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Plakatmotiv: The Mule (2018)

Eastwood als Alter Weißer Mann
beerdigt den American Dream

Titel The Mule
(The Mule)
Drehbuch Nick Schenk + Sam Dolnick
inspiriert durch einen New-York-Times-Artikel "The Sinaloa Cartel's 90-Year Old Drug Mule"
Regie Clint Eastwood, USA 2018
Darsteller

Clint Eastwood, Bradley Cooper, Michael Peña, Taissa Farmiga, Manny Montana, Laurence Fishburne, Ignacio Serricchio, Jill Flint, Dianne Wiest, Alison Eastwood, Noel Gugliemi, Andy Garcia, Robert LaSardo u.a.

Genre Drama
Filmlänge 116 Minuten
Deutschlandstart
31. Januar 2019
Inhalt

2017 muss Earl Stone fast neunzigjährig Insolvenz anmelden und sein Haus soll zwangsversteigert werden. Sein gesamtes Leben hat er Taglilien gezüchtet und verkauft, dabei aber seine Familie vernachlässigt. Seine Frau Mary hat sich von ihm getrennt und seitdem er die Hochzeit seiner Tochter verpasst hat, redet diese nicht mehr mit ihm.

Auf der Hochzeit seiner Enkeltochter erhält er ein Jobangebot eines ihm unbekannten Gastes: Er soll mit seinem angejahrten Truck in die Montagehalle eines Reifenhandels fahren. Dort warten einige zum Teil bewaffnete Mexikaner auf ihn, legen ihm eine Sporttasche auf die Ladefläche und nennen ihm ein Hotel als Zieladresse. Dort soll er die Autoschlüssel in das Handschuhfach legen und für eine Stunde auf sein Zimmer gehen.

So geschieht es und als er zurückkehrt, findet er ein ansehnliches Bündel Dollarnoten im Handschuhfach vor. Eigentlich will er es bei dieser Fahrt belassen, doch als er sein Lieblingslokal geschlossen, weil halb abgebrannt, vorfindet, fährt er ein weiteres Mal los. Inzwischen hat er sich auch einen neuen, schwarzen Truck gekauft.

Derweil hat Colin Bates von der DEA Ermittlungen aufgenommen und Luis Rocha als Spitzel beim Drogenkartell angeworben. Dieser versorgt Bates und seinen Partner mit Informationen über Drogenumschlagplätze, Routen und Fahrer.

Earl ist aufgrund seines unauffälligen Verhaltens inzwischen einer der zuverlässigsten Drogenkuriere geworden. Auf seiner Route pausiert er zum Essen oder fährt Umwege. Der Kartell-Boss Laton lässt Earl anfänglich noch überwachen, lädt ihn dann aber auf seine Hacienda ein und schickt ihm für die Nacht junge Frauen auf das Zimmer.

Wenig später wird Laton erschossen und Gustavo rückt an seine Stelle. Er zieht die Zügel im Kartell schärfer an und duldet keine Extra-Touren. Gustavo und zwei seiner Gorillas fahren mit Earl in einen einsamen Wald und schüchtern Earl ein. Sie zeigen ihm seinen erschossenen Aufpasser, der im Kofferraum ihres Autos liegt.

Earl verschwindet trotz der Warnung für eine Woche aus der Überwachung des Kartells, weil seine Ex-Frau im Sterben liegt …

Was zu sagen wäre

Und plötzlich ist Clint Eastwood ein alter Mann. Na gut, das kann man natürlich wissen, wenn man im Jahr 2018 weiß, dass er Jahrgang 1930, jetzt also knapp 90 ist. Aber wenn ich den alten Dirty Harry da plötzlich so sehe, hebelt dieser Mann das Drehbuch aus und ich frage mich nicht, was der Film mir erzählen will, sondern folge diesem Mann in seinem Schicksal. Dieser Earl hat immer – aus seiner Perspektive – versucht, seine Familie zu ernähren. Da war er halt ein klassischer Aufbaujahre-Amerikaner. Sein Gewerbe sind Blumen, Taglilien im Besonderen. Und das ist natürlich nicht einfach, wenn Du auf Blumen stehst, die nur einen Tag blühen und dann eingehen, wenn Du gleichzeitig eine Frau, eine Tochter, eine Enkelin hast, die Dich länger als einen Tag brauchen.

Familie haben die Eastwoodfiguren selten gehabt. Dass er diese hier für seine Arbeit vernachlässigt, ist also zunächst keine große Storyidee. Im Amerikanischen ist eine Einstiegsfloskel in ein Partygespräch ein ”What do you do for a living?“ („Womit verdienen Sie Ihren Lebensunterhalt?“). Arbeit ist an erster Stelle, wichtiger als Familie.

Nun interessiert sich Eastwood hier weniger für die Situation eines armen alten Mannes, der kein Geld mehr hat und deshalb als Drogenkurier für ein mexikanisches Kartell jobbt. In seinen Figur schwingen fünf Jahrzehnte Ikonen mit; ob das der Schweigsame ist, der zynische Harry, der Unüberwindliche oder der Aussterbende – dieser alte Mann ist ein alter Bekannter, dessen Haltung der Zuschauer kennt, egal, welche Figur Eastwood spielt. Deshalb ist "The Mule" ähnlich spannend, wie sein Gran Torino von 2008. Eastwood inszeniert sich als alten, gebrechlichen, nicht aber gebrochenen Mann, der dazu lernt. Er baut keinen Portraitfilm über einen betagten Drogenkurier. Eastwood malt hier ein Gesellschaftsbild, in dem sich die Gewichte, der Einfluss, verschoben haben. Das Gesetz kommt kaum mehr hinterher. Die Drogenhändler wirken familiärer, vertrauenswürdiger, als die Cops auf US-Seite, die Zwischenhändler erpressen.

Eastwoods Figur ist großes Americana. Dieser Earl ist das alte Amerika, das die mittlerweile berüchtigten Alten Weißen Männer als einst junge weiße Männer aufgebaut haben, das mit dem Amerikanischen Traum, den sich vornehmlich weiße Jungs erfüllen können sollten, nicht Latinos, Schwarze, Gelbe oder Rote. Aber dieses alte weiße Land – Earl – ist eben in die Jahre gekommen und geht verloren. Einmal trifft er auf eine Rockerclique – die aus lauter Frauen besteht – denen er fröhlich bei einer Panne hilft „Das scheint ein kaputtes Relais zu sein“. Für Eastwood, verkörpern diese Frauen die Freiheit des alten Westen im neuen Westen.

Bei seiner achten Tour trifft er auf eine mit plattem Reifen am Straßenrand gestrandete afroamerikanische Familie. Er hilft ihr gerne und findet gar nichts dabei, sie Neger zu nennen und als die Familie ihn korrigiert, nimmt er auch dies höflich lächelnd zur Kenntnis, ohne weiter darüber nachzudenken. Das spiegelt den alten Geist des Go-West-und-gemeinsam-schaffen-wir-das. Das ist die eigentliche Geschichte, die der knapp 90-jährige Eastwood hier sentimental und abseits der gesellschaftlichen Wirklichkeit in seinem Land ausrollt: Wir Alten Weißen sind doch freundliche Leute. Wir helfen und haben nichts gegen Andere, die das Land verändern.

Wieder eine Szene später sitzt er mit seinen beiden mexikanischen Aufpassern in einem texanischen Barbeque-Grill und spendiert Pulled Park Sandwiches: „Alle Leute starren uns an.“ „Hier sitzen ja auch zwei Bohnenfresser zwischen lauter Weißbroten.“, sagt Earl. „Warum sind wir hier?“, fragt einer der beiden Aufpasser „Das sind die besten Pulled-Pork-Sandwiches im Mittleren Westen. Deswegen.“ … sie essen … „Nicht schlecht, oder?“, konstatiert Earl, als der Teller leer ist. „Du musst Dir mehr Freizeit gönnen, so was wie das hier. Das Leben genießen. So wie ich.“ „Ja, vielleicht. Aber Du genießt das Leben vielleicht ein bisschen zu sehr“, sagt der Mexikaner. „Hattest zu viel Spaß. Darum arbeitest Du jetzt für uns.“ „Bestes Pulled-pork-Sandwich auf der ganzen Welt!“, entgegnet der alte US-Amerikaner unbeeindruckt und rät seinem Aufpasser, er solle das mit den Drogenkuriersachen doch sein lassen und sich lieber was anderes suchen. Eastwood feiert die liberalen Werte des Land of the Free.

Sukzessive baut Earl mit mexikanischem Drogengeld die alte All American Society wieder auf, die aber längst, wie sein vor der Schließung stehendes Lieblingslokal etwa, aufs Betteln angewiesen ist, um sich zu erhalten. Also geht er dann immer wieder auf Kurierfahrt, um mit mexikanischen Narco-Dollars den American Dream zu retten. Dianne Wiest als seine Ex bringt den Amerikaner auf den Punkt: „Du lebst dafür, immer wieder loszuziehen. Zu all den Veranstaltungen und der Geselligkeit, um der zu sein, der im Mittelpunkt steht. Sie hatten immer den lustigen, wunderbaren Mann, der Du bist. Und wir hatten den Earl, der es nie erwarten konnte, wieder loszuziehen.

Eben: Earl personifiziert ja auch den alten weißen, amerikanischen Go-West-Geist.

Wertung: 6 von 8 €uro
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