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Plakatmotiv: Magnolia (1999)

Große Schauspieler
überfrachteter Film

Titel Magnolia
(Magnolia)
Drehbuch Paul Thomas Anderson
Regie Paul Thomas Anderson, USA 1999
Darsteller

Julianne Moore, William H. Macy, John C. Reilly, Tom Cruise, Philip Baker Hall, Philip Seymour Hoffman, Jason Robards, Alfred Molina, Melora Walters, Michael Bowen, Ricky Jay, Jeremy Blackman, Melinda Dillon, April Grace, Luis Guzmán u.a.

Genre Drama
Filmlänge 188 Minuten
Deutschlandstart
13. April 2000
Inhalt

An einem zufälligen Tag im San Fernando Valley: Wir begegnen den unterschiedlichsten Menschen. Ein sterbender Vater, eine junge Ehefrau, ein Hausmeister, ein verlorener Sohn, ein verliebter Polizist, ein cleverer Junge und der Gastgeber einer Game Show. Durch die Verquickung von Zufall, Glück, menschlichen Taten und göttlicher Einmischung werden diese Menschen die Leben der jeweils anderen kreuzen.
An diesem Tag, den ein unvergesslicher Höhepunkt krönen soll.

Ein "Magnolia"-Stammbaum

  • Earl Partridge: unheilbar krebskrank. Bevor er stirbt, möchte er noch einmal mit seinem verlorenen Sohn sprechen.
  • Linda Partridge: Erst als der Ehemann, den sie einst des Geldes wegen geheiratet hat, stirbt, stellt sie fest, dass sie ihn liebt.
  • Frank Mackey: TV-Guru in Sachen Verführung und derzeit absolute Nummer 1. Bis zu dem Tag, an dem er mit seiner Familie klarkommen muss.
  • Stanley Spector: Ein Kind, ein Genie, das zum Quiz-Show-Star wird, weil er alle Antworten hat. Nur die Frage, wie er die Liebe seines Vaters gewinnt, kann er nicht beantworten.
  • Rick Spector: Unfähig, sein eigenes Leben in Ordnung zu bringen, lebt er von dem Genie seines Sohnes.
  • Donnie Smith: War in der 60ern mal ein Quiz-Show-Star. Hat sein Leben nicht im Griff und hängt seinen Träumen von der Liebe nach.
  • Jimmy Gator: Gastgeber der Quiz-Show, Sinnbild der hehren Familienwerte, der im wahren Leben das genaue Gegenteil ist.
  • Rose Gator: Ihrem Ehemann stets treu wird sie bald dessen letztes Geständnis zu hören bekommen.
  • Claudia Wilson Gator: Lebt vor der Glotze und von Kokain. Eigentlich möchte sie nur endlich einmal jemandem die Wahrheit sagen.
  • Officer Jim Kurring: Der mitleidsvolle LAPD-Beamte verliebt sich während einer Routine-Untersuchung.
  • Dixon: angehender Gedächtnis-Akrobat oder Straßen-Poet? Dixon auf jeden Fall ist Auge und Stimme seiner Nachbarschaft.
Was zu sagen wäre

24 Stunden aus dem Leben im San Fernando Valley (Kalifornien). Hier ist Paul Thomas Anderson, der diesen Film gedreht hat, aufgewachsen. Das Valley ist seine bevorzugte Gegen fürs Geschichten erzählen – auch sein Boogie Nights (1997) spielt dort – und Geschichten hat er in "Magnolia" jede Menge zu erzählen. Geschichten, die – manche nur lose – miteinander verknüpft sind, was aber keine Rolle spielen wird.

Menschen liegen im Sterben oder geben sich ihrer Rauschgiftsucht hin, zwei suchen nach der Liebe, einer macht seinen Hass auf Frauen zu Geld, eine verzweifelt an der Liebe zu ihrem sterbenden, viel älteren Mann. Und ein Junge, der alles weiß, versucht die Liebe seines Vaters zu gewinnen, der dessen Wissen nur zu Geld machen will. Geschichten von Vätern und Söhnen, Söhnen und ihren Vätern, über Schuld und Vergebung, Leben und Tod. Plakatmotiv: Magnolia (1999) Aber es bleiben einzelne Geschichten, die keine ganze Geschichte ergeben – es sei denn auf der Metaebene über besagte Väter, Söhne, Schuld und Vergebung, die man besser im Hier und Jetzt erwirkt, weil das nach dem Tod nicht mehr geht und man dann eine ewige, nicht zu sühnende Schuld mit sich herumträgt. Zusammengehalten wird das von einer virtuosen Arbeit an der Kamera und wunderbaren Schauspielern.

Am weitesten aus dem Fenster lehnt sich wahrscheinlich Tom Cruise. Der spielt Frank, einen erfolgreichen Motivator und Trainer für frustrierte Männer, denen er frauenfeindliche Aufreißertechniken beibringt. Cruise, den wir immer noch mit Zahnpastalächeln und Strahlemann-Image verbinden (Jerry Maguire: Spiel des Lebens – 1996; Mission: Impossible – 1996; "Interview mit einem Vampir" – 1994; Die Firma – 1993; Eine Frage der Ehre – 1992; In einem fernen Land – 1992; Tage des Donners – 1990; Geboren am 4. Juli – 1989; Rain Man – 1988; Cocktail – 1988; Die Farbe des Geldes – 1986; Top Gun – 1986; Legende – 1985; Der richtige Dreh – 1983; Die Outsider – 1983; Lockere Geschäfte – 1983; Die Kadetten von Bunker Hill – 1981), tritt im ersten Drittel als Dämon auf. Diabolisches Grinsen, harte Macker-Attitüde und das Licht auf der Bühne strahlt ihn von unten an. Cruise ist in dieser Rolle für einen Oscar (männliche Nebenrolle) nominiert – nachvollziehbar. Seine Figur Frank hat mit einem Vaterkomplex zu kämpfen, seit sein Vater den kleinen Frank und dessen pflegebedürftige Mutter im Stich ließ. In der amerikanischen Kultur ist das eine große Geschichte, die zwischen Söhnen und ihren abwesenden Vätern. Letztere haben in zwei Weltkriegen, dann in Korea, in Vietnam und gerade im Nahen Osten gekämpft und fehlten den Söhnen als liebendes Vorbild, vielleicht erklärt sich dadurch die Unerschütterlichkeit des Topos. Mütter spielen in Andersons Film keine Rolle. Die einzige, die in Erscheinung tritt (Melinda Dillon als Rose Gator), hat gerade so noch eine Sprechrolle. Philip Baker Hall spielt einen väterlichen Quizmaster, der seit mehr als 30 Jahren Fragen stellt, die meistens Kinder schneller beantworten als Erwachsene und es stellt sich dann heraus, dass der väterliche alte Mann Kinder, vor allem die eigene Tochter, mehr liebt, als sich das für einen älteren Herrn geziemt. Dann gibt es da einen, der vor Jahrzehnten in dieser Quizshow der Star war, das "Quiz Kid", und der heute mit dem Leben nicht zurande kommt, was ausnahmsweise nichts mit einem Vater zu tun hat. Aber der will sich unbedingt eine Zahnspange setzen lassen, die er gar nicht nötig hat und auch gar nicht bezahlen kann, denn aus seinem Job als Verkäufer in einem Elektroladen ist er gerade erst gefeuert worden. William H. Macy spielt ihn und auch spielt seinen Loser ganz überzeugend, so dass wir im Kinosessel mit ihm fühlen. Der große Jason Robards (Der Staatsfeind Nr. 1 – 1998; Crimson Tide – In tiefster Gefahr – 1995; Schlagzeilen – 1994; Philadelphia – 1993; Die grellen Lichter der Großstadt – 1988; Die Unbestechlichen – 1976; Pat Garrett jagt Billy the Kid – 1973; Spiel mir das Lied vom Tod – 1968; Die fünf Geächteten – 1967; Höchster Einsatz in Laredo – 1966) spielt einen ans Bett gefesselten, siechen alten Mann, Plakatmotiv: Magnolia (1999) der seine Fehler im Leben bereut und seinem Pfleger das Versprechen abnimmt, nicht dieselben Fehler zu machen.

Und so treiben wir durch das Valley, schauen hier hinein, hören dort zu und nach knapp drei Stunden regnet es Frösche vom Himmel. Im aufbereitenden Feuilleton und in Interviews mit Paul Thomas Anderson können wir erfahren, dass das alles im Film vorbereitet wird. Der Froschregen sei schließlich eine Anlehnung aus der Bibel, wo es in "Exodus 8.2" heißt: „Aaron streckte seine Hand über die Gewässer Ägyptens aus. Da stiegen die Frösche herauf und bedeckten ganz Ägypten.“ Und der Begriff "Exodus 8.2" tauche ja in der Gameshow auf auf einem Schild, das ein Mann hochhält. Zudem ziehe sich die Zahl 82 – 8.2 – durch den ganzen Film, erscheine in den unterschiedlichsten Situationen als zahl, als Muster, in einer Schrifteinblendung. Unerklärt bleibt, was "Exodus 8.2" und die Frösche mit den einzelnen Familienfragmenten zu tun hat, die im Film erzählt werden. Auch der Filmtitel "Magnolia" bestehe aus acht Buchstaben und klinge so ähnlich wie der Begriff "Magonia", sagt Anderson, den Charles Fort und Jacques Vallée geprägt hätten, für einen Ort im Himmel, an dem Dinge so lange verbleiben, bis sie wieder zur Erde zurückfallen. Manche Szene spielt am Magnolia Blvd. im Valley. Das erklärt den kryptischen Filmtitel vielleicht am einfachsten.

Mir hat sich der Film als Ganzes nicht erschlossen, auch wenn ich gefüttert mit vielen schönen oder intensiven oder atemberaubenden oder skurrilen Szenen im Kopf nach Hause gehe. Auch der Zauber, dem so viele Zuschauer erliegen, auf die auch die vielen Nominierungen für diverse Filmpreise hindeuten, bleibt mir verschlossen. Anderson bettet sein Drehbuch in drei haarsträubende Geschichten, die von irren Zufälllen berichten, „bei denen wir normalerweise sagen 'Im Kino würde ich das nicht glauben!'“, die uns zeigen sollen: „Das alles passiert wirklich. Das alles passiert wirklich.“ Dabei bestreitet das während der drei Stunden Film keiner – auch nicht im Kinosessel. Dort aber bleibt die Frage zurück: Warum das Ganze?

Wertung: 4 von 11 D-Mark
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