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Plakatmotiv: Licorice Pizza (2021)

Ein Film über die Liebe, die
manchmal Umwege macht

Titel Licorice Pizza
(Licorice Pizza)
Drehbuch Paul Thomas Anderson
Regie Paul Thomas Anderson, USA, Kanada 2021
Darsteller

Alana Haim, Cooper Hoffman, Sean Penn, Tom Waits, Will Angarola, Griff Giacchino, James Kelley, Dexter Demme, River Cornwell, Harrison Bray, Sasha Spielberg, Karissa Reynafarje, Savannah Ioakimedes, Dorie Samovitz, Anna Cordell, Adam Somner, Joshua Carl Allen, Patrick Hoelck u.a.

Genre Komödie, Drama
Filmlänge 133 Minuten
Deutschlandstart
27. Januar 2022
Inhalt

Wir schreiben das Jahr 1973: Als der 15-jährige Gary Valentine die Foto-Assistentin Alana Kane erblickt, ist es um ihn geschehen. Obwohl sie zehn Jahre älter ist, überredet der selbstbewusste Teenager sie zum Abendessen in seinem Stammrestaurant.

Bezahlen ist für ihn kein Problem, denn Gary ist sowohl Kinderdarsteller als auch angehender Entrepreneur, der bereits seine eigene PR-Firma gegründet hat. Alana und Gary freunden sich daraufhin immer mehr miteinander an, gründen ein gemeinsames Wasserbett-Geschäft und können fortan kaum mehr ohneeinander. Doch das aufregende Leben im San Fernado Valley folgt eigenen Gesetzen …

Was zu sagen wäre

Filme von Paul Thomas Anderson folgen nicht den Storytelling-Regeln der Industrie in Hollywood. Paul Thomas Anderson folgt nicht diesen Regeln ("Der seidene Faden" – 2017; Inherent Vice – Natürliche Mängel – 2014; "The Master" – 2012; "There Will Be Blood" – 2007; "Punch-Drunk Love" – 2002; Magnolia – 1999; Boogie Nights – 1997). Seine Filme sind stets in der engeren Auswahl für die Oscars. Anderson stammt aus dem San Fernando Valley, jenseits der Hügel, hinter denen der Glamour wohnt. Einige Studios haben hier ihren Sitz, lassen ihre Filme aber lieber in einer anderen Gegend von L.A. spielen. Eine Gegend, die nicht den Glamour der Filmleute versprüht, aber natürlich mit genau so sympathischen Spinnern bevölkert ist, wie der Rest der Welt.

In "Licorice Pizza" (Lakritz Pizza) führt er uns zurück Anfang der 1970er Jahre, als "Licorice Pizza" ein Synonym für die Vinyl-Schallplatte war. Im Mittelpunkt steht Gary. Gary und Alana. Er ist 15, sie 25. Er ist pummelig, streicht sich eine fettige Haarsträhne aus dem Gesicht, in dem ein bisschen Akne sprießt und schon ein sehr umtriebiger Geschäftsmann. Sie, Fotoassistentin, die in Poloshirts, Shorts und kurzen Kleidern durch die Welt stakst, aus einer streng jüdischen Familie stammt und noch nicht recht weiß, was sie will im Leben – außer: nicht so werden, wie ihre Eltern. Diese beiden Hauptfiguren kreisen umeinander, er erklärt seinem Bruder nach wenigen Filmminuten schon, er habe die Frau kennengelernt, die er einmal heiraten werde, sie lacht derartige Ambitionen weg. Gary ist das egal. Er ist Optimist. Eine Art Vorbild für den amerikanischen Unternehmergeist. Er geht noch zu Schule, spielt aber auch kleine Rollen beim Film, leitet eine PR-Agentur, in der seine Mutter für ihn arbeitet, engagiert für einen PR-Auftritt in New York, zu dem er nicht ohne Erwachsenen reisen darf, Alana als seine Begleitung und macht wenig später mit ihr zusammen einen recht erfolgreichen Laden für Wasserbetten auf.

Der einzige dramaturgische Faden folgt der Frage Kriegen sie sich oder kriegen sie sich nicht. Der Rest ist Fabulieren mit der Kamera. Andersons Film hat weder einen bedeutsamen Anfang noch ein starkes Ende. Er hört halt irgendwann auf, man weiß auch nicht so genau, ob jetzt drei Tage, ein paar Wochen oder doch mehrere Jahre ins Land gegangen sind. Manches baut aufeinander auf, etwa wenn der stets sehr positiv gestimmte Gary ein ums andere Mal erleben muss, dass seine Angehimmelte mit Männern anbandelt, die eher ihrem Alter entsprechen, also von 25 aufwärts – einmal sogar, als sie mit eigenen schauspielerischen Ambitionen für die Rolle eines Hippiemädchens vorspricht, mit ihrem potenziellen Filmpartner, einem großen Star um die 60, den Sean Penn in einer Gastrolle spielt (The Gunman – 2015; Das erstaunliche Leben des Walter Mitty – 2013; Gangster Squad – 2013; Inside Hollywood – 2008; Das Spiel der Macht – 2006; Die Dolmetscherin – 2005; 21 Gramm – 2003; Mystic River – 2003; Sweet and Lowdown – 1999; Being John Malkovich – 1999; Der schmale Grat – 1998; The Game – 1997; U-Turn – Kein Weg zurück – 1997; Dead Man Walking – 1995; Carlito's Way – 1993; Die Verdammten des Krieges – 1989; Ich glaub' ich steh' im Wald – 1982; Die Kadetten von Bunker Hill – 1981).

So einseitig, wie die Liebesgeschichte zunächst klingt, ist aber die Love Story zwischen dem Jungen und der jungen Frau nicht, die den jungen Entrepreneur schon auch aufregend findet; immerhin lässt sie sich gleich am ersten Abend von ihm in sein Lieblingsrestaurant ausführen. Als er später mal irrtümlich von der Polizei festgenommen wird, wird aus der freundschaftlichen Geschäftspartnerin eine engagierte Aktivistin für den zu Unrecht Abgeführten. Und wenn Gary bei der Eröffnung des Wasserbetten-Ladens mit anderen Teenagerinnen shakert, ist ihr das unangenehm. Der rote Faden der Zu- und Abneigung, der den Film lose zusammenhält, streift in vielen Episoden die wechselseitige emotionale Abhängigkeit, die beide zueinander empfinden. Mal ist sie, mal ist er obenauf, so wie das halt im wirklichen Leben auch ist. Darin, im wirklichen Leben, fühlt Anderson sich wohler, als im Drehbuchkurs geschulten Dramaambiente des Storytellings. Wenn manches im Film aufeinander aufbaut, verläuft anderes auch im Sande. Manche der tausend kleinen Episoden löst der Film nicht auf, andere rundet er ab und schaut weiter, verbunden durch lange Plansequenzen, die uns hineinziehen in dieses Los Angeles der 1970er Jahre.

"Licorice Pizza" ist mehr Panorama als Drama. Dem Presseheft kann man entnehmen, dass es in Andersons Kindheit einen Menschen gegeben haben soll, der tatsächlich ins Wasserbetten-Business eingestiegen ist. Die Episode mit Sean Penn als Altstar Jack Holden, der in pathetischen Filmdialogen kommuniziert, könnte an William Holden angelehnt sein, der just 1973 in "Begegnung am Vormittag" als 55-Jähriger mit einem 19-jährigen Hippiemädchen ein Paar spielte. Bradley Cooper (Nightmare Alley – 2021;The Mule – 2018; Silver Linings – 2012; "Hangover" – 2009) spielt den realen Jon Peters, 1973 noch Promi-Friseur und Lover von Barbra Streisand, mit der er drei Jahre später als Produzent mit A Star is Born ins Filmgeschäft einsteigen sollte (später produzierte er Erfolge wie Flashdance, Die Hexen von Eastwick, Rain Man oder Batman). Aber noch ist er der Friseur, dem vor allem daran gelegen ist, dass alle den Namen von Barbra Streisand korrekt aussprechen. Selbst erlebte Anekdoten, historische Filmmomente und erfundene Storyelemente flechten sich in den launig gewobenen Faden einer romantischen Dramaturgie, die ganz ohne Violinen und rosa eingefärbte Bilder auskommt. Anderson reicht die sonnige Grundstimmung Kaliforniens, die selbst auf dem Höhepunkt der Ölkrise nicht verschwand – in Kalifornien, wo kein Mensch zu Fuß geht. In einer Filmszene rennt Gary einer Idee hinterher, vorbei an lauter Autos, die am Straßenrand gestrandet sind, während David Bowie "Life on Mars" singt.

Es gibt im Leben eines Teenagers diesen einen Sommer, der in der Erinnerung für die vielen Sommer stehen wird. So ein Sommer ist dieser Film. Charmant, verspielt und nicht immer übersichtlich. Und erst, wenn beide Protagonisten gereift sind – sie engagiert sich für die Ideen eines lokalen Politikers, er hat Erfolg mit der Eröffnung einer der ersten Spielhallen in L.A. – werden sie herausfinden, was genau sie eigentlich füreinander empfinden.

Wertung: 4 von 8 €uro
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