst spielte Davis meist das Mädchen an seiner Seite oder hübsches Beiwerk ("Beetlejuice" – 1988; Die Fliege – 1986; Tootsie – 1982). Auch für ihre Thelma war sie wieder für den Oscar nominiert, blieb aber gegen Jodie Foster in Das Schweigen der Lämmer zweite Siegerin.
Susan Sarandon war auch für einen Hauptrollen-Oscar nominiert ("Annies Männer" – 1988; Die Hexen von Eastwick – 1987; Begierde – 1983; "Pretty Baby" – 1978; "Rocky Horror Picture Show" – 1975; Tollkühne Flieger – 1975; Extrablatt – 1974). Ein deutlicher Hinweis, wie groß beide Rollen gespielt und geschrieben sind. Wenigstens die Drehbuchautorin Callie Khouri ging mit einem Oscar nach Hause.
Mit Gespür für Momente und Gesten führt Ridley Scott die Regie über die Frauen in der Welt der widrigen Männer, in der sogar so hübsche und höfliche Typen wie das ehemalige Jeansmodel Brad Pitt sich als amoralische Betrüger erweisen, und lässt seinen Kameramann Adrian Biddle das Traumland Amerika wieder auferstehen, wie es Hollywood einst in seinen Western gefeiert hat. Aus den mit Tinnef vollgestellten Häusern der Verkäufer führen uns die Bilder in das Land der Fernfahrer mit ihren Trucks und Raststätten bis weit hinaus in große Landschaften in orangerot. Und wenn Thelma und Louise schließlich durch das nächtliche Monument Valley fahren, schneidet Cutter Thom Noble selten auf die geisterhaft angestrahlten Felsen. Stattdessen blendet er hin und her zwischen den Gesichtern der befreiten Frauen, die endlich lächeln.
Scott, Biddle und Noble waren – logisch – in ihren Gewerken für den Oscar nominiert.
Mit "Thelma & Louise" hatte Ridley Scott nach kargen Filmen (Legende, Der Mann im Hintergrund) wieder die Schlagzeilen für sich. Während einige Kritiker verstört „Gewaltverherrlichung” kritisierten, begründete Scott ein neues Sub-Genre, das Frauen in den Mittelpunkt von bislang männerdominierten Action-Filmen stellte. Gleichzeitig stellte er genannte Kritiker bloß, denn auch die gesammelten Werke der Männer-Action – von Terminator über Rambo bis "Red Scorpion" – verherrlichten demnach Gewalt.
Das Ende ist offen: Thelma & Louise rasen mit ihrem Cabrio über die Klippe. Klar, denkt man, die zerschellen, explodieren, whatever, sind jedenfalls tot. Moral gewinnt! Scott hatte ein alternatives Ende gedreht: Der Wagen zerschelt beim Aufprall nicht, explodiert auch nicht, die beiden Protagonistinnen entkommen in ein neues Leben. Das war den Moralhütern Hollywoods aber zu hoch und so existiert dieses Ende nur in den Making-of-Schnipseln der DVD- und Blu-ray-Auswertungen.
Das "Lexikon des Internationalen Films" freute sich: Eine mit viel Enthusiasmus für ihre Figuren durchsetzte schwarze Komödie, die das vertraute Klischee des ansonsten eher "männlich" akzentuierten Road-Movies mit neuem Sinngehalt erfüllt. Das präzise Drehbuch wurde in einen gleichermaßen unterhaltenden wie systemkritischen Film umgesetzt.
Regisseur Ridley Scott auf der Leinwand
Sir Ridley Scott (* 30. November 1937 in South Shields, England) ist ein britischer Filmregisseur und Filmproduzent. Er gilt als einer der renommiertesten und einflussreichsten Regisseure und hat die Erzählweisen mehrerer Filmgenres geprägt.
Scott ist Eigentümer der 1995 gegründeten Filmproduktionsfirma Scott Free Productions.
- Die Duellisten (The Duellists, 1977)
- Alien – Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt (Alien, 1979)
- Blade Runner (Blade Runner, 1982)
- Legende (Legend, 1985)
- Der Mann im Hintergrund (Someone to Watch Over Me, 1987)
- Black Rain (Black Rain, 1989)
- Thelma & Louise (Thelma & Louise, 1991)
- 1492 – Die Eroberung des Paradieses – (1492 – Conquest of Paradise, 1992)
- White Squall – Reißende Strömung (White Squall, 1996)
- Die Akte Jane (G.I. Jane, 1997)
- Gladiator (Gladiator, 2000)
- Hannibal (Hannibal, 2001)
- Black Hawk Down (Black Hawk Down, 2001)
- "Tricks" (Matchstick Men, 2003)
- Königreich der Himmel (Kingdom of Heaven, 2005)
- Ein gutes Jahr (A good Year, 2006)
- American Gangster (American Gangster, 2007)
- Der Mann, der niemals lebte (Body of Lies, 2008)
- Robin Hood (Robin Hood, 2010)
- Prometheus – Dunkle Zeichen (Prometheus, 2012)
- The Counselor (The Counselor, 2013)
- Exodus: Götter und Könige (Exodus: Gods and Kings, 2014)
- Der Marsianer (The Martian, 2015)
- Alien: Covenant (Alien: Covenant, 2017)
- Alles Geld der Welt (All the Money in the World, 2017)
- The last Duel (The last Duel, 2021)
- House of Gucci (House of Gucci, 2021)
- Napoleon (Napoleon, 2023)