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Plakatmotiv: Nightmare Alley (2021)

Ein Film wie ein Jahrmarkt:
Abwechslungsreich, bunt, leer.

Titel Nightmare Alley
(Nightmare Alley)
Drehbuch Guillermo del Toro & Kim Morgan
nach dem gleichnamigen Roman von William Lindsay Gresham
Regie Guillermo del Toro, USA, Mex., Kan. 2021
Darsteller

Bradley Cooper, Cate Blanchett, Toni Collette, Willem Dafoe, Richard Jenkins, Rooney Mara, Ron Perlman, Mary Steenburgen, David Strathairn, Mark Povinelli, Peter MacNeill, Holt McCallany, Paul Anderson, Lara Jean Chorostecki, Jim Beaver, Clifton Collins Jr., Tim Blake Nelson, David Hewlett u.a.

Genre Crime, Drama
Filmlänge 150 Minuten
Deutschlandstart
20. Januar 2022
Inhalt

Die USA um 1940: Als der charismatische, aber vom Pech verfolgte Stanton Carlisle auf einem Jahrmarkt die Hellseherin Zeena und ihren Mann und Mentalisten Pete kennenlernt, wittert er seine Chance. Er nutzt die Gelegenheit, lernt von ihnen was er nur kann und nutzt sein neu erworbenes Wissen, um die wohlhabende Elite der New Yorker Gesellschaft der 40er Jahre auszunehmen.

Mit der ihm treu ergebenen Molly plant Stanton den gefährlichen Tycoon Ezra Grindle zu betrügen.

Eine mysteriöse Psychiaterin soll ihm dabei helfen. Doch ausgerechnet sie könnte sich als seine bisher gefährlichste Gegnerin erweisen …

Was zu sagen wäre

Jahrmarkt. Welt der Wunder und außergewöhnlichen Geschichten. Heimat von Gauklern, Zauberwesen und Hochstaplern. Eine Welt, in der an irdenen Gesetzen so lange gebogen wird, bis es scheint, als herrschten Zauberei und übersinnliche Kräfte. Wenn hier einer behauptet, er könne Gedanken lesen, glauben ihm alle sofort – bis das Gegenteil bewiesen ist. Stanton Carlisle ist wie gemacht für so einen Ort. Er kommt aus dem Nirgendwo und er will nach Oben. Irgendwohin, wo es es nicht nass, kalt und dunkel ist. Das ist ein passender Stoff für Guillermo del Toro, Liebhaber Verlorener und Verzauberter (Shape of Water: Das Flüstern des Wassers – 2017; Pacific Rim – 2013; Hellboy 2 – Die goldene Armee – 2008; "Pans Labyrinth" – 2006; Hellboy – 2004; Blade II – 2002; Mimic – Angriff der Killerinsekten – 1997).

"Nightmare Alley" ist die zweite Verfilmung eines Romans von William Lindsay Gresham. Die erste kam 1947 mit Tyrone Power in der Hauptrolle in die Kinos – deutscher Titel: "Der Scharlatan". Ende der 30er, Anfang der 40er Jahre, in Europa tobt ein Krieg, die USA sind eingetreten; wer noch in der Heimat sitzt, ist wahlweise alt, gebrechlich oder Alkoholiker. Auf dem Jahrmarkt treffen wir keine lachenden Kinder, keine funkelnden Eltern. Unter Del Toros Regie treffen hier Vergessene auf Verlorene inmitten einer leeren Fläche, wo nur die Glühbirnen des Riesenrads glitzern. Die Regeln machen die, die einen Stand haben, also Arbeit verteilen können. Die sehen in Stanton ein gutes Exemplar: Ein williger Zupacker, der keinen Alkohol anrührt und tut, was man ihm aufträgt. Niemand findet es verwerflich, dass er nach Höherem strebt. Das tun hier alle. Sie schaffen es nur nie. Stanton schafft es. Weil er skrupellos ist.

Und gleichzeitig ein gut aussehender Charmebolzen – die passende Rolle für einen wie Bradley Cooper (Licorice Pizza – 2021; The Mule – 2018; A Star is Born – 2018; 10 Cloverfield Lane – 2016; Joy: Alles außer gewöhnlich – 2015; American Sniper – 2014; Serena – 2014; American Hustle – 2013; Silver Linings – 2012; The Place Beyond the Pines – 2012; Ohne Limit – 2011; Das A-Team – Der Film – 2010; Valentinstag – 2010; "Hangover" – 2009). Cooper spielt einen Stanton, der unser ganzes Mitgefühl hat. Obwohl er gleich zu Beginn ein Haus – vermutlich sein Zuhause – mit einer mutmaßlichen Leiche darin abfackelt. Das ist jedoch bald in den Hintergrund gedrängt. Elegant zieht uns Guillermo del Toro mit schwebender, dahin gleitender Kamera tiefer in diese bunte Welt von Schaustellern und kleinen Wundern mit ihren kleinen Skrupellosigkeiten und Lebenslügen, die hier wie Grundnahrungsmittel verzehrt werden. Stanton findet schnell Anschluss. Bei der Mentalistin Zeena bringt er die Libido zum Klingeln, deren Mann Pete, der glaubt, Zeena würde nicht merken, dass er immer noch trinkt, ist er ein geduldiger Zuhörer und Clem Hoately, der hier sowas wie der Bürgermeister ist, ist er ein willfähriger Handlanger. Alle mögen ihn. Dass er über Leichen geht, um seine Ziele zu erreichen, merkt niemand. Nicht einmal die Zuschauer. Die dunkle Seite des Charakters coloriert Del Toto im Ungefähren – es könnte immer auch ganz anders sein. Hat Stan, oder hat er nicht? Mit einem Zeitsprung, „Zwei Jahre später“, hat Stanton es dann beinahe schon geschafft. Mit Molly, die er schon auf dem Rummel umworben hatte, ist er nach Chicago gezogen und dort erfolgreich mit den Tricks, die er Zeena und Pete abgeluchst hat – zwei ausverkaufte Vorstellungen jeden Tag.

Im Grunde ist diese Welt nicht anders, als die auf dem Rummel, genauso skrupellos, nur viel eleganter. Mit Abendgarderobe statt verschlammter Jeans. Und die Menschen zahlen immer noch gerne dafür, verführt zu werden; Hauptsache, sie haben nicht das Gefühl, übers Ohr gehauen zu werden. Und je reicher die Menschen, desto größer das Bedürfnis, sich auf Wahrsager und andere Schlawiner einzulassen. Denn je reicher sie sind, desto größer sind die Verfehlungen, derer sie sich schuldig gemacht haben. Der einflussreiche Richter hat seinen Sohn nicht davon abhalten können, in den Krieg zu ziehen; den noch einflussreicheren Magnaten mit dem Hang, junge Frauen zu erniedrigen, quält sein schlechtes Gewissen. Aber auch: Je reicher die Menschen, je größer die Stadt, desto zahlreicher und durchtriebener die Gauner, die versuchen, Parasiten gleich ihren Schnitt zu machen.

Auftritt: die Blonde. Wo einst die blonde Barbara Stanwyck Männer um den Verstand brachte, ist es hier Cate Blanchett als durchtriebene Psychologin, die ein doppeltes Spiel spielt. Sie umgarnt den charmanten Betrüger, ohne dass der das wahrnehmen will; schließlich ist es doch er, der die Fäden immer in der Hand hat, der Macht über die Menschen ausübt und nie verstanden hat, dass die Anderen die Macht haben, weil sie ihm ihren Glauben schenken.

Im Zuschauersessel haben wir schnell raus, dass die kühle Psychiaterin nicht sauber spielt. Wie wir im Grunde ja auch wissen, dass Stanton eine Ratte ist – halt eine Ratte mit dem Gesicht von Bradley Cooper. Wie wir überhaupt wenig Spannung in der erzählten Geschichte finden, die abgesehen vom feurigen Drumherum ohne Höhepunkte so dahin plätschert. Wenn sich im Laufe des Films die Geschichte mit dem brennenden Haus vom Anfang erklärt, stellt sich eher die Frage, warum das Drehbuch daraus so ein Geheimnis macht. Im Grunde war der Hintergrund bald klar. Als Pete mal wieder einen zu viel gesoffen hat und daran stirbt, ist es dem Film und allen beteiligten Figuren egal, dass ihm Stanton statt Whisky eine Flasche Methylalkohol gereicht hatte – Unfall oder Mord? Der Film geht der Frage nicht nach, Hauptsache, Stan hat jetzt das Büchlein, in die Pete alle seine Tricks notiert hatte; aber hatte Pete ihm das eigentlich vorenthalten? Nein. Zehn Minuten vorher gibt es eine Szene, in der Clem den wesentlichen Unterschied zwischen beiden Alkoholvarianten erklärt, womit schon klar ist, dass da demnächst einer zur falschen Flasche greift. Genauso, wie bei Cate Blanchett kühl blondem Auftritt schon klar ist, wo die Reise hin geht, und also bald nur noch die Frage bleibt, wie der unweigerliche Ritt in den Albtraum unseres Helden in der "Nightmare Alley" enden wird; und auch das ist dem aufmerksamen Zuschauer eigentlich bald klar. Guillermo del Toro macht, was jeder gute Gaukler macht, der sein Publikum verzaubern will. Er lenkt ab, legt falsche Fährten und wenn er gut ist, ist das Publikum am Ende mächtig erstaunt/erschrocken/begeistert. Und im Ablenken ist Del Toro wirklich gut. Die Kulissen, die Ausstattung bieten wunderbare Einzelstücke, elegante Salons, umwerfende Geschäftsräume und liebevoll designte Jahrmarktsbuden. Die Kamera von Dan Laustsen (John Wick: Kapitel 3 – 2019; Shape of Water – 2017; John Wick: Kapitel 2 – 2017; Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen – 2003; Mimic – Angriff der Killerinsekten – 1979) taucht den Film in ein düsteres Sepia, in dem die Sonne nie so richtig aufzugehen scheint; sie schwebt durch Schmuddel und Eleganz, umschmeichelt und geleitet den Zuschauer hinein in die Geisterbahnfahrt. Die Schauspieler sind die willigen Komplizen ihres Regisseurs, die wissen, was sie diesem düsteren Noir-Stoff schulden. Cate Blanchett ist die plakative blonde Sirene – ebenso wie alle anderen keine Person aus einem realen Leben, aber eine dunkle Verführung innerhalb dieser comichaften Welt (Don't look Up – 2021; Song to Song – 2017; "Manifesto" – 2015; Carol – 2015; "Cinderella" 2015; "Knight of Cups" – 2015; Der Hobbit – Die Schlacht der fünf Heere – 2014; Monuments Men – 2014; Der Hobbit – Smaugs Einöde – 2013; Blue Jasmine – 2013; Der Hobbit – Eine unerwartete Reise – 2012; Wer ist Hanna? – 2011; Robin Hood – 2010; Der seltsame Fall des Benjamin Button – 2008; Indiana Jones und das Königreich des Kristallschädels – 2008; Elizabeth – Das goldene Königreich – 2007; "I'm Not There" – 2007; "Hot Fuzz – Zwei abgewichste Profis" – 2007; "Tagebuch eines Skandals" – 2006; "The Good German" – 2006; "Babel" – 2006; Aviator – 2004; "Die Tiefseetaucher" – 2004; Der Herr der Ringe – Die Rückkehr des Königs – 2003; "Die Journalistin" – 2003; Der Herr der Ringe – Die zwei Türme – 2002; Heaven – 2002; Schiffsmeldungen – 2001; Der Herr der Ringe – Die Gefährten – 2001; Banditen! – 2001; The Gift – 2000; Der talentierte Mr. Ripley – 1999; "Turbulenzen – und andere Katastrophen" – 1999; Elizabeth – 1998).

Es ist das Schicksal des Mentalisten im Film, das dieser Film teilt: Die Nummer ist durch, sagt am Ende einer vom Rummel, das nimmt keiner mehr ernst. Der Film wirkt, um im Bild zu bleiben, wie eine billige Jahrmarktattraktion; eine Zurschaustellung bunter, schon etwas abgegriffener Attraktionen, zusammengeführt von einem wackligen Waggon auf rumpelnder Schiene. Zu deutlich steckt sich Del Toro seine Tricks in den Ärmel, aus denen er sie später als Überraschungen schüttelt. Das ist jederzeit auf allen Gewerken schön anzuschauen. Aber für die Figuren hinter den Film-Noir-Schablonen und deren zum Teil grausames Schicksal entsteht nicht das geringste Interesse.

Wertung: 4 von 8 €uro
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