IMDB

Plakatmotiv: Juror #2 (2024)

Ein ungewöhnlicher Film, der seine
Zuschauer zwingt, Stellung zu beziehen

Titel Juror #2
(Juror #2)
Drehbuch Jonathan A. Abrams
Regie Clint Eastwood, USA 2024
Darsteller

Nicholas Hoult, Toni Collette, J.K. Simmons, Kiefer Sutherland, Zoey Deutch, Megan Mieduch, Melanie Harrison, Adrienne C. Moore, Drew Scheid, Leslie Bibb, Hedy Nasser, Phil Biedron, Cedric Yarbrough, Bria Brimmer, Chris Messina, Amy Aquino, Gabriel Basso, Chikako Fukuyama u.a.

Genre Drama
Filmlänge 114 Minuten
Deutschlandstart
16. Januar 2025
Website jurornumber2movie.net
Inhalt

Der Lifestyle-Autor Justin Kemp steckt gerade inmitten der Vorbereitungen für die bald anstehende Familienerweiterung – seine Frau Allison ist im neunten Monat schwanger – als er zum Geschworenen in einem Mordprozess berufen wird.

In diesem Prozess wird ein schreckliches Verbrechen verhandelt: James Sythe wird beschuldigt, seine Freundin Kendall umgebracht und ihre Leiche in eine Straßenschlucht geworfen zu haben. Eigentlich sprechen alle Beweise gegen den Angeklagten, aber der Pflichtverteidiger Erik Resnick ist dennoch von der Unschuld seines Mandanten überzeugt. Doch für die Staatsanwältin Faith Killebrew ist die Sache klar – zumal sie den Fall lieber heute als morgen beenden würde.

Mit zunehmender Verhandlungsdauer kommt Justin ein schrecklicher Verdacht: Könnte er selbst etwas mit dem Fall zu tun haben? Am fraglichen Abend der Tat hatte er selbst auf dieser Strecke einen kleinen Unfall – jedoch war er bislang felsenfest überzeugt davon, lediglich ein verirrtes Reh mit dem Wagen angefahren zu haben …

Was zu sagen wäre

Man möchte nach diesem Film nicht in die Mühlen der us-amerikanischen Justiz geraten: Die Staatsanwältin ist mit ihrer Karriere mehr beschäftigt, als mit dem aktuellen (Mord)fall, ermittelnde Beamte sammeln Beweise, die zu ihren Vorurteilen passen, statt zum realen Fall, die Geschworenen sind von ihrem Job genervt und wollen, „Meine Kinder brauchen mich“, lieber nach Hause, als nach einer gerechten Entscheidung zu suchen.

"Juror #2" ist wahrscheinlich Clint Eastwoods letzter Film. Er wird im Mai 95 Jahre alt und hat seinen klaren Blick auf die Welt mit ihrem Zynismus nicht verloren. Er präsentiert uns einen integren, engagierten, liebenden Familienvater, der in ein grusliges Dilemma gerät – womöglich ist er für den Tod einer Frau verantwortlich, für den ein anderer gerade als Mordverdächtiger vor Gericht steht, in welchem der Familienvater als Geschworener sitzt. Der Angeklagte ist kein Musterbürger, neigt zu körperlicher Gewalt und war mal Mitglied einer Drogengang.

Eastwood erhzählt aus der Perspektive des Geschworenen. Im Kinosessel wissen wir also immer mehr, als die Verfahrensbeteiligten – Richterin, Staatsanwältin, Verteidiger. Auch, wenn der Film die Schuldfrage nie endgültig klärt, wissen wir, dass der Angeklagte mit der kriminellen Vergangenheit und der mangelnden Impulskontrolle wohl unschuldig ist, und ahnen, dass der freundliche Familienvater Dreck am Stecken hat. Erst im Laufe des Films entblättert Eastwood biografische Einzelheiten seines Titelhelden, der trockener Alkoholiker ist; erst seit ein paar Jahren, seit er seine heutige Frau und werdende Mutter seines Babys kennenlernte, nicht mehr trinkt. ein befreundeter Anwalt verdeutlicht ihm, was mit ihm passieren würde, würde er aussagen, dass er womöglich für den Tod der Frau verantwortlich sein könnte: Medien und der Justizapparat würden ihn wegen Mordes für immer ins Gefängnis bringen.

Spätestens an dieser Stelle zwingt Eastwood uns im Kinosessel, Stellung zu beziehen. Ist der integre, engagierte Familienvater trotz der Schuld, die er möglicherweise auf sich geladen hat, mehr wert, als der gesellschaftlich fragwürdige, aber offenbar unschuldige Angeklagte? Der Film nimmt uns die Antwort nicht ab. Er präsentiert zwar ein Finale, das so aussieht, als hätten die Studiobosse über Eastwoods Kopf hinweg darauf gedrungen, aber die Entscheidung, ob wir hier ein Happy End oder einen zynischen Blick auf die Realitäten unseres Lebens erleben, müssen wir schon selbst treffen.

Ich bin juristischer Laie. Nach Jahrzehnten voller Krimis, Thrillern und Krankenhausfilmen gerate ich bei diesem Film allerdings mehrmals ins Straucheln. Der Angeklagte soll seine Freundin erschlagen und einen Abhang runtergeworfen haben. Tatsächlich ist die Frau aber wohl überfahren worden. Und da findet die moderne Forensik an der Leiche keinerlei unterscheidbare Merkmale, ob ein wütender Kerl oder ein Auto auf die Frau geschlagen hat? Mehrere der Geschworenen sind für den Job in just diesem Prozess denkbar ungeeignet. Einer hat seinen kleinen Bruder an die Drogen verloren, wie sie der Angeklagte in seinem früheren Leben vertickt hat. Einer war mal Detective, was bei der Berufung der Geschworenen aber keinem auffällt; prompt startet der eigene Ermittlungen. Womöglich ist das im realen Leben so, dass der gesamte Justizapparat überfordert ist – „An dem Tag hatte er fünf Obduktionen auf seinem Tisch!“, heißt es einmal über den Arzt im Zeugenstand – und sich „für die Wahrheit“ eben nicht so ins Zeug legt, wie in besagten Krimis und Krankenhausfilmen. Dann ist Clint Eastwoods Drama ein bitterer Abgesang auf den Rechtsstaat.

Diesen orchestriert er mit seiner gewohnt ruhigen Hand. Es gibt keine Wow-Kameraflüge irgendwohin. Eastwood arbeitet wieder mit Stativ, Dolly und, je nach Dramalevel, Close Ups. Mit denen finden wir uns dann in zweifelnden Gesichtern augenscheinlich aufrechter Bürger wieder, die sich nicht gebunden fühlen an die Wahrheit und das Recht. Einen dieser aufrechten Bürger, die Titelfigur des Geschworenen Nummer Zwei spielt zweifelnd, mit großen feuchten Augen und hilflos in den Fallstricken von Gewissen und Gesetzt verknotet Nicholas Hoult (X-Men: Dark Phoenix – 2019; Deadpool 2 – 2018; X-Men: Apocalypse – 2016; Mad Max: Fury Road – 2015; X-Men: Zukunft ist Vergangenheit – 2014; Warm Bodies – Zombies mit Herz – 2013; X-Men: Erste Entscheidung – 2011; Kampf der Titanen – 2010; About a Boy oder: Der Tag der toten Ente – 2002), der zwischenzeitlich in Konflikt mit der Staatsanwältin gerät, die Toni Colette mit verhärtetem Charme und mangelnder Strenge spielt – vor 22 Jahren haben sie und Hoult schon einmal vor der Kamera gestanden, damals als Mutter und kleiner Sohn in About a Boy.

"Juror #2" ist ein Film geworden, wie es ihn eigentlich gar nicht mehr gibt. Im Kino jedenfalls nicht. Hier spielen echte Menschen in einem durchaus nachvollziehbaren Dilemma ihre schlechten Karten aus und werden weder von digitalen Effekten noch von Superhelden erlöst. Warner Bros. hatte den Film ursprünglich für seinen Streamingkanal geplant. Aber das positive Echo einiger Probevorführungen und vielleicht doch auch Eastwoods Name verhalfen dem Film zu einem wenigstens kleinen Kinostart (50 Kopien) in den USA.

Ein handwerklich sauber gedrehtes und gespieltes Drama um die ewige Frage: Was ist Recht, was ist Wahrheit und was ist Gerechtigkeit.

Wertung: 6 von 8 €uro
IMDB