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Plakatmotiv: Rain Man (1988)

Ein Mann findet seinen Frieden in der Welt
über Einen, der die Welt nicht wahrnimmt

Titel Rain Man
(Rain Man)
Drehbuch Barry Morrow & Ronald Bass
Regie Barry Levinson, USA 1988
Darsteller

Dustin Hoffman, Tom Cruise, Valeria Golino, Gerald R. Molen, Jack Murdock, Michael D. Roberts, Ralph Seymour, Lucinda Jenney, Bonnie Hunt, Kim Robillard, Beth Grant, Dolan Dougherty, Marshall Dougherty, Patrick Dougherty, John-Michael Dougherty u.a.

Genre Drama
Filmlänge 133 Minuten
Deutschlandstart
16. März 1989
Inhalt

Charlie Babbitt ist ein Autohändler, der sich durch dubiose Geschäfte und krumme Halbwahrheiten über Wasser hält. Der junge Mann zeichnet sich eher durch Egoismus als Empathie aus und zieht es vor, Probleme nicht an sich heranzulassen.

Auf dem Weg zu einem neuen Deal erhält er die Nachricht vom Tod seines Vaters. Die beiden hatten seit Jahren keinen Kontakt mehr. Bei der Testamentseröffnung erfährt Charlie, dass das Erbe von drei Millionen Dollar nicht an ihn geht, sondern an Raymond "Ray" Babbitt, seinen autistischen Bruder, von dessen Existenz er bis dato nichts wusste.

Mit seiner Freundin Susanna macht Charlie sich auf, "Ray" zu finden, und entführt ihn kurzerhand. Das Ziel: Die Vormundschaft für den in einem Heim für Menschen mit geistiger Behinderung untergebrachten Bruder zu übernehmen, um an das Geld heranzukommen. So beginnt ein Roadtrip quer durch die USA, wobei Charlie zunächst Schwierigkeiten hat, Rays Verhalten und seine Sicht der Welt nachzuvollziehen.

Doch langsam entwickelt sich eine enge Bindung zwischen den Brüdern. Charlie verändert sich zunehmend und wandelt sich zu einem aufopferungsvollen jungen Mann, der den Menschen in seiner Umgebung mit Toleranz und Empathie begegnet. Er lernt, wie wichtig menschliche Zuneigung und familiäre Bande sind …

Was zu sagen wäre

Die Brüder haben am Black-Jack-Tisch gerade ein paar zehntausend Dollar gewonnen, eine wahrlich Glückssträhne, da steht der Ältere auf, weil er ein Glücksrad rattern hört, wie er das aus seiner geliebten Fernsehsendung kennt und nichts und niemand bringt ihn jetzt davon ab, auf die richtige Zahl zu setzen. Er sagt „20" und sein kleiner Bruder setzt 3.000 Dollar – und verliert. Derselbe kleine Bruder hat bis vor drei Minuten im Blackjack wegen der besonderen Fähigkeiten seines großen Bruders jene mehreren zehntausend Dollar gewonnen. Zurück beim Blackjack gewinnen sie noch ein paar mehr. Aber dem großen Bruder ist das völlig gleichgültig. So gleichgültig wie ein paar Szenen zuvor der in tausend Lichtern glitzernde Las Vegas Strip, dem er den kleinen Schwarz-Weiß-Schirm seines "Wachman" vorzog.

Dieser große Bruder, Raymond, hat eine andere Wahrnehmung von der Wirklichkeit, als der kleine Bruder, Charlie. Der ist ein windiger Gebrauchtwagenhändler für italienische Luxuskarren, glaubt am großen Rad zu drehen, dabei dreht das große Rad längst ihn. Er braucht dringend Geld, und als sein Vater stirbt, hat er das zu erwartende Drei-Millionen-Dollar-plus-Anwesen-Erbe schnell in sein Leben eingepreist, um dann zu erfahren, dass er das nicht nur nicht bekommen wird, sondern dass er auch noch einen älteren Bruder hat. Dieser ältere Bruder Raymond ist die Windmühle, gegen die Don Charlie Quijote in den nächsten zwei Kinostunden ankämpft.

Denn dieser unbekannte Bruder, Raymond, ist Autist. Seine Wahrnehmung des Alltags ist eine andere als unsere, über die er auch nicht mit sich diskutieren lässt. Er braucht seine Käsebällchen, den Ahornsirup auf dem Tisch bevor die Pancakes serviert werden, die pünktliche Einhaltung der Fernsehzeiten für Gerichtssendung und Glücksrad, und Licht aus pünktlich um 23 Uhr – keine Minute früher, keine Minute später. Menschen wie Raymond sind in unserem durchgetackteten Alltag nicht lebensfähig, daher gelten sie als "behindert". Autismus gibt es in vielerlei Ausprägung, manche Autisten reagieren überhaupt nicht auf ihr Umfeld, Raymonds Version gilt unter Psychologen als Luxusausgabe. Er kann mit der Außenwelt eingeschränkt kommunizieren, er kann in gewissem Umfang geleitet werden, er ist beschlagen in Zahlen – wenn Zahnstocher zu Boden fallen, erkennt er sofort, wieviele Zahnstocher da liegen, er kann sofort sagen, was das Produkt aus 4.758 mal 8.396 ist. Wegen dieser Inselbegabung gewinnt er ununterbrochen an jenem Black-Jack-Tisch in Las Vegas. Um diesen Inselbegabten dreht sich der Film und Dustin Hoffman, der ihn spielt, hat auch zurecht den Hauptrollen-Oscar bekommen (Tootsie – 1982; Kramer gegen Kramer – 1979; Der Marathon-Mann – 1976; Die Unbestechlichen – 1976; Papillon – 1973; Wer Gewalt sät – 1971; Little Big Man – 1970; "Asphalt Cowboy" – 1969; Die Reifeprüfung – 1967). Aber er konnte darin erst glänzen, als das – ebenfalls Oscar-prämierte – Drehbuch um diese Figur, die für sich nach zehn Minuten langweilig wäre, eine komplexere Story entwickelt.

Die Geschichte also, die dieser Film erzählt, ist die eines Saulus, der zum Paulus wird. Durch diesen älteren Bruder. Aber auch erst, wenn er erkennt, dass er, Saulus, gar nicht Don Quijote ist, der gegen sich nie ändernde Windmühlen kämpft. Sondern, dass er zu Paulus wird, wenn er sich auf den speziellen Rhythmus des älteren Bruders einlässt, mit ihm schwingt, dafür sorgt, dass der Ahornsirup vor den Pancakes auf dem Tisch steht. Das Millionenerbe, dem er hinterher jagt, wird er nicht erhalten, das ist von vornherein klar (das sind die Windmühlen: Charlie wird sein Leben nicht auf Raymonds Rücken finanziert bekommen), aber in Las Vegas immerhin findet das Drehbuch für diese nach dem Kauf einer Kinokarte unerquickliche Erkenntnis – „Und dafür soll ich über zwei Stunden im Kino sitzen, wenn sich dann gar nichts ändert?“ – den entscheidenden Kniff. Die Welthauptstadt des kalten Kommerz' bringt die Brüder einander näher.

Nachdem Charlie gerade sein schlechtes Gewissen unter Kontrolle bekam, weil er an einer heißen Motel-Badewanne gelernt hat, warum Raymond ins Heim geschickt wurde, als er selber zwei Jahre alt war, dass seine, Charlies, Eltern das zu seinem, Charlies, Schutz getan haben, dass sein Vater also augenscheinlich gar nicht der kalte Arsch war, als den wir ihn seit Filmbeginn kennen, lernt der schon länger nicht mehr so windige Gebrauchtwagenhändler jetzt auch einen geschäftlich interessanten Partner in seinem älteren, inselbegabten Bruder kennen; jetzt kann der Kapitalist Charlie mit ihm umgehen.

Für Raymond ist am Ende eigentlich alles wie am Anfang, aber Fingerzeige signalisieren, dass er doch mehr antizipiert, als es beim flüchtigen Betrachter den Anschein hat. Dustin Hoffman spielt das sehr fein und nuanciert; nie an Zuschauer oder Bruder ran wanzend, aber am Ende ein bisschen ein anderer als am Anfang. Ganz ein anderer ist am Ende Charlie, den einer spielt, dem man so eine komplexe Rolle nicht unbedingt zugetraut hätte, aber Tom Cruise spielt den windigen Gebrauchtwagenhändler, den Saulus, der zum Paulus wird, virtuos.

Eine wichtige Rolle spielt hier die 23-jährige Valeria Golino, die Charlies On-Off-Freundin Susanna spielt. Sie trägt als Identifikationsfigur das erste Drittel des Films, als noch nicht so klar ist, wohin die Reise auf der Leinwand da eigentlich geht; die Erzählung braucht ihre Zeit, um zum Kern zu kommen und Tom Cruise ist da als Sympathieträger noch ein Ausfall. Golino trägt den Film in dieser umkoordinierten Startphase, in der wir noch nicht wissen, warum wir uns für diesen Autoverkäufer erwärmen sollen, auch wenn der von dem Star der Stunde, Tom Cruise, gespielt wird (Cocktail – 1988; Die Farbe des Geldes – 1986; Top Gun – 1986; Legende – 1985; Der richtige Dreh – 1983; Die Outsider – 1983; Lockere Geschäfte – 1983; Die Kadetten von Bunker Hill – 1981).

Regisseur Barry Levinson beweist eine sensible Hand in der Besetzung und großes Geschick bei der Führung seiner Schauspieler (Good Morning, Vietnam – 1987; Das Geheimnis des verborgenen Tempels – 1985; Der Unbeugsame – 1984; American Diner – 1982). Neben seiner Entscheidung für Valeria Golino spielt auch Levinson Entscheidung für Hans Zimmer als Komponist eine entscheidende Rolle. Hans Zimmers Mischung aus Soundtrack und sphärischem Score geben dem Film eine leidenschaftliche Melancholie, die ihn noch trägt, wenn der Vorhang längst geschlossen ist.

Der Film befreit seinen Paulus von etwas, von dem er Raymond nie befreien könnte. Charlie bricht am Ende aus seinem nur um sich kreisenden Weltbild aus in ein neues Leben mit ganz anderen Möglichkeiten. Raymond fährt in sein Zuhause zurück, zu den Käsebällchen, dem klaren Stundenplan und seinem Vernon. Wir dürfen uns Raymond als glücklichen Mann vorstellen. Und Charlie jetzt auch.

Wertung: 10 von 10 D-Mark
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