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Plakatmotiv: Mission: Impossible – Dead Reckoning Teil 1 (2023)

Spannende Unterhaltung, aber ohne einen
gelungenen Teil 2 ist dann alles Nichts

Titel Mission: Impossible – Dead Reckoning Teil 1
(Mission: Impossible - Dead Reckoning Part One)
Drehbuch Bruce Geller & Erik Jendresen & Christopher McQuarrie
nach Motiven und mit Charakteren der gleichnamigen TV-Serie, geschrieben von Bruce Geller
Regie Christopher McQuarrie, USA 2023
Darsteller

Tom Cruise, Hayley Atwell, Ving Rhames, Simon Pegg, Rebecca Ferguson. Vanessa Kirby, Esai Morales, Pom Klementieff, Henry Czerny, Shea Whigham, Greg Tarzan Davis, Frederick Schmidt, Mariela Garriga, Cary Elwes, Charles Parnell, Mark Gatiss, Indira Varma, Rob Delaney u.a.

Genre Action
Filmlänge 163 Minuten
Deutschlandstart
13. Juli 2023
Inhalt

Ethan Hunt soll eine neuartige Waffe ausfindig machen, die dazu in der Lage ist, die Menschheit an den Rand des Dritten Weltkriegs zu führen – und sieht sich gleich mit mehreren mächtigen Gegnern konfrontiert.

Denn zahlreiche Schurken wollen ebenfalls in den Besitz des Schlüssels gelangen, der ihnen die Kontrolle über die mysteriöse Waffe geben würde. Doch der gefährlichste Feind hat weder einen Namen noch ein Gesicht: eine künstliche Intelligenz, die den Agenten immer einen Schritt voraus ist, aber selbst vollkommen unberechenbar agiert.

Ein globaler Wettlauf um das Schicksal des Planeten beginnt – der Ethan Hunt gleichzeitig vor einige folgenschwere persönliche Entscheidungen stellt …

Was zu sagen wäre

Das "Mission: Impossible"-Franchise so wie wir es seit 1996 kennen (s.u.) biegt auf die Zielgerade ein. Das merkt man daran, dass auf dem Filmplakat kein einfacher Titel mehr steht, sondern einer mit "Teil 1" dahinter. Seit den alten Harry Potter-Zeiten ist es bei den Einspielverwöhnten Filmstudios Usus, den letzten Teil einer Gelddruckmaschine auf zwei Teile zu strecken, um den Abschiedsschmerz etwas zu lindern und das Kasseneinspiel im Idealfall zu verdoppeln. Was gut für die Studios sein mag, tut dem Teil-1-Film nicht gut und wer weiß, Tom Cruise mag als Ethan Hunt in Rente gehen, das Franchise kann mit neuer Besetzung und bei entsprechender Qualität ja noch Jahre überdauern.

Außerdem: Was für ein Gegner, der die Meister der Impossible Mission Force (IMF) überlistet, soll auch noch kommen nach einer KI? Der siebte Teil des Franchise schafft es, mitten in eine hitziger werdende Debatte um Künstliche Intelligenz in den Kinos zu starten. Draußen reden sie über die Gefahren von ChatGPT, drinnen sorgt die "Entität" für Angst und Schrecken, eine Software, die sich selbständig gemacht, sämtliche Computersysteme der Welt infiltriert und die Nachricht hinterlassen hat, dass sie demnächst wieder vorbeischaue und dann vielleicht eine Atomrakete zündet. In der Zwischenzeit hat sie sich ins Internet verabschiedet, was unsere Gadget-verliebten Agenten dazu zwingt, auf die analoge Technik von Magnetbandaufzeichnungen zurückzugreifen, denn alles, was mit Einsen und Nullen betrieben wird, kann die "Entität" jederzeit und überall beeinflussen.

COVID rettet das Drehbuch

Kurz: Die "Entität", hat die Welt an den Eiern. Und das kommt uns heute weniger blöd vor, als vor zwei Jahren. Da sollte "Dead Reckoning Teil 1" ursprünglich starten. Da kam aber allerorten Corona dazwischen. Die Dreharbeiten in Venedig mussten 2020 unterbrochen werden, ebenso die in Rom. Überall wurden aufwändige COVID-Schutzmaßnahmen notwendig. Aus "Juli 2021" wurde "November 2021", dann 27. Mai 2022, dann 30. September 2022 und schließlich 12. Juli 2023. Für die letzte Verschiebung soll nicht zuletzt auch Tom Cruise in seiner Eigenschaft als bankable Star und Produzent  verantwortlich gewesen sein, der noch vor der Veröffentlichung von "Mission: Impossible – Dead Reckoning Part 1" auch den nächsten Teil abdrehen wollte. Das sollte sicherstellen, dass beide Filme nahtlos mit einem Cliffhanger ineinander übergehen.

Und so startet der Kampf gegen die böse KI im Kino pünktlich als Debattenbeitrag zur gesellschaftspolitischen Diskussion über KI im wahren Leben. Die "Entität" verbreitet Fake News, lässt ein russisches Atom-U-Boot sich selbst abschießen und leitet selbst Ethan Hunt bei einer Verfolgung in die Irre. Was die KI aber eigentlich vorhat, bleibt offen und wird wohl erst in Teil 2 präzisiert, der im Sommer 2024 starten soll. Bis dahin hält sie sich einen "Gabriel" als Stellvertreter auf Erden, einen Mann, den Ethan Hunt in schlechter Erinnerung hat, der immer alles über alles zu wissen scheint und bei dem man irgendwann anfängt zu schauen, ob ihm nicht irgendwo Drähte aus dem Kopf hängen.

Der Handlung fehlt ein veritabler Schurke

Gabriel ist offensichtlich als visuelle Notwendigkeit ins Drehbuch geschrieben worden. Andernfalls hätte sich der Kampf des IMF-Teams gegen ein mörderisches Computerprogramm auf eine mittelspannende Bildschirmdaddelei reduziert, die dann sicher nicht die kolportierten 400 Millionen Dollar Produktionsbudget verschlungen, dafür aber auch kaum mehr als 98,99 Dollar eingespielt hätte. Tatsächlich ist der Schlüssel zur Rettung der Welt ein Schlüssel, den es in diesen ersten 164 Minuten zu jagen und zu finden gilt. Und natürlich besteht der Schlüssel aus zwei Teilen. Auf der Metaebene ist es wunderbar, dem Drehbuch dabei zuzuschauen, wie es immer neue Gründe erfindet, die Agenten von Abu Dhabi nach Rom nach Venedig nach Österreich und immer neue abstruse Szenarien zu schicken. Selbstverständlich sind „alle Geheimdienste der Welt hinter dem Schlüssel her“, weil alle Regierungen der Welt ihn nutzen wollen, um mithilfe der KI die absolute Weltherrschaft anzutreten. Einzig Ethan scheint daran gelegen zu sein, den Schlüssel zu nutzen, um die KI zu vernichten. Sofern er nach dem Schlüssel noch das Schlüsselloch findet, in das der zweiteilige Schlüssel gesteckt werden muss. Hinter dem Schlüsselloch, so heißt es, befinde sich das Zentrum der KI, das man zerstören oder nutzen könne.

Es sind also wieder alle hinter allen her und alle zusammen einschließlich der eigenen Geheimdienstleute hinter Ethan Hunt und seinen Freunden Luther, Benji und Ilsa sowie der neu dazugekommenen Profidiebin Grace, die Schlüssel aus Westentaschen ebenso schnell und elegant verschwinden lassen kann wie Luther russische Spionage-Satelliten hackt. Grace wird gespielt von Hayley Atwell, die ihre Karriere im Fernsehen mit Rollen in romantischen Kostümfilmen startete, für Woody Allen in Cassandras Traum (2007) arbeitete und sich in den vergangenen Jahren als Agent Carter in den weitschweifigen Verästelungen des Marvel Cinematic Universe etabliert hat. Die Taschendiebin ist eine Einzelgängerin, die sich zwischen Hunt und ihrer Einzelgängerfreiheit nicht entscheiden kann, die dauernd einen Teil des Schlüssels klaut und wieder verliert – und die nicht Auto fahren kann, was zu einer der schönsten Verfolgungsjagden im jüngeren Kino führt, in Rom in einem quetschgelben Fiat 500, verfolgt von einem Panzerwagen und allen Polizeiautos der Stadt; sie kreischend hinterm Steuer, neben ihr Ethan Hunt, der wie ein Fahrlehrer Anweisungen gibt „Hier links! Da Rechts!“, die nicht befolgt werden (die Spanische Treppe soll die Dreharbeiten dennoch ohne Kratzer überstanden haben); diese Szenen sind visuell der Magic Moment des Films, als wäre man in Rom selbst dabei. Haley Atwell ist kein zierliches Prinzesschen, sie kann Action glaubhaft spielen, was in einem Tom-Cruise-Film unbedingt von Vorteil ist (Top Gun: Maverick – 2022; Mission: Impossible – Fallout – 2018; Barry Seal: Only in America – 2017; Die Mumie – 2017; Jack Reacher: Kein Weg zurück – 2016; Mission: Impossible – Rogue Nation – 2015; Edge of Tomorrow – 2014; Oblivion – 2013; Jack Reacher – 2012; Knight and Day – 2010; "Operation Walküre" – 2008; Tropic Thunder – 2008; Von Löwen und Lämmern – 2007; Krieg der Welten – 2005; Collateral – 2004; Last Samurai – 2003; Minority Report – 2002; Vanilla Sky – 2001; Magnolia – 1999; Jerry Maguire: Spiel des Lebens – 1996; Mission: Impossible – 1996; "Interview mit einem Vampir" – 1994; Die Firma – 1993; Eine Frage der Ehre – 1992; In einem fernen Land – 1992; Tage des Donners – 1990; Geboren am 4. Juli – 1989; Rain Man – 1988; Cocktail – 1988; Die Farbe des Geldes – 1986; Top Gun – 1986; Legende – 1985; Der richtige Dreh – 1983; Die Outsider – 1983; Lockere Geschäfte – 1983; Die Kadetten von Bunker Hill – 1981). Es ist eine reizvolle Klammer, dass der High-Tech-Agent seinen Einsatz gegen die KI auf dem Rücken eines Pferdes beginnt und auf dem Dach eines fahrenden Zuges beendet – alles analoge Fortbewegungsmittel aus dem vergangenen Jahrhundert.

Ein Film, der nicht genug Fragen stellt

Ja, es ist wieder mal das Dach eines rasenden Zuges, auf dem sich die Protagonisten prügeln und aufpassen müssen, nicht von Signalbrücken und Tunneldächern vom Zug gefegt zu werden. Da hat der Film seinen brachial vermarkteten Superstunt – Tom Cruise rast mit einem Motorrad über eine Klippe, springt ins Leere und öffnet schließlich einen Fallschirm – hinter sich und taumelt auf ein Irgendwie-Finale zu, das keines sein kann, weil für Teil 2 was übrig bleiben muss. Plakatmotiv: Mission: Impossible – Dead Reckoning Teil 1 (2023) Die Schlägerei auf dem Zugdach ist banal, nachdem wir zwei Stunden lang mit Premium-Schauwerten und origineller Action befeuert worden sind. Die durch Corona angehaltenen und später wieder aufgenommenen Dreharbeiten in Rom und Venedig hat Kameramann Fraser Taggart für wunderschöne Stadtpanoramen und hinreißende Actionfotografie genutzt. Da schnalze ich im Kinosessel mit der Zunge – und dann kommt das Zugdach. Auch hier hat Cruise zum Teil auf einem tatsächlich fahrenden Zug gearbeitet, aber man sieht eben doch, dass die Hauptaction, die wir ja nun schon in hunderten Filmen gesehen haben, angefangen bei frühen Western und nicht aufgehört beim ersten Mission: Impossible-Film, vor Green- oder Blue-Screen gedreht ist und nichts Neues hat. Erst, als der Zug dann von einer zerstörten Brücke stürzt, Waggon nach Waggon langsam über die Kante gezogen wird, während Ethan und Grace versuchen, möglichst weg von der Kante, möglichst weit ans andere Ende des Zuges zu kommen, bin ich wieder wach.

Und dann ist halt plötzlich Schluss. Es stellt sich dieses unbefriedigende Empire strikes back-Gefühl ein, als das 1980 zum ersten Mal so unbefriedigend war: Wir hatten einen tollen Film gesehen (bis heute mindestens Platz 2 in der neunteiligen Saga), gingen aber trotzdem unbefriedigt nach Hause. Bei "Mission: Impossible – Dead Reckoning Teil 1" habe ich einen sehr ausführlichen Prolog gesehen, der (bis auf die Schlägerei auf dem Zugdach) Spaß macht, bemerkenswert analog inszeniert ist, allerdings auch keine Fragen stellt. Außer der, was der Filmtitel eigentlich bedeutet. Klar: Es ist ein M:I-Film, da ist der Titel nicht so wichtig. Aber seit die Produzenten sich von der reinen Nummerierung verabschiedet haben, ergaben die Titel Phantom Protokoll (2011), Rogue Nation (2015) und Fallout (2018) weitestgehend Sinn. Wörtlich übersetzt bedeutet "Dead Reckoning" sowas wie Blinde Berechnung, aber tatsächlich ist "Dead Reckoning" der englische Begriff für "Koppelnavigation" – ein Begriff aus der Nautik: U-Boote und Flugzeuge nutzen im Blindflug den letzten bekannten Aufenthaltspunkt und machen sich die ab dort gefahrene Zeit, einen Kompass und Karten zunutze, um möglichst unfallfrei zu navigieren. Ein U-Boot spielt im Film tatsächlich eine Rolle, allerdings ohne Koppelnavigation. Eher spielt der Titel wohl auf den Blindflug der Agenten an, die sich auf ihre digitalen Gadgets nicht mehr verlassen können. Regisseur Christopher McQuarrie sagt (im "Mission: Impossible"-Podcast "Light The Fuse"), der Filmtitel passe ohnehin eher zur Handlung von Teil 2 und weniger zum aktuellen Film.

Eine Vielzahl erzählerischer Löcher

Die Frage, die der Film latent befeuert, lautet "Was will die KI?“ Aber die endet ja spätestens in der Antwort Naja, die Welt erobern! Spannender wäre: Steckt da noch jemand dahinter? Welche Ziele hat der? Oder die? Ist Gabriel am Ende sowas wie ein Avatar seiner selbst, der in Wirklichkeit der, was weiß ich, französische Präsident ist? Zu keiner einer solchen Frage werden Fäden geknüpft. Eigentlich gehen wir nur davon aus, dass "Dead Reckoning Teil 2" actionmäßig noch einen drauf setzt – was sicherlich so sein wird. Hoffentlich dann auch wieder erzählerisch, denn was "Teil 1" sich in unerklärlicher Vielzahl erlaubt, sind erzählerische Löcher.

Zu den "Mission: Impossible"-Filmen gehören die geschickten Masken, mit denen Ethan Hunt ein ums andere Mal sogar Weltmächte düpiert. Im aktuellen Film soll Hayley Atwell Vanessa Kirby doublen, also die Diebin Grace die Waffenhändlerin White Widow (die wir in M:I – Fallout kennengelernt haben). Es scheint niemandem aufgefallen zu sein, dass Grace braune, White Widow aber blaue Augen hat. Nicht mal ihrem personell assistent aka Bodyguard fällt auf, dass seine Chefin plötzlich braune Augen hat, geschweige denn dem hochmögenden Händler, der mit der weltweit vernetzten Waffenhändlerin in Sachen "Entität" ins Geschäft kommen will. Zum Ende hin reihen sich noch einige Rettungsaktionen-in-letzter-Sekunde, die so hanebüchen sind, dass ich alle M:I-Verliebtheit einsetzen muss, um nicht Wollt Ihr mich verarschen-schreiend aus dem Saal zu laufen. Ich weiß ja, es kommt ein Teil 2, der ganz bestimmt sicher alles zur Zufriedenheit auflösen wird *dreimalaufHolzklopf*.

Wertung: 5 von 8 €uro
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